Grüne OB-Kandidatin verliert in Umfrage: Ernüchterung nach Künast-Hype
Spitzenkandidatin Renate Künast patzt im Wahlkampf. Prompt sackt die Partei in Umfragen ab. Doch Künast könnte Regierungschefin werden - mit Hilfe der CDU.
BERLIN taz | Sieg und Niederlage liegen derzeit eng zusammen für Renate Künast. Kaum vier Wochen ist es her, da schien die Chefin der grünen Bundestagsfraktion auf direktem Weg ins Rote Rathaus, dem Sitz des Regierenden Bürgermeisters von Berlin.
Schier unaufhaltsam war ihre Partei bis auf 30 Prozent gestiegen, lag in einem halben Dutzend Umfragen bis zu 8 Prozentpunkte vor der derzeit regierenden SPD. Frenetische Begeisterung begleitete ihre für grüne Verhältnisse pompöse Kür zur Spitzenkandidatin. Jetzt aber, nach mehreren unglücklichen Auftritten Künasts, sind die Grünen in Umfragen abgerutscht und liegen erstmals seit August gleichauf mit der SPD.
Für manchen bekommt da eine Analyse des Wahlforschers Manfred Güllner eine ganz andere Bedeutung. Folgte man in den vergangenen Monaten dem Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, spielte Künast im Grünen-Boom zwar eine Rolle, war aber noch nicht wirklich einkalkuliert. Für die Grünen schien klar: Wenn Künast nach langem Schweigen endlich ihre Kandidatur bekannt geben würde, würden die Werte richtig anziehen.
Hinter dem Berliner Landesverband lag da schon ein Boom, der selbst das rasante FDP-Hoch im vergangenen Jahr bei weitem übertraf. Von 16 Prozent im Mai 2009 bis zu diesem Oktober hat sich der Zuspruch für die Grünen fast verdoppelt. Jetzt aber sieht es so aus, als ob Künast die Werte eher nach unten zieht.
Das könnte gute Gründe haben. Künast war kaum zur Kandidatin gewählt, da propagierte sie berlinweit Tempo 30 und legte zudem nahe, dass die Grünen langfristig das Gymnasium abschaffen könnten - wogegen es selbst parteiintern bei den Bildungsbürgerlichen einen Aufstand geben würde. Und erst jüngst stellte sie den Berliner Großflughafen, der 2012 eröffnen soll, in seiner Funktion als internationales Drehkreuz in Frage. Das überraschte umso mehr, als sich die Fraktionspitze der Landes-Grünen in den vergangenen Monaten intensiv und durchaus erfolgreich um Anerkennung bei Unternehmen und Wirtschaftsverbänden mühte.
Wahlkampf: Berlins BürgerInnen wählen am 18. September 2011 ein neues Abgeordnetenhaus. Derzeit regiert Klaus Wowereit (SPD) in einer Koalition mit der Linkspartei. Für die Grünen ist die Wahl die Chance, erstmalig eine Regierungschefin auf Landesebene zu stellen. Die Partei saß bereits 1989/90 und 2001 kurzfristig als Juniorpartnerin der SPD im Senat.
Umfragen: Wenn am Sonntag Abgeordnetenhauswahl wäre, kämen die Grünen laut einer Infratest-dimap-Umfrage auf nur noch 27 Prozent - 3 Prozentpunkte weniger als im Oktober. Die SPD käme ebenfalls auf 27 Prozent (plus 5). Die CDU wächst leicht von 20 auf 21 Prozent. Die Linken bleiben stabil bei 17 Prozent. Die FDP verharrt bei 3 Prozent.
Hält der Abwärtstrend an, wird das zwangsläufig Kritiker mobilisieren - jene, denen die Nominierung Künasts nicht demokratisch genug war. Die 54-Jährige war nicht etwa durch einen innerparteilichen Meinungsbildungsprozess, sondern durch monatelange Medienspekulation in eine Situation gekommen, in der ein Grünen-Parteitag gar nicht mehr Nein sagen konnte, als sie sich zur Kandidatur bereit erklärte.
Im Berliner Landesverband, immer wieder mal als links eingeordnet, doch längst vom realpolitischen Lager dominiert, kommt bislang aber selbst aus dem linken Kernbezirk in Kreuzberg kein Aufmucken gegen diese Personalisierung. Das hat viel mit dem dortigen Aushängeschild Christian Ströbele zu tun, dem bundesweit einzigen direkt gewählten grünen Bundestagsabgeordneten. Dessen Ikonisierung in Kreuzberg konnte auch Künast nicht toppen.
Linke Grüne dort, die noch 2009 eine Koalition mit der CDU zum Tabu erklärten, sind inzwischen umgeschwenkt. Unter den gegebenen Verhältnissen mit den Grünen als größerem Partner, heißt es, wäre das etwas ganz anderes als Schwarz-Grün - da wären die Grünen Koch, und die um 20 Prozent verharrende CDU wäre Kellner.
Nach dem Ende von Schwarz-Grün in Hamburg tönten zwar manche, damit sei für Berlin ein Bündnis mit der Union vom Tisch. Wer hinhörte, der fand kein aber Wort von Künast, mit dem sie Grün-Schwarz für alle Zeiten begrub, auch wenn sie ausdrücklich die größten Schnittmengen bei der SPD sieht.
