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Anleitung gegen den AutoritarismusDemokratische Manieren

Robert Misik

Kommentar von

Robert Misik

Rechtsextreme dominieren den Diskurs und verkaufen sich als demokratische Erneuerung. Dagegen hilft eine positive, selbstbewusste Idee von Demokratie.

Tausende protestieren auf der AfD-Verbot-Demonstration in Berlin, am 11. Mai 2025 Foto: Ipon/imago
Inhaltsverzeichnis

D er völkische Nationalismus und der Geist des Autoritarismus sind im Aufwind, und Parteien wie die AfD gewinnen an Boden. Aber, das sollte man auch stets betonen: Die Mehrheit lehnt den Rechtsextremismus ab. Dennoch dreht sich alles um die rechtsradikale Minderheit. Die Sozialpsychologie spricht von der „Mehrheitsillusion“, wenn Auffassungen von Minderheiten als dominant erscheinen, nur weil sie übermäßig repräsentiert sind.

Aber wie dagegenhalten? Erst einmal, indem man präzise ist. Ich habe sehr genau die 1.100-Seiten des Verfassungsschutz-Gutachtens über die „Alternative für Deutschland“ gelesen, in dem der Ultrarechtspartei eine „rechtsextremistische Bestrebung“ attestiert wird. Dass die AfD eine rechtsextremistische Partei ist, ist kein besonders schwer zu beweisender Sachverhalt. Die Frage ist eher: Reicht das Gesamtbild für ein Verbot?

Die Verfassungsschützer argumentieren damit, dass die AfD gegen das Menschenwürdeprinzip verstoße, weil sie von zwei Klassen an Staatsbürgern ausgeht, den autochthonen und jenen mit Migrationshintergrund. Wenn sie könnte, würde sie diese nach einem Apartheitprinzip sogar rechtlich unterschiedlich behandeln. Unzählige Parteifunktionäre sagen das auch ganz unverhohlen. Außerdem sieht die AfD die einen einfach als die echten Deutschen, die anderen können tun, was sie wollen, sie werden nie ganz echt. Indiz dafür ist der Gebrauch von Begriffen wie „Passdeutsche“ und „Biodeutsche“. Andererseits: Machen das nicht auch andere, nicht nur Rechtsradikale? Sogar Migra-Aktivisten sprechen von „Biodeutschen“, nur eben nicht affirmativ, sondern sarkastisch, von „Kartoffeln“, also den „deutschen Deutschen“, irgendwie doof, ohne hybride Identitäten, und deshalb beschränkt.

Manchmal ist das Denken des Feindes unser eigenes Denken als seitenverkehrte Karikatur. Postulate der Identitätspolitik haben sich so verallgemeinert, dass fast alle in Kategorien von Identitätsmarkern denken.

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Erneuerer der Demokratie

Sozial- und Meinungsforscher weisen auch darauf hin, dass die Parole „Demokratie verteidigen“ als Antwort auf den neuen Faschismus nicht so richtig verfängt. Sie ist zu abstrakt. Die Menschen sehen „die Demokratie“ durch den Aufstieg eines neuen, rechten Autoritarismus nicht bedroht. Die So­zio­lo­g:in­nen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey sprechen in ihrem neuen Buch „Zerstörungslust“ sogar vom „demokratischen Faschismus“, womit gemeint ist, dass sich faschistische Fantasien der Härte und der Bestrafung in der Demokratie einnisten.

Nun halte ich es nicht für eine überraschende Neuigkeit, dass der Faschismus in der Demokratie operiert, bis es ihm gelungen ist, diese abzuschaffen. Auffällig ist dagegen schon, dass sich die Autoritären heute selbst nicht als „antidemokratisch“ darstellen, sondern als Erneuerer der Demokratie, sogar als die „echten Demokraten“, die den Wünschen der Mehrheit endlich wieder zum Durchbruch verhelfen, sei es gegen die angeblichen liberalen Eliten, sei es gegen linke Umerziehung. Das ist einerseits Propaganda, andererseits ihr echtes Weltbild. Früher waren die Faschisten stolz darauf, Faschisten zu sein, heute würde sich kaum ein Wähler der Ultrarechten selbst als Faschist sehen.

Demokratie wird einfach als Mehrheitsprinzip verstanden – und das, wofür die Mehrheit votiert, soll durchgepeitscht werden. Wenn 51 Prozent den anderen 49 Prozent die Ohren langziehen, wäre das laut diesem beschränkten Demokratiebegriff, der von Minderheitenschutz oder Pluralismus noch nie etwas gehört hat, auch „Demokratie“.

Raus aus der Defensive

Was der neue Autoritarismus angreift, ist die demokratische Lebensweise. Diese „demokratische Lebensweise“ hat freiheitliche und rechtsstaatliche Institutionen und Verfassungsordnungen als Grundlage, geht aber über diese hinaus. Die Meinungs- und Kunstfreiheit gehört dazu, aber auch eine Mentalität, die in zeitgenössischen Gesellschaften tiefe Wurzeln geschlagen hat. Die Maxime „Leben und leben lassen“, also die Achtung vor anderen Lebensstilen und Wertesystemen. Gesellschaften sind divers und heterogen, und das in vielerlei Hinsicht. Progressive, sozialistische und liberale Haltungen sind insofern zu einem allgemeinen Hintergrundrauschen geworden, weshalb die Ultrarechten vom „linken Mainstream“ fantasieren können.

Dass man Andere als Gleiche behandeln soll, dass man jedem Respekt entgegenbringt; dass sogar Verteilungsgerechtigkeit und ein Sozialstaat dazugehören, damit niemand so unter die Räder kommt, dass er oder sie ihre Talente nicht entwickeln kann; dass man nicht kommandiert werden will; dass man Mitbürger mit abweichenden Lebensentwürfen nicht diskriminiert und Menschen mit etwa Behinderung nicht verspottet, dass jeder auf seine eigene Art glücklich werden soll, dass man Kinder nicht schlägt und auch nicht mit seelischer Grausamkeit neurotisiert; dass Erziehung emanzipativ sein soll, nicht autoritär und repressiv – all das ist heute Konsens, sogar weit in rechtskonservative Milieus hinein.

Als Donald Trump 2016 einen Reporter mit Behinderung verspottete, indem er dessen zuckende Armbewegungen in Folge einer angeborenen Gelenkversteifung nachäffte, haben die allermeisten Menschen es als eine ekelhafte Übertretung empfunden. Aber für Trump und seine Hardcore-Anhänger war es ein Akt der „Opposition“ gegen eine gängige Moralverstellung.

Damit sind wir einer Antwort auf die Frage „Wie dagegenhalten?“ vielleicht nähergekommen: Mit der Leidenschaft für die demokratische Lebensweise, dem, was der US-Philosoph Alexandre Lefebvre „Liberalism as a Way of Life“ nennt. Raus aus der Defensive heißt, wir haben nicht nur etwas zu verteidigen, sondern auch etwas zu gewinnen, für das man sich begeistern kann: Mehr Freiheit, mehr Gleichheit, mehr Sicherheit, Humanität und Zärtlichkeit, ein Leben, das nach und nach reicher für alle wird.

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Robert Misik
Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.
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25 Kommentare

