piwik no script img

16. Tanzplattform FreiburgZukunft ungewiss

In Performancestilen und Körpern zeigte sich die 16. Tanzplattform divers. Künstlerisch harmonisch, hadert die Tanzszene mit finanziellen Problemen.

Leisa Prowd in „Harmonia“ von Unusual Symptoms, einer mixed-abled Company Foto: Jörg Landsberg

Der Tanz lebt, das ist sicher die größte Botschaft, die von dieser 16. Tanzplattform Deutschland ausging, welche von Mittwoch bis Sonntag in Freiburg erstmalig an einem Stadttheater stattfand. Die Tanzplattform versteht sich dabei nicht als reine Leistungsschau, sondern hat gerade bei dieser Ausgabe in die verschiedenen Communitys reingehört. Wo also steht der zeitgenössische Tanz dieser Tage?

Etwas, das sich feststellen lässt: Tanz ist fast immer queer und weiblich dominiert. Mitunter sahen Be­su­che­r*in­nen einen ganzen Tag keinen Mann auf der Bühne. Dabei hat allerdings das Label „queer“ jegliches Unterscheidungsmerkmal verloren. Im zeitgenössischen Tanz ist queer schlicht Mainstream. Es sind neue Begrifflichkeiten von Nöten, um die aktivistisch aufgeladene Vokabel nicht zu einer leeren Hülle werden zu lassen.

Da ist etwa die multipel sexuell aufgeladene Bühnenplanscherei „Wetland“ von Katharina Senzenberger, die in einem Becken ein ganzes Formenrepertoire queerer Praktiken abspult. Später gleiten die fünf Per­for­me­r*in­nen in großer Geste auf einem dünnen Wasserfilm hin und her, was trotz der großen Power nur bedingt überzeugt.

Ähnliches gilt für „Lounge“ von Marga Alfeirão, in dem Mariana Benengue und Myriam Lucas zu elektronischer Musik zwischen Porno-Gesten und Momenten großer Intimität hin und her changieren, ohne aber so Recht vom Fleck zu kommen. Beide Abende litten in Freiburg unter suboptimalen Aufführungsbedingungen mit zu flachen Publikumsrampen und entsprechend schlechter Sicht auf vielen Plätzen.

Striptease oder Lapdance

Aber reicht es, Gesten aus dem Striptease oder Lapdance zu reproduzieren, um sie sich dann scheinbar subversiv in einer Pose des Emprowerments anzueignen? Eine Frage, die sich auch bei „Harmonia“ von Unusual Symptoms, einer mixed-abled Company mit körperbeeinträchtigten und nicht beeinträchtigten Per­for­me­r*in­nen stellt. Wenn sich die kleinwüchsige Performerin Leisa Prowd lasziv über einen Stuhl räkelt und das Publikum sie anfeuert, erzeugt dies spannende Momente, die auch eigene Wahrnehmungsmuster hinterfragen.

Zugleich steht gerade „Harmonia“ für einen weiteren klaren Punkt in einer seit langem laufenden Entwicklung: die Absage an den perfekten jungen Körper zugunsten einer hohen Diversität an Körperbildern. So besteht das Dance On Ensemble, das auf der Tanzplattform mit dem Stück „Mellowing“ von Christos Papadopoulos auftrat, ausschließlich aus Tän­ze­r*in­nen über 40 Jahren, was früher das Karriereende bedeutete. 75 Minuten lang liefern sie in einer äußerst präzisen Trippelschrittchoreografie. Wie Vogelschwärme fallen sie zusammen und auseinander und liefern einen Kontrapunkt zum vorgeblichen Diskurszwang.

Immer wichtiger in der Tanzcommunity scheint das aktive Sich-öffnen in Richtung neuer Publikumsgruppen. Ritta Mazza etwa kommt aus dem Bereich Gebärdensprache und versucht synästhetisch Rhythmus nur mit Körper und Licht einzufangen und spielt in „Matters of Rhythm“ ein unhörbares Lied. An der Decke baumeln ein paar nackte Glühbirnen, auf dem Boden verstreut finden sich seltsame Folienhaufen und mitten drin die unaufgeregte, geradezu freundlich einladende Rita Mazza. Zunächst in Dirigentinnenpose, aber bald in filigranem Wechselspiel zwischen Licht und Geste, Tanz und Objekten (in der Lichtchoreografie von Hanna Kritten Tangsoo) entwickelt dieses Stück ein unmerkliches Leuchten samt Verzauberung.

Bezaubernd ist auch Anna Tills „Schwanensee in Sneakers“ (entwickelt mit Nora Otte), das als erstes Stück für ein junges Publikum auf die Plattform gekommen ist. Till besticht durch einen unprätentiösen, aber umso witzigeren Ritt durch die Tanzgeschichte. Tümay Kılınçel verhandelt in „We 2 Raqs“ neue Zugänge zum Bauchtanz, und Ligia ­Lewis deckt in „A Plot / A Scandal“, das bereits mit dem Faust-Preis ausgezeichnet wurde, postkoloniale Geschichte auf.

Wegfall der Corona-Hilfen

Alles gut im Tanz, könnte man nach den fünf Tagen Tanzplattform resümieren. Doch die Stimmung unter den Künst­le­r*in­nen ist nicht die beste. Der Wegfall der Corona-Hilfen bedeutet weniger Produk­tionen, weniger Arbeitsmöglichkeiten, weniger Jobs.

„Wir sind wieder auf dem Normal vor Corona, und das heißt, es ist schlecht“, sagt eine Teilnehmerin. Immer mehr Akteure bewerben sich nun bei den Förderinstitutionen um im besten Fall stagnierende Töpfe. Dabei steigen die Kosten, denn nicht nur die Inflation schlägt zu, auch die mittlerweile geltenden Honoraruntergrenzen treiben die Produktionspreise nach oben. Gerade die Jüngeren, die am Anfang ihrer Karriere stehen, blicken in die Zukunft wie in ein schwarzes Loch, denn sie haben bisher nur die jetzt luxuriös wirkenden Arbeitsbedingungen unter den Corona-Schirmen kennengelernt.

Die Tanzplattform braucht sich indes um ihre Zukunft nicht zu sorgen. Die nächste Ausgabe wird 2026 in Dresden stattfinden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare