20-Euro-Zuschlag für arme Kinder: Es braucht mehr Verteilungdebatten
Angesichts von Krieg und Corona droht eine Konkurrenz zwischen Leistungsempfänger:innen. Sie dürfen nicht den Preis der immensen Mehrkosten bezahlen.
M it dem Wort Paradigmenwechsel sollte man vorsichtig sein. Einen Schritt zu einem „echten Paradigmenwechsel“ im Kampf gegen Kinderarmut nannte die grüne Familienministerin Anne Spiegel den neuen „Sofortzuschlag“ für Kinder und Jugendliche aus ärmeren Familien. 20 Euro mehr im Monat pro Kind soll es geben in Familien, die auf Hartz IV, Asylbewerberleistungen oder den Kinderzuschlag angewiesen sind.
Man darf das nicht geringschätzen; 20 Euro mehr im Monat können die Gebühren für das Handy, Geburtstagsgeschenke für die Klassenkameraden sein. Nur die angekündigte „Kindergrundsicherung“ ist damit genauso wenig in Sicht wie das „Bürgergeld“ anstelle von Hartz IV. Beides würde den Bundeshaushalt viel Geld kosten, um für die Leistungsempfänger:innen spürbar zu sein. In den jetzt präsentierten Haushaltsplänen für die nächsten Jahre kommen diese Sozialleistungen kaum vor.
Genau das ist jetzt die Gefahr: Angesichts der krisenhaften Entwicklungen durch Krieg und Corona droht das Ausspielen von Schwachen gegen Schwache. Man kann inflationsbesorgte Arbeitnehmer:innen gegen Hartz-IV-Empfänger:innen ausspielen, Hartz-IV-Bezieher:innen gegen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, diese wiederum gegen geduldete Asylbewerber:innen aus dem Irak oder aus Somalia. Eine traurige Kette.
In den sozialen Medien liest man unerfreuliche Kommentare: Ukraineflüchtlinge könnten eine neue Billigkonkurrenz auf dem Arbeitsmarkt werden! Erst mal liegen sie dem deutschen Sozialstaat zu Tausenden auf der Tasche! Die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine werden gegenüber anderen Geflüchteten bevorzugt! Den Russlanddeutschen ging es schlechter!
Um Hetze zu verhindern, muss es mehr Verteilungsdebatten geben – auch darüber, welche Lasten die Starken schultern könnten. Sonst zahlen die Schwachen den Preis für Militärausgaben, Kriegs-, Klima- und Coronafolgen. Ältere erinnern sich noch an die Sparrunden der späten 90er Jahre, auch bedingt durch die Spätfolgen der Wiedervereinigung. Da will keiner wieder hin.
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