Verfestigt sich der neue Umfragetrend und landen die Grünen am 18. September 2011 hinter der SPD, aber vor der CDU, so steht die Partei am Wahlabend vor der entscheidenden Frage: Nutzt sie die - je nachdem, wie die Kollegen in Baden-Württemberg im März abschneiden - historische Chance, erstmals einen Ministerpräsidenten zu stellen, und nimmt dafür eine Koalition mit der CDU in Kauf? Oder geben sich die Berliner Grünen mit der Rolle des Juniorpartners zufrieden und verhelfen damit der SPD zum Weiterregieren?
Künast hat längst klargemacht, dass sie allein Regierende Bürgermeisterin werden will und sonst im Bundestag bleibt. Das legt nahe, dass sie mit der CDU zumindest verhandeln würde. Die Union wiederum wäre nach zehn Jahren in der Opposition sichtlich bereit, zahlreiche Zugeständnisse zu machen.
Unangetastet ist das schwarze Feindbild fast nur noch beim Parteinachwuchs, der Grünen Jugend. Die CDU, sagte deren Landeschefin Madeleine Richter jüngst der taz, "das ist die dunkle Seite der Macht".
Leser*innenkommentare
Victor Schiering
Gast
"Renate Künast patzt im Wahlkampf" - diese Überschrift macht mich neugierig!
Aber was war gemeint?
In den Augen des Herrn Alberti ein In-Frage-Stellen des Individual und -Flugverkehrs und des sich im Gymnasium abschottenden Teil des Bildungsbürgertums.
Es folgte ein ungläubiger Blick auf die Titelseite der Zeitung - hatte sich der/die ZustellerIn geirrt und mir heute aus Versehen DIE WELT in den Briefkasten geschmissen?
Also liebe taz!
Thema sollte doch vielmehr sein, wie die Grünen TROTZ Umfragehoch und wachsendem Machthunger ihre grünen Inhalte NICHT über Bord schmeissen (und dazu gehören die genannten, wie auch immer man/frau dazu stehen mag, zweifelsohne!).
Was hättet Ihr (zu recht) geschrieben, wenn solch Programmatik verschwände: "Künast perfekt wählbar für Kreuzberger Edelökos - Gewissen beruhigt und alles bleibt beim alten" - so oder ähnlich hätte es da geheißen.
Im Sinne von Glaubwürdigkeit und Unterscheidbarkeit von Parteien wünsche ich unserer Demokratie viele, viele solcher Patzer, Euch eine weniger weichgespülte und doppelbödige Berichterstattung und natürlich Berlin eine zukünftige Regierung, die für die Menschen, besonders die, die sich weniger wehren können (z.B. FußgängerInnen, RadfahrerInnen, Kinder, Behinderte und alle, die nicht ständig auf Kosten aller die Stadt verschandeln, verlärmen, vergiften und für andere eine stete Lebensgefahr darstellen) die Weichen in eine spürbar lebenswertere Zukunft stellt.
nico
Gast
Die Grünen sind nicht in der Lage ein Industrieland
wie Deutschland zu regieren.
Ihre katastrophale Energiepolitik verbunden mit der
Verkehrspolitik entziehen unserem Land die Grund-
lage seiner Entwicklung.
Wachstums- und Wohlstandsfeinlich sind ihre politischen Grundlagen.
Langsam dämmert den Linken, daß dies keine ratationale, wissenschaftsorientierte Denkweise ist,
sondern religionsähnlicher Fundamentalismus.
Das Anbeten des CO2-Götzen und die klimaorientierte Weltrettungsphilosphie erhellen die romatischen Wurzeln der Denke.
Michael
Gast
Wenn Sie noch öfters durch Talk-Shows tingelt und pampig rummault, wird das sowieso nichts.
Frank
Gast
"Doch Künast könnte Regierungschefin werden - mit Hilfe der CDU"
und mit denen schafft sie dann die Gymnasien ab und führt Tempo 30 ein, oder wie?
GJDO
Gast
Tempo 30 im Stadtverkehr, das Gymnasium abschaffen...
das sind richtig gute Ziele, ob das nun sinkende Umfragen beschert oder nicht. Die Grünen sollten da dran bleiben, auch gegen den Mainstream und gegen weniger Prozente. Die Grünen haben ihr Programm viel zu sehr verwässert um so hoch zu kommen. Wenn sie ihr Programm wieder schärfen, dann werden sie auch wieder verlieren, aber dann könnte man sie auch wieder von anderen Parteien unterscheiden...
Angelika Finke
Gast
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Eigentlich bin ich eine treue Berliner SPD-Stammwählerin, aber vor den Äußerungen von Künast hatte ich sogar überlegt, die Grünen zu wählen und damit Künast zur Regierenden Bürgermeisterin.
Der Flirt ist vorbei:
Mit ihren rotzigen/trotzigen Statements zeigt sie, dass es ihr nur um die Macht geht, egal wie und wo.
Ich traue ihr nicht und glaube nicht, dass ihr das Wohlergehen Berlins oder die Lösung der sozialen Probleme der Stadt ein Anliegen sind.
rad
Umfragen sind Blöd
Gast
Umfragen sind blöd, und sollten nicht einfach so aus dem Stand interpretiert werden. Während bei Infratest dimap es tatsächlich mal einen 8-Punkte Abstand zwischen grüne und SPD gab, gab es einen solchen niemals bei Forsa. Dort ist nichtmal ein Abwärtstrend der Grünen erkennbar.
Das sind alles statistische Schwankungen und Besonderheiten. Umfragen sollten nicht so sinngebend kommentiert werden, sondern einfach nur im Nebensatz als witzige Anekdote.
Aber ich weiß ja, wie einfach es sit, Politik durch gefälschte, verbogene oder günstig interpretierte Umfragen zu beeinflussen. Der dumme Bürger glaubt den Medien.