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Mercusor-AbkommenNeokoloniales Projekt

Gerhard Dilger

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Gerhard Dilger

Das Mercosur-Abkommen könnte trotz heftiger Proteste bald verabschiedet werden. Dabei richtet es sich gegen die Umwelt und die indigenen Völker.

Protest gegen das Mersocur-Abkommen in Brüssel im November 2025 Foto: Piroschka Van De Wouw/reuters

S ame procedure as every year: Wieder heißt es, das Handelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Bolivien, Paraguay und Uruguay stehe kurz vor der Ziellinie. Es sei „die letzte Chance“, um dort gegen China zu punkten, den bereits größten Handelspartner der Region. Am eifrigsten bemüht sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die ihren Flug zum Fototermin vor den Iguaçu-Wasserfällen absagen musste. Vor einem Jahr hatte sie bereits mit Brasiliens Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva einen recht eigenmächtigen Abschluss in Montevideo gefeiert – zu früh.

Bei der jüngsten Ratifizierungsdebatte im Europarat waren es bei Weitem nicht nur die Regierungen der beiden EU-Schwergewichte Frankreich und Italien, die sich dem deutschen Druck widersetzten, sondern auch jene aus Irland, Belgien, den Niederlanden, Österreich, Polen, der Slowakei, Ungarn und Rumänien. Dabei versuchen deutsche Regierungen schon seit vielen Jahren, den Vertrag mit der Brechstange, allerhand Tricks und durchsichtigen Schmeicheleien durchzudrücken. Bei ihren Südamerikabesuchen lassen sie keine Gelegenheit aus, um dafür zu werben.

Die Lobby der Befürworter ist ungleich mächtiger als die Mitglieder der über 400 Kleinbauern-, Umwelt- oder Nord-Süd-Organisationen beiderseits des Atlantiks, die ihn ablehnen. Denkt man an die Ressourcen, die Generationen von Politikern, Unternehmern, Mitglieder sozialer Bewegungen oder von NGOs seit 1999 hineingesteckt haben, ist es tatsächlich der „größte Deal aller Zeiten“, wie es oft heißt. Leider ein schlechter – jedenfalls, wenn man eine gerechte und ökologische Handelspolitik als Maßstab nimmt.

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Im Kern handelt es sich um ein neokoloniales Projekt. Sollte es tatsächlich bald ratifiziert werden, wird es wenige Gewinner und viele Verlierer geben. Profitieren werden europäische, vor allem deutsche Unternehmen: Auto- und Maschinenbauer, Chemie- und Pharmakonzerne, Weinbauern. In Südamerika freuen sich bereits die mächtigen Protagonisten des Agrobusiness, an dem keine Regierung vorbeikommt. Angehörige der oberen Mittelschicht von Buenos Aires oder São Paulo dürfen künftig unter mehr und preiswerteren Milchprodukten oder direkt importierten SUVs aus Europa auswählen. Schließlich wird es für Firmen aus der EU einfacher, Lithium, seltene Erden oder andere kritische Rohstoffe zu fördern oder zu importieren.

Bescheidene umweltpolitische Regeln, die die Europäer angesichts des brasilianischen Urwald-Killers Jair Bolsonaro durchsetzten, wurden gegenüber Lula wieder zurückgenommen. In den letzten Verhandlungsrunden gelang es Brasilien, längere Übergangsfristen für die heimische Autoindustrie oder Verbesserungen beim öffentlichen Beschaffungswesen zu erzielen – nun müssen nicht mehr alle Ausschreibungen für europäische Firmen geöffnet werden. Die Südamerikaner lehnen einklagbare Bestimmungen zum Schutz der Umwelt oder der Menschenrechte ab und rennen damit bei dieser EU offene Türen ein, wie die jüngste Entkernung des Lieferkettengesetzes zeigt. Besonders absurd ist ein neues Klagerecht gegen die Nachhaltigkeitsgesetze des europäischen Green Deal.

Die Lebensumstände vieler indigener Völker und Kleinbauern werden sich verschlechtern

Der Trend zur „Reprimarisierung“, also zur Fixierung auf den Export von kaum weiterverarbeiteten mineralischen Rohstoffen und Agrargütern der südamerikanischen Volkswirtschaften, setzt sich weiter fort und erinnert an die internationale Arbeitsteilung in der Kolonialzeit. Gewerkschafter in Argentinien und Brasilien kritisieren diese Großattacke auf ihre Industrie, die viele Tausende Arbeitsplätze kosten wird. Doch ihr Einfluss ist gering. Wirtschaftslobbyisten hatten allerdings stets direkten Zugang zu den geheim geführten Verhandlungen.

Der Vertrag treibt die Urwaldzerstörung voran, Regenwälder und Savannen machen Sojafeldern und Rinderherden Platz. Das trägt zur Verschärfung des Klimawandels bei. Die Lebensumstände vieler indigener Völker und Kleinbauern, die schon jetzt Vertreibungen durch Großprojekte ausgesetzt sind, werden sich ebenfalls verschlechtern. Das befürchten nicht nur die Hilfswerke Misereor und Brot für die Welt.

Am stärksten und wirkungsvollsten ist der Widerstand der europäischen Landwirte, vom Bayerischen Bauernverband bis zur linken Confédération paysanne in Frankreich. Sie sehen sich durch die Konkurrenz von Billigprodukten aus dem Mercosur bedroht, die nicht unter den viel strengeren EU-Standards produziert werden. Bereits jetzt exportieren Chemiemultis Unmengen von Agrargiften dorthin, die in Europa nicht zugelassen sind und auf dem Umweg über die Soja- oder Rindfleischproduktion im Mercosur wieder auf den Tellern der europäischen Verbraucher landen.

Keine Augenhöhe

Oft ist in Brüssel von Verhandlungen „auf Augenhöhe“ oder von einer „Wertegemeinschaft“ die Rede, doch die Fragezeichen dahinter häufen sich. Heute sollen asymmetrische Energiepartnerschaften boomen. Kultur, Klimaschutz und Menschenrechte hingegen haben keine Konjunktur. Dass die EU in der Ukraine und im Nahen Osten mit zweierlei Maß agiert, kostet sie auch in Südamerika viele Sympathien. Dort wiederum geht es ihr in erster Linie um Profite. Dieses Mercosur-Abkommen ist der beste Beleg dafür.

Geopolitische Spannungen zerren an beiden Wirtschaftsblöcken. Angesichts der Zollpolitik der US-Regierung setzt Lula auf mehr Multilateralismus, auf Abkommen mit Kanada, Japan, Vietnam oder Indien. Dem argentinischen Ultra Javier Milei ist jede Zusammenarbeit im Rahmen des Mercosur ein Graus. Seine Außenpolitik ist fast ausschließlich auf die USA fixiert, er ist Donald Trumps U-Boot in der Region. Dass diese beiden das Abkommen als nächste torpedieren könnten, ist durchaus denkbar.

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Gerhard Dilger
Gerhard Dilger ist über 60 und immer noch links. 2008 war er Mitbegründer des latin@rama-Kollektivs, bis 2012 Südamerikakorrespondent der taz in Porto Alegre, anschließend Büroleiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in São Paulo und Buenos Aires.
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8 Kommentare

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  • Bisher wurde noch jedes Handelsabkommen vorab verteufelt, zumindest von einem erheblichen Teil der Linken. Man denke an TTIP oder CETA. Als Begründung wird immer behauptet, nur die Industrie profitiere, Umwelt- und Sozialstandards würden geschwächt.



    Auch dieser Artikel lässt da nichts aus.

    Es scheint so, als ob freier Austausch und wirtschaftliches Prosperieren generell als etwas negatives gesehen würden. Warum eigentlich?



    Zeigt nicht die Geschichte der EU, dass wirtschaftliche Zusammenarbeit gute Impulse für Frieden, Sicherheit, Wohlstand und kulturelle Bereicherung setzen kann?

  • Auch wenn man es nicht überall gerne hört: Die Haltung zu Mercosur ist ein schönes Beispiel dafür, dass der linke und der rechte Rand bei Bedarf ganz gerne an einem Strang ziehen. Es sind halt nicht nur linke Bauernverbände und Kolonialisierungskritiker dagegen, sondern auch rechte Akteure wie hierzulande die AfD oder Rassemblement National in Frankreich. Der Kampf gegen Globalismus scheint die Lager zu vereinen.

  • Den Begriff "Neokolonianismus" dermaßen inflationär zu gebrauchen, hilft nicht weiter.

    Die Mächtigen im Agrargeschäft in Südamerika werden profitieren, die obere Mittelschicht freut sich auf billigere europäische Autos und Michprodukte.

    Europäische Bieter darf die öffentliche Verwaltung in Vergabeverfahren ausschließen, bessere Umweltschutzregeln hat Südamerika erfolgreich verweigert.

    Wenn das Kolonialismus heißt, müsste man sich fragen, was so super schlimm am Kolonialismus war und wie die vielen Toten im Kolonialismus eigentlich entstanden sind.

    Der Artikel wäre auch ohne diesen populistischen Rückgriff auf einen Trigger-Begriff informativ gewesen.

  • Ein katastrophales Objekt.

    In den letzten Jahren macht die EU immer weitere Rückschritte bezüglich Natur, Klima, Menschen- und Tierrechten.

    Große Teile der Medien schweigen dazu.

    Kürzlich noch, im Dezember 2025, eine historische Einigung zur Neuregulierung gentechnisch veränderter Pflanzen.. Der Fokus liegt auf den sogenannten Neuen Genomischen Techniken (NGT) wie der Genschere CRISPR/Cas.

    Albtraum.

    EU? Nein danke.

    Dazu Greenpeace: "Gefahr voraus!

    www.greenpeace.de/...editing_report.pdf

  • Das einzige Neo Coloniale ist doch dass die EU von Südamerika verlangt, europäische Standards zu erfüllen. Damit drücken wir demokratisch gewählten Regierungen unsere Regeln auf. Auf alle Sonderstandards zu verzichten und einfach Freihandel zu vereinbaren, wäre eine Abkehr von europäischer Dominanz.

    • @Miriam:

      Wenn man seine eigenen Regeln im eigenen Hause aufgibt, ist das nicht demokratisch und antikolonialistisch, sondern schlicht Unterwerfung unter fremde Regeln und Einverständnis kolonialisiert zu werden.



      Ich frag mich immer wieder, warum andere Länder mit anderen Regeln gemessen werden sollen.

  • Ich will mal so sagen: Das was ich zunehmend als kolonial betrachte ist das völlig unsägliche reindirigieren Europas in jeden Winkel der Welt, Stichwort Menschenrechte, Demokratiedefinition, Lieferkettenqualitäten.... und sich aber beschweren wenn der Vance in München aus US-Trump Sicht, mangelnde Meinungsfreiheit reklamiert. Jeder geht derzeit jedem maximal auf die Nerven wie mir scheint. Und Europa weiß es natürlich stets am besten.



    Und gleichzeitig protektionistisch agieren bei Agrarprodukten um den teuren EU Agrarmarkt vor allem und jedem zu schützen. Da meinen wir dann sogar ähnliche Themen.

  • Mit diesem "Frei"-Handelsabkommen ist es wie es mit vielen anderen auch ist: die Konzerne verdienen prächtig, die arbeitenden Menschen werden bis zum Anschlag ausgebeutet, Klima und Umwelt sind nur Dekoration in schönen Sonntagsreden. Es ist Kolonialismus anno 2026. Und das alles feiern wir als unsere "Werte". Das ist nicht mal falsch, denn außer Profit entsteht kein "Wert" und darum geht es schließlich.