100 Tage bis zur Abgeordnetenhauswahl: Pistazie oder Lindgrün?
Die Grünen stellen ihre Plakatkampagne für die Wahl im September vor. Ihr Wahlkampfbudget liegt 70 Prozent über dem der Wahl 2016.
Bei ihrer am Freitag vorgestellten Plakatkampagne dazu aber geht die Partei, die in der jüngsten Umfrage mit 22 Prozent knapp vor der CDU mit 21 liegt, noch einen Schritt weiter: „Berlin zur grünen Hauptstadt machen“, steht auf ihrem zentralen Plakat – und dort wie auf neun kleineren Plakaten sind alle Abgebildeten tatsächlich grün in vielen Schattierungen. Ausnahmen bilden bloß Details, vor allem die schwarzen Haare von Spitzenkandidatin Bettina Jarasch.
„Pistazie“ heiße wohl der Grundfarbton, mutmaßt nach der Präsentation jemand, aber da muss Jarasch-Sprecher Markus Kamrad intervenieren: Lind- oder hellgrün soll es sein. Nun ist Farbempfinden ja sehr subjektiv, aber der Ton wirkt mehr wie ein grün eingefärbter wolkenverhangener grauer Himmel.
Farbtupfer auf jedem Plakat ist ein rechteckiger kräftig-roter Kasten mit weißem Schriftzug. Der sagt: „Klar geht das.“ – also nicht nur, dass Jarasch Regierungschefin wird, sondern auch das Parkplätze zu Parks werden, das Tempelhofer Feld bleibt wie es ist, Umsteigen auf Bus und Bahn ohne lange Wartezeiten klappt und eine Grüne Welle für sichere Pop-up-Radwege kommt. Ausgedacht hat sich das die Agentur Dieckert Schmidt, mit der die Partei bereits im Wahlkampf 2016 zusammengearbeitet hat.
Den Termin im Gleisdreckpark hatten die Grünen an diesem Freitag anberaumt, weil es nun noch genau 100 Tage bis zum 26. September sind – dann werden zeitgleich Abgeordnetenhaus und Bundestag gewählt. Nicht gerechnet hatten die Wahlkampfstrategen mit zwei weniger erquicklichen Entwicklungen: Zum einen sind bloß 40 Stunden vor dem Kampagnenstart neue Umfragewerte bekannt geworden, in denen der zuvor neun Prozentpunkte große Vorsprung der Grünen auf die zweitplatzierte CDU zu einem einzigen Punkt zusammengeschmolzen ist.
Diskussion um Tempo 30
Zum anderen hat der Tagesspiegel die Meldung in Umlauf gebracht, die Grünen würden an Tempo 30 in ganz Berlin denken. „Systematisch und stadtweit“ solle das angeblich nach einer Prüfung in der grün geführten Senatsverkehrsverwaltung passieren. Als es dazu eine Nachfrage gibt, werden die gerade noch vor der großen Plakatwand lächelnden Grünen mit Jarasch und den Landesvorsitzenden Nina Stahr und Werner Graf ziemlich ernst.
Denn die Grünen und Tempo 30, so sinnig das auch sein mag – das ist eine spezielle Geschichte: Als 2011 Renate Künast mit großem Vorsprung auf direktem Weg ins Rote Rathaus schien, sprach sie sich für stadtweit Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit aus. Für viele war das der Anfang vom Abstieg der Grünen von der Umfragenführung auf nur noch Platz 3 am Wahlabend, hinter den später fünf Jahre zusammen regierenden SPD und CDU.
Jaraschs Sprecher Kamrad will darum nach der Frage erstmal intervenieren, Jarasch sagt nichts, und Stahr macht klar: „Es geht nicht um stadtweit Tempo 30.“ Ziel soll vielmehr eine Tempominderung im Sinne des Gesundheitsschutzes an lärmbelasteten Straßen sein.
Für ihre Kampagne geben die Grünen dieses Jahr nach eigenen Angaben 2,7 Millionen Euro aus, fast siebzig Prozent mehr als bei der Abgeordnetenhauswahl 2016. Das gestiegene Budget geht einher mit einer mehr als verdoppelten Mitgliederzahl: Ende 2016 gab es rund 5.000 Berliner Grüne, aktuell hat der Landesverband knapp 11.000 Mitglieder. Der Anstieg entspricht laut Stahr dem bundesweiten Wachstum der Partei, in der jedes zehnte Mitglied Berliner ist. „Wir können richtig Geld in die Hand nehmen, um die Stadt zu begrünen“, sagt die Landesvorsitzende.
Die Stimmung der Grünen bei diesem sowohl an die Presse als auch an Mitglieder gerichteten Termin in der Mittagshitze ist trotz sinkender Werte und sonstiger Diskussionen durchaus gut. Nach dem Ende des offiziellen Teils, als Grüne und Medienleute noch plauschend beisammenstehen, weht ein Windstoß einen der Ständer für die gerade präsentierten Wahlplakate um – was ein Journalist mit „Die Grünen stürzen ab …“ kommentiert. Ein junges Parteimitglied, das den Ständer umgehend aufrichtet, kontert gelassen: „… und bauen's wieder auf.“
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