: Ernüchternde Ernte
Mit dem neuen Cannabisgesetz sollte durch die Social Clubs auch der Schwarzmarkt verdrängt werden. Die Clubs aber haben es schwer. Legal läuft da wenig. Der Schwarzmarkt brummt
Aus Berlin Andreas Hartmann
Ein „richtiges Scheißgesetz“ sei das, was die Ampelregierung mit der Teillegalisierung von Cannabis auf den Weg gebracht hat. So äußerte sich Bundesinnenminister Alexander Dobrindt vor Kurzem bei der Vorstellung eines neuen Lageberichts des BKA zur organisierten Kriminalität. Im Zusammenhang mit diesem Thema kam er auf Drogen zu sprechen, auf Drogentote und eben die Teillegalisierung. Wer Kiffer nicht gesetzlich verfolgt, fördert das ganze Drogenelend samt Kriminalität auch noch, so etwas in der Art wollte er zum Ausdruck bringen mit seinen Worten, die vom Social-Media-Team seiner CSU als „Klartext“ beworben wurden. Einmal mehr hat Dobrindt die Forderung der Union bekräftigt, das drogenpolitische Vermächtnis der Vorgängerregierung ohne Wenn und Aber verschwinden zu lassen.
Das wollen die laut Schätzungen fast 5 Millionen Cannabiskonsumenten in Deutschland sicherlich nicht. Aber wer sich einmal mit dem beschäftigt hat, was unter dem ehemaligen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gesetzgeberisch auf den Weg gebracht wurde, um Kiffern eigentlich das Leben zu erleichtern, kommt kaum herum, Alexander Dobrindt auch ein wenig beizupflichten. In vielerlei Hinsicht ist es schließlich wirklich scheiße, das neue Cannabisgesetz.
Mario Gäde, Vorstand der Cannabis-Anbauvereinigung White Lake Weed in Berlin, der sich mit der Materie gut auskennt, formuliert es so: „Das fängt schon an mit den 50 Gramm Cannabis oder 50 Gramm Hasch, die als Besitzmengen erlaubt sind. Wer sich so etwas ausdenkt, hat von vorneherein nichts verstanden. Hasch ist schließlich unglaublich viel potenter als Cannabisblüten. Das ist wie ein Ziegelstein im Vergleich zu einem Sack voller Federn. Schon hier zeigt sich: Das komplette Gesetz ist null durchdacht.“
Eineinhalb Jahre nach seiner Einführung hat sich eigentlich nur bestätigt, was von vornherein befürchtet wurde: das Gesetz ist zu kompliziert und unpraktikabel. Zu dem Schluss kommen auch die Experten der Universitätskliniken Hamburg-Eppendorf und Düsseldorf, sowie der Universität Tübingen in ihrer eben vorgestellten ersten Zwischenevaluierung der Teillegalisierung. Darin betonen sie noch einmal die primären Ziele der ehemaligen Ampelregierung: Konsumenten den Zugang zu legalem und nicht verunreinigtem Cannabis zu ermöglichen und den Schwarzmarkt zurückzudrängen. Und sie weisen darauf hin, auf welche Art und Weise diese vornehmlich erreicht werden sollen: Durch Anbauvereinigungen wie die von Mario Gäde, die möglichst flächendeckend ihre Mitglieder in ganz Deutschland mit selbst angebautem Gras versorgen, und das ohne Gewinnabsichten.
Die wenigen hundert Vereine, die es bereits gibt, würden jedoch bei Weitem nicht ausreichen, um eine signifikante Auswirkung auf den Schwarzmarkt zu haben, mehrere tausend sollten es dafür schon sein, so die Wissenschaftler. Um das zu erreichen, so die Empfehlung, müsste dafür gesorgt werden, dass die Bürokratie es den Anbauvereinigungen, den Social Clubs, in Zukunft leichter macht.