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  • Bei allem positiven Gegenhalten gegenüber Autoritarismus, braucht es mehr als Demokratie zu verteidigen, es braucht eine sich entwickelnde Demokratie. die Altlasten aus Feudalismus, Monarchie, Privilegein, Sonderrechte abschafft, vom Universalismus geleitet, Strukturen in Arbeits-Finanzwelt, Gesellschaft, Kirchen, Medien, Politik, Wirtschaft schafft, in denen rechtsfreie Räume einerseits zulasten Vieler andererseits zugunsten Weiniger keine Wurzeln mehr finden, keine gemeindefreie Regionen möglich sind wie der Sachsenwald im Eigentum Hauses der Bismarcks , das legale Steueroase angesiedelt hat, Steuereinnahme Bundes, anderer Gemeinden, Städte abzugreifen, oder Unternehmen bei Bilanz-, Steuerbetrug, Cum Ex-, Wirecard AG-, Dieselabgasbetrug VW, Daimler, BMW, Zulieferer Bosch durch manipulierte Software als Rechtsperson rechtlich nicht belangt, nicht einmal Ermittlungen eingeleitet werden können, außer im individuellen Einzelfall von Mitarbeitern, weil das Kabinett Adenauer auf Anraten Deutschen Juristentages 1953 nach 1945 von Alliierten eingeführte Unternehmensstrafrecht ausgesetzt hat, kirchliche kommunale, private Unternehmen von Zwangsarbeiter Entschädigungsklagen freizuhalten

  • Danke nicht nur für die Vorarbeit für dieses klare Denken, sondern auch für die Analyse und die Worte, die sie ausdrücken!

    Demokratie ist Solidarität, Gleichheit, Freiheit, und nicht die Diktatur einer Mehrheit oder auch starre Identitäts-Schubladen. "Der" "Wille" "des" "Volkes" sollte stets auch ein Fragezeichen hervorrufen.

    Geschenkt oder von Alliierten stabilisiert wird die Demokratie derzeit nicht. Tun wir etwas dafür. Landesverbände verbieten lassen, wenn sie verfassungsfeindlich wären, könnte dazu zählen. Als Alternative zur gegenwärtigen Regierung die Parteien wie die Linken, Grünen, Freien Wähler, ÖDP, Tierschutz, ... wahrzunehmen und nicht nur die Russlandbezahlten, das dürfte auch dazu gehören.

  • "Die Maxime „Leben und leben lassen“, also die Achtung vor anderen Lebensstilen und Wertesystemen..." Dabei geht es nicht nur um Achtung, sondern um Zusammenarbeit. Der Gewinn entspringt aus der Zusammenführung der Verschiedenheiten. Wachstum durch Vielfalt. Diesen Gedanken können schlichte und grobe Holzköpfe - welcher politischen Richtung auch immer - nicht denken.

    • @Salinger:

      "Wachstum durch Vielfalt."



      Menschlich auf jeden Fall, häufig auch ökonomisch.

      Persönlich lebe ich fast die max. Vielfalt und genieße es. Aber nicht jeder Mensch sieht es ähnlich. Zuviel Vielfalt kann Menschen auch überfordern. Ich würde diese Menschen nicht als "Holzköpfe" bezeichnen, eher als Menschen mit einer anderen Einstellung.

      Der Schlüssel ist es Menschen nicht zu verurteilen, sondern zu verstehen. Dieser Prozess des gegenseitigen Verständnis ist -leider- oft sehr lange.

      • @Black & White:

        Da stimme ich in Teilen zu. Vielfalt kann überfordern, tut es wahrscheinlich nicht selten. Diese "Einstellung" basiert auf diversen Grundlagen des Denkens & Fühlens. Und gerade deshalb müsste mehr in Bildung investiert werden. Extremisten, die jegliche Vielfalt ablehnen, sind ohnehin nicht erreichbar. Leider ist größeren Teilen der jungen Generation nicht mehr klar, worin die Vorzüge eines demokratischen Systems liegen.

  • Leider zu verkopft. Was jetzt die positive tolle Idee sein soll bleibt doch arg im wagen.

  • Ich glaube es muss aber viel mehr Denokratie in die Ökonomie,denn die ist als nakte neoliberal kapitalistische Normalisierung ne Autoritarisierungsmaschine gg Demokratie: die Menschen vereinzeln& verinnerlichen die neoliberalen Menschenbilder, die Leistung total setzen, vor humanitären Werten. Die autoritären Kommunisten haben das Wort Kommunismus, das für das Gute Leben für alle stehen sollte, verraten und wurden selbst totalitär. Heute aber brauchen wir wieder & viel schneller als nur langsam Commonsismus als Demokratie für nachhaltige Lösungen für ein gutes Leben für alle, bzw. ein Überleben als Menschheit =für Alle, bevor die Reichen autoritären KI Owner den Planeten unter sich aufteilen + vernutzen für ihre Privatjets etc. pp. Die Demokratie ist nicht mit dem Kapitalismus verheiratet, aber nun braucht sie die Scheidung, wei der sie gerade erdrosseln könnte:Wie machen wir das als Mehrheit. Die Merhheit der Chinesen, möge ja Xi überreden, die friedliche Übergänge für ne globale Leitwärung ohne National-imperiale Bindung &basierend auf seltenen Erden als globales&nachhaltig zu schürfendes + kreislaufwirtschaftlich kooperativ zu nutzendes Gemeingut, endlich den Petro $ abzulösen.

  • Ich messe eine Demokratie nicht nur daran, wie sie mit Migranten umgeht, sondern auch daran, wie sie mit anderen Minderheiten, wie Schwulen und Lesben, Behinderten usw. umgeht. Eine Partei, für die es zwei Klassen von Mitbürgern gibt, nämlich Deutsche und Nicht-Deutsche, die nur die Ehe und Kleinfamilie fördern möchte und sich gegen die Integration von Menschen mit Behinderungen ausspricht, kann keine demokratische Partei sein.

  • Dem Autor fällt nicht auf, dass das Mehrheitsprinzip ein Prinzip der Wahlrepublik und nicht der Demokratie ist, dass er selbst, die AfD und ebenso alle selbsternannten „demokratischen Parteien“ begrifflich daneben liegen. Sie alle verteidigen die elitäre Wahlrepublik als vermeintliche Demokratie und streiten eigentlich darüber, in welche Richtung und wie stark eine republikanische Regierungsmehrheit in die Gesellschaft eingreifen darf. Wäre auch nur eine der Parteien dafür, „mehr Demokratie zu wagen“, müssten sie für grundlegende Reformen des institutionellen Systems politischer Repräsentation eintreten. Das macht aktuell aber fast keine Partei. Im Gegenteil. Quer durch die Mitte wollen sie am System ausgewählter (d.h. elitärer) Repräsentation durch ParteipolitikerInnen festhalten, planen die exekutive Regierungsfunktionen zu stärken und dafür existierende Verfahren von BürgerInnenbeteiligung und -schutz abzubauen. Das alles um Wettbewerbsfähigkeit und Wehrfähigkeit des Nationalstaates, den sie anführen bzw. anführen wollen, zu stärken. Es scheint ganz so, als ob das Verlangen nach Führung nie weg war.

    • @DemokratischeZelleEins:

      Danke für den sehr guten und klaren Beitrag!

      In der Tat sollte man nie den Fehler begehen, Parlamentarismus als identisch mit Demokratie anzusehen.

      Demokratie wäre Mitbestimmung der Menschen in allen sie betreffenden Bereichen für ihre Lebensinteressen mithilfe geeigneter, ihnen zur Verfügung stehender Institutionen. Der Staat, die Unternehmen - all das muss den Menschen gehören, nicht umgekehrt.

      Heißt: Die Menschen müssen Subjekte bei der Gestaltung ihres Lebens sein, nicht Objekte von Staat, Unternehmen und anderen Institutionen.

      Es geht also um eine nicht bloß soziale Gleichheit, sondern um Gleichheit der Machtverteilung, der gemeinsamen Verfügung. Das wäre politische Demokratie, welche zwangsläufig auch in eine soziale Demokratie münden würde.

  • Dass die "disruptiven" Rechten sich heute als die wahren Demokraten inszenieren können, hat m.E. viel damit zu tun, dass der politische Mainstream selbst zunehmend autoritärer wird, und dass er ein instrumentelles, um nicht zu sagen zynisches Verhältnis zu den demokratischen Institutionen entwickelt.

