100. Todestag Lenins in Russland: Lebendiger als die Lebenden
Vor 100 Jahren ist Lenin gestorben. In der russischen Erinnerungspolitik spielt er fast keine Rolle mehr. Warum ist das so?
V or genau 100 Jahren starb Wladimir Lenin. In der UdSSR war er omnipräsent. Seine Bilder hingen in sämtlichen Schulklassen; Straßen und Plätze, Betriebe und Hochschulen wurden nach ihm benannt. Der „Anführer des Weltproletariats“ galt als Vorbild, gar als „bester Mensch auf der Welt“. Das pompöse Mausoleum mit seiner Mumie auf dem Moskauer Roten Platz spiegelte den nahezu grenzenlosen Lenin-Kult wider.
Selbst Michail Gorbatschow hat 1985 im Rahmen seiner Perestroikapolitik zunächst die Parole „Zurück zu Lenin“ ausgegeben. Seine Reformen machten eine kritische Auseinandersetzung mit Lenin möglich. Man reflektierte den „roten Terror“ und bolschewistische Verbrechen. Lenins antirussische Ressentiments wurden thematisiert. Auch die im Westen längst bekannte Tatsache, dass Lenins Rückkehr aus dem Schweizer Exil nach Russland und der anschließende bolschewistische Umsturz von Berlin ermöglicht und finanziert wurden, beschädigten seinen Ruf. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus galt Lenin zunächst als Unperson, seine Beerdigung schien nur eine Frage der Zeit zu sein.
Sowohl Jelzin als auch Putin hielten und halten nicht viel von Lenin. Putin wirft dem „westlich geprägten Fanatiker“ die Zerstörung des Zarenreiches vor, die Gründung der verhassten Ukraine und Verbindungen mit dem Kaiserreich in Deutschland. Die Beerdigung der Leiche hat er jedoch nicht riskiert. Denn es sind vor allem ältere Menschen – seine Wähler*innen – die gegen die Beerdigung sind. Putin will außerdem nicht, dass sein Umgang mit Lenin mit der Ukraine und mit dem Baltikum in Verbindung gebracht wird, wo Lenin verhasst und abgelehnt wird.
Nach einer neuesten russischen Umfrage bewerten 47 Prozent Lenin positiv und lediglich 15 Prozent negativ. Eine Mehrheit unterstützt zwar grundsätzlich seine Beerdigung, sieht jedoch darin keine Eile.
Der tote Lenin hat somit gute Chancen, die heutige russische Führung im Mausoleum zu überleben. Er ist, wie der sowjetische Dichter Wladimir Majakowski vor 100 Jahren betonte, „auch jetzt lebendiger als alle Lebenden“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies