+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Ermittlung nach Erschießungsvideo
Die UN untersuchen Hinrichtungsvorwürfe. Präsident Selenski würdigt Landsleute. Berlin und Warschau sind im Gespräch über Patriot-Systeme.
Untersuchungen nach Videos von Tötung russischer Soldaten
Nach dem Auftauchen von Videos, die die Erschießung sich ergebender russischer Kämpfer durch ukrainische Soldaten zeigen sollen, sind internationale Untersuchungen angekündigt worden. Die Vorwürfe über die Hinrichtung von Menschen, die nicht mehr an Kampfhandlungen teilnahmen, sollten „umgehend, vollständig und wirksam untersucht und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden“, sagte eine Sprecherin des UN-Menschenrechtsbüros in Genf der Deutschen Presse-Agentur am Montag.
Die Videos waren in der vergangenen Woche in sozialen Netzwerken aufgetaucht. Sie zeigen, wie sich mehrere russische Soldaten – von Ukrainern bewacht – auf den Boden legen. Dann sind Schüsse zu hören. Eine weitere Aufnahme zeigt knapp ein Dutzend Leichen. Die Bilder sollen Mitte November aufgenommen worden sein, als die ukrainische Armee den Ort Makijiwka im Gebiet Luhansk im Osten des Landes zurückeroberte.
Die US-Zeitung New York Times bezeichnete die Videos nach einer gemeinsamen Recherche mit Experten am Sonntag zwar als authentisch. Der genaue Ablauf des Vorfalls und seine Hintergründe sind aber noch unklar. Russland und die Ukraine werfen sich gegenseitig Kriegsverbrechen vor. Kremlsprecher Dmitri Peskow kündigte an, Moskau werde selbst nach den verantwortlichen Ukrainern suchen. „Sie müssen gefunden und bestraft werden.“
Kiew hingegen argumentiert, die Tötung der Russen sei ein Akt der Selbstverteidigung gewesen, da einer der feindlichen Soldaten – statt sich zu seinen Kameraden auf den Boden zu legen – plötzlich das Feuer eröffnet habe. Indem die russischen Kämpfer ihre Kapitulation nur vorgetäuscht hätten, hätten sie selbst ein Kriegsverbrechen begangen, sagte der ukrainische Menschenrechtsbeauftragte Dmytro Lubinez. Die Ukrainer hätten das Feuer lediglich erwidert – und somit korrekt gehandelt.
Selenski würdigt Landsleute
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski würdigt den Einsatz seiner Landsleute anlässlich des „Tages der Würde und Freiheit“, an dem in der Ukraine der proeuropäischen Proteste von 2013/14 und der Orangen Revolution von 2004 gedacht wird. „Wir können ohne Geld dastehen. Ohne Benzin. Ohne heißes Wasser. Ohne Licht. Aber nicht ohne Freiheit“, sagt er in einer Videoansprache. „Es gibt viele Veränderungen, aber sie haben das Wichtigste nicht verändert. Denn das Wichtigste ist nicht außen, sondern innen. Und das bleibt unverändert. Und deshalb werden wir durchhalten.“ In der Zukunft würden sich die Ukrainer auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew versammeln und „den Tag des Sieges der Ukraine feiern. In einem friedlichen Kiew, in einer friedliche Ukraine.“
Berlin und Warschau im Gespräch über Patriot-Systeme
Die Bundesregierung und die polnische Regierung sind nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Berlin in Gesprächen sowohl über den Einsatz deutscher Patriot-Systeme als auch eines sogenannten Airpolicings für das osteuropäische Land. „Wir freuen uns über das Interesse“, sagt ein Sprecher zu dem deutschen Angebot, nach dem Einschlag einer Rakete in Polen Patriot-Luftabwehrsysteme zur Verfügung zu stellen. Wie die deutsche Hilfe genau aussehen soll, könne man noch nicht sagen.
Selenski: Hunderttausende Menschen deportiert
Seit Kriegsbeginn im Februar hat Russland die Ukraine nach deren Angaben mit knapp 4.700 Raketen beschossen und große Teile des Landes in Trümmer gelegt. „Hunderte unserer Städte sind praktisch niedergebrannt, tausende Menschen wurden getötet, Hunderttausende wurden nach Russland deportiert“, sagte Präsident Wolodimir Selenski am Sonntag.
Allein am vergangenen Dienstag habe Russland knapp 100 Raketen auf die Ukraine abgefeuert. „Hundert verschiedene Raketen gegen unsere Städte, gegen Wohngebäude, gegen Unternehmen, gegen Kraftwerke“, sagte Selenski in einer Videobotschaft an die internationale Organisation der Frankophonie – ein Zusammenschluss französischsprachiger Staaten, deren Vertreter sich im tunesischen Djerba trafen. Als Folge dieser Angriffe seien über 20 Millionen Menschen zeitweise ohne Stromversorgung gewesen.