    Beispiel 1: - Weitreichende Verfassungsänderungen werden nach einer Wahl noch mit alten Mehrheiten durch den Bundestag gepeitscht.

    Beispiel 2: - Die EU-Kommissionschefin macht an den nationalen Parlamenten vorbei dem US-Präsidenten sehr weitgehende haushaltsrelevante Zusagen.

    Beispiel 3: - Die EU sanktioniert im Zusammenhang mit Russland erstmals eigene Bürger, entzieht ihnen (ohne Gerichtsverfahren) elementare Rechte.

    Beispiel 4: - Der Inlandsgeheimdienst erhält ein neues, unbestimmtes "Catch-All"-Aufgabenfeld zur Überwachung von "verfassungsrelevanter Delegitimierung des Staates".

    Beispiel 5: - Die Bundesregierung beschließt eine "Bürgergeldreform", die im Widerspruch zur einer früheren Entscheidung des BVerfG steht und testet damit die Dehnbarkeit des Grundgesetzes bewusst aus.

    In Anlehnung an Orwell: Die Vierbeiner und die Zweibeiner werden allmählich ununterscheidbar.

  • "Demokratie wird einfach als Mehrheitsprinzip verstanden ..."



    Das erlebe ich im Alltag auch, dabei sollte man eine Demokratie an ihrem Umgang mit Minderheiten messen. Darunter verstehe ich die Einbindung auch von Minderheiten in Entscheidungsprozesse. Sonst läuft man Gefahr, dass sie zur Tyrannei der Mehrheit wird.



    Wenn ich von einem Entscheidungsprozess ausgeschlossen werde, kann ich nicht meine Meinung sagen und Einfluss auf den Prozess nehmen. Ich bin zwar abstimmungsberechtigt, aber die Mehrheit meint vielleicht, dass meine Stimme nichts am Ausgang geändert hätte. So werden demokratische Prinzipien ausgehebelt, z.B. "weil es schneller geht" oder einfacher ist - aber dann auch nicht mehr wirklich demokratisch ...

    • @Christian Lange:

      Es ist auch das Mehrheitsprinzip. Grade weil wir in einer Demokratie leben, kommt es zunehmend zu einem Politikverdruss, wenn der Einfluss von Minderheiten zu groß. Dann entwickelt sich auch zunehmend der Wunsch nach einem "starken Mann" an der Spitze, der hart durchgreift.

      Demokratie ist das Konzept, dass die Mehrheit entscheidet.

      Andernfalls brauchen wir auch keine Wahlen abhalten, wenn das Wahlergebnis und die Sitz und Stimmenverteilung egal ist.

    • @Christian Lange:

      Die Argumentation funktioniert freilich anders herum ähnlich.



      Minderheiten dürfen nicht unterdrückt werden, gleichzeitig dürfen Minderheiten der Mehrheit auch nicht in jeder Hinsicht ihren Willen aufzwingen.



      Wenn Interessen von Gruppen kollidieren, unabhängig davon, ob nun Mehrheit oder Minderheit, müssen die unterschiedlichen Interessen fair und gerecht gegeneinander abgewogen werden.



      Ein fairer Interessenausgleich ist essentiell für eine funktionierende Demokratie.

  • Robert Misik immer wieder erfrischend. Danke

  • "Dass man Andere als Gleiche behandeln soll, dass man jedem Respekt entgegenbringt; dass sogar Verteilungsgerechtigkeit und ein Sozialstaat dazugehören, damit niemand so unter die Räder kommt, dass er oder sie ihre Talente nicht entwickeln kann; dass man nicht kommandiert werden will...– all das ist heute Konsens, sogar weit in rechtskonservative Milieus hinein." Ist das wirklich der Konsens? Diesen Eindruck teile ich nicht ansatzweise!

    • @Görk74:

      Nein, das ist kein Konsens, schon gar nicht innerhalb rechtskonservativer Milieus. Diese