Als das neue Cannabisgesetz beschlossen wurde, war die Euphorie ja erst einmal groß. Ein paar Hanfpflanzen hochzuziehen und einen Verein zu gründen, das kann ja wohl nicht so schwer sein, dachten sich viele. Doch schnell stellte sich heraus, „wie behördlich deutsch der Wind ist, der da weht“, wenn man sich um eine Lizenz als Anbauvereinigung bemüht, so Mario Gäde. Der Antrag seines Vereins für eine Genehmigung sei erst 70 Seiten, dann 90 und am Ende 130 Seiten dick gewesen, als er dann endlich durchgewunken wurde, sagt er. Hinter ihm liege eine schier endlose Odyssee, auf der er sich mit dem Finanzamt, der Berufsgenossenschaft, Versicherungen und dem Bauamt hat herumplagen müssen. Und all das, um seit diesem Juli an gerade einmal 120 Mitglieder ein paar frische Cannabisblüten abgeben zu können, damit die sich nach Feierabend auch mal einen Joint anzünden können. Mitglieder zu finden sei gar nicht mal so einfach aufgrund des ihm auferlegten Werbeverbots, so Gäde. Auf der Homepage seines Vereins gibt es letztlich nicht mehr zu finden als lediglich ein Impressum, aus Angst, dass ihm weitere Informationen bereits als Werbemaßname ausgelegt werden könnten.
Kein Wunder also, dass es bei derart unattraktiven Konditionen Stand heute bundesweit bloß weniger als 340 Anbauvereinigungen bis zur Lizenz geschafft haben. Bei der Versorgung von Kiffern spielen diese derzeit eine verschwindend geringe Rolle. Dabei geht es von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich schnell voran. Im rot-grünen Niedersachsen läuft es besonders gut, in Dobrindts konservativer Heimat Bayern besonders schlecht, so weit stimmen die Klischees also. Aber auch im liberalen Berlin werden die Bemühungen um Lizenzen von den Ämtern nur widerwillig begleitet. Dazu kommt noch die hauptstadttypische Planlosigkeit bei allem Bürokratischen, weswegen bislang in der sicht- und riechbaren Kifferhochburg gerade einmal elf vergeben wurden.
Abschreiben sollte man die Sache mit den Cannabis-Clubs aber noch nicht. Vielleicht erfährt sie ja einen neuen Schwung, wenn die Umtriebe des bisherigen großen Gewinners des neuen Cannabisgesetzes beschränkt werden, die Branche mit medizinischem Cannabis (siehe „Der Online-Rausch“). Die Union und Gesundheitsministerin Nina Warken wollen die Liberalisierung beim Cannabis auf Rezept unbedingt wieder zurückdrehen. Die Frage ist nur, ob die SPD dabei mitmacht, bislang erteilt sie den Plänen eine Absage.
Während es den Anbauvereinigungen mit einem Wust an Regeln unnötig schwer gemacht wird, boomen die Telemedizin-Plattformen, über die sich problemlos gutes Gras zu guten Preisen beziehen lässt. Anders als die Anbauvereinigungen dürfen sie für ihre Dienste werben. Und dabei auch noch so tun, als sei Cannabis ein Wunderheilmittel, das in jeder Lebenslage hilft. So kann man sich bei einem Anbieter sogar ernsthaft Cannabis als Hilfe im Anti-Aging-Kampf verschreiben lassen. Humbug, der erst recht absurd wirkt, wenn man das mit dem totalen Werbeverbot für die Anbauvereinigungen vergleicht.
Der Import von medizinischem Cannabis nach Deutschland ist in den letzten eineinhalb Jahren massiv angestiegen. Im ersten Quartal 2025 wurden mit 37 Tonnen mehr medizinische Cannabisblüten importiert als noch im ganzen Jahr 2023. Auf dem Weißmarkt ist neben dem Eigenanbau das Cannabis aus der Apotheke für die Mehrheit der Kiffer in Deutschland die Nummer eins.
Gut, irgendwo muss das Zeug ja her kommen, wenn die Sache mit den Anbauvereinigungen schon nicht so richtig in Schwung kommen will. Das sieht auch Mario Gäde so, aber versehen mit der kritischen Anmerkung: „Wenn ich auf einer Telemedizin-Plattform so tue, als hätte ich Bauchschmerzen, und dann bekomme ich von einem Arzt aus Litauen ein Rezept für Cannabis ausgestellt, dann ist das eigentlich Missbrauch von Medizin.“
Würde der Zugang über die Telemedizin von heute auf morgen aber erschwert werden, wie die Union das vorsieht, würde davon sicherlich der Schwarzmarkt profitieren. Die Konservativen interessieren solche Logiken aber nicht, da sie die Teillegalisierung einfach bloß torpedieren möchten, wo es nur geht. Vernunft wird hier zum untergeordneten Faktor. Und die SPD? Die wirkt so, als wolle sie möglichst keinen Streit mit dem Koalitionspartner jetzt auch noch wegen einer solchen Sache heraufbeschwören. Besonders kampfbereit für die Anliegen der Kiffer wirkt sie jedenfalls nicht. Von der sogenannten Säule 2, die gemäß des von ihr mitentworfenen Cannabisgesetzes eigentlich auch noch irgendwann kommen sollte und die die Abgabe von Cannabis über lizensierte Fachgeschäfte vorsieht, spricht schon lange niemand mehr. Obwohl nach Meinung von Experten nur mit ihr der Schwarzmarkt wirklich effektiv zurückgedrängt werden könnte. In den Städten Hannover, Frankfurt und Berlin geplante Pilotprojekte, die wissenschaftlich begleitet untersuchen sollten, wie sich der vereinfachte Zugang zu Cannabis über solche Fachgeschäfte auf das Konsumverhalten auswirkt, wurden eben erst wieder abgeblasen.
Hört man rein in die Cannabisszene, werden unterschiedliche Vermutungen darüber angestellt, wie der Telemedizin-Streit der Koalition ausgehen wird. Die einen glauben oder hoffen, dass die SPD stabil bleiben wird, die anderen haben da so ihre Zweifel. Dass die Cannabis-als-Medizin-Branche selbst nervös geworden ist, zeigt sich daran, dass sie eben erst eine Petition in eigener Sache beim Bundestag eingereicht hat.
Und die Anbauvereinigungen? Könnten die also doch noch einen zweiten Frühling erleben, wenn nach einer Entliberalisierung der Telemedizin all die verwaisten „Patienten“ sich wieder an sie erinnern?
Mario Gäde ist da skeptisch. „Die Vereine können nur dann boomen, wenn ihnen die Ketten abgelegt werden. Die Begrenzung auf 500 Mitglieder müsste beispielsweise weg, der Lizenzprozess vereinfacht werden, und es müssten einheitliche Regeln bei den Bauämtern gelten.“ Auch Heinrich Wieker von der Bundesarbeitsgemeinschaft Cannabis-Anbauvereinigungen, die in Berlin sitzt, glaubt, dass nur veränderte Strukturen eine Renaissance der Anbauvereinigungen einläuten könnten. Einschränkungen bei der Telemedizin würden den paar bereits bestehenden Vereinen sicherlich einige neue Mitglieder bescheren, aber nicht unbedingt zu mehr Vereinsgründungen führen, wenn alles so kompliziert bleibt wie bisher.
Es könnte erst dann eine zweite Welle geben, glaubt Wieker, wenn Anbauvereinigungen unternehmerischer geführt werden dürften, als das aktuell der Fall ist. „Ein paar Hippies growen gemeinsam Cannabis“, dieser Ansatz werde das Ganze nicht mehr weiter voranbringen. Es bräuchte jetzt mehr „Funktionäre“, die auch etwas Geld verdienen dürfen mit ihrem Cannabis. Durch ein paar legale Tricksereien im Rahmen des Vereinsrechts könnten dafür Wege gefunden werden. Vielleicht kommt die große Zeit der Anbauvereinigungen dann ja doch noch, was Alexander Dobrindt freilich wieder richtig scheiße fände.
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