„Millionen Menschen haben die Ukraine verlassen, um in anderen Ländern Schutz vor dem Krieg zu suchen“, sagte Selenski. Er bat die Mitgliedstaaten der Frankophonie um Hilfe. „Die Ukraine will wirklich Frieden. Aber um den Frieden wiederherzustellen, brauchen wir Unterstützung.“ Eine Rückkehr zum Frieden sei möglich, „wenn jeder auf der Welt versteht, dass niemand auf der Welt einen einzigen Tag des Terrors verdient“. (dpa)
Weiter erbitterte Gefechte im Donbass
Die erbitterten Gefechte im Donbass im Osten der Ukraine dauern nach den Worten Selenski weiter an. Vor allem das Gebiet um Donezk sei schwer umkämpft, sagte er am Sonntagabend in seiner täglichen Videoansprache. „Obwohl es wegen der Verschlechterung des Wetters weniger Angriffe gibt, bleibt die Zahl der russischen Artillerieüberfälle leider hoch.“ Auch der Generalstab in Kiew hatte zuvor von fortgesetzten Zusammenstößen an verschiedenen Frontabschnitten im Osten des Landes berichtet. Bei Luhansk seien mehrere russische Vorstöße abgewehrt worden, hieß es. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
Das Verteidigungsministerium in Kiew widersprach unterdessen Spekulationen westlicher Medien und Militärvertreter, wonach im Winter an den Fronten eine Kampfpause eintreten könnte. „Wer über eine mögliche “Pause der Feindseligkeiten“ wegen der Minustemperaturen im Winter spricht, hat vermutlich noch nie im Januar ein Sonnenbad an der Südküste der Krim genommen“, erklärte die Behörde über Twitter. (dpa)
Kiew: Russen bauen Stellungen aus und stehlen Autos
Nach ihrem Rückzug auf das Ostufer des Flusses Dnipro bei Cherson in der Südukraine bauen russische Soldaten dort nach Angaben aus Kiew neue Abwehrstellungen aus. Gleichzeitig seien sie etwa im Bezirk Kachowka vermehrt dazu übergegangen, Fortbewegungsmittel der Zivilbevölkerung zu stehlen, teilte der ukrainische Generalstab in Kiew am Sonntag mit. „Sie stehlen der Bevölkerung ihre Privatautos, Motorräder und sogar Fahrräder“, hieß es in der Mitteilung. (dpa)
IAEA-Team will AKW Saporischschja auf Schäden untersuchen
Ein Team der Internationalen Atomenergie-Agentur IAEA will am Montag das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja auf mögliche Schäden untersuchen und das Ausmaß der Explosionen vom Wochenende dokumentieren. Das von russischen Truppen besetzte größte Atomkraftwerk Europas war am Samstag und Sonntag von Dutzenden Granateinschlägen erschüttert worden. Auch in den Monaten davor war das AKW mehrfach unter Beschuss geraten. Die Ukraine und Russland geben sich gegenseitig die Schuld dafür. (dpa)
Deutschland bietet Polen Unterstützung an
Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) will Polen nach dem Raketeneinschlag im Grenzgebiet zur Ukraine mit dem Patriot-Abwehrsystem helfen. „Wir haben Polen angeboten, bei der Absicherung des Luftraums zu unterstützen – mit unseren Eurofightern und mit Patriot-Luftverteidigungssystemen. Mit denen sind wir ja auch schon in der Slowakei – die Präsenz dort wollen wir bis Ende 2023 verlängern, eventuell sogar noch darüber hinaus“, sagte Lambrecht der Rheinischen Post und dem General-Anzeiger.
In dem polnischen Dorf Przewodów, nur sechs Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt, war am Dienstag eine Rakete eingeschlagen. Zwei Zivilisten starben. Westliche Regierungen gehen davon aus, dass es eine verirrte ukrainische Flugabwehrrakete war, die zur Verteidigung gegen Angriffe des russischen Militärs eingesetzt wurde. (dpa)
Das wird am Montag wichtig
Für die Republik Moldau, ein wichtiges Zielland von Kriegsflüchtlingen aus der benachbarten Ukraine, wird am Montag in Paris eine internationale Geberkonferenz organisiert. Dabei geht es um weitere Hilfszusagen für die ehemalige Sowjetrepublik. An dem Treffen beteiligt sind Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne), ihre französische Kollegin Catherine Colonna sowie Rumäniens Außenminister Bogdan Aurescu und der moldauische Ressortchef Nicu Popescu.
Moldau wurde im Juni mit der Ukraine zum EU-Beitrittskandidaten erklärt. In das Land mit seinen 2,6 Millionen Einwohnern kamen zu Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine Hunderttausende Flüchtlinge. Davon sind 90.000 weiter im Land, deshalb hofft der zwischen Rumänien und der Ukraine liegende Staat auf Unterstützung. Eine erste Geberkonferenz gab es im April in Berlin und eine zweite im Juli in Bukarest, bei der 600 Millionen Euro an Hilfsmitteln zusammenkamen. (dpa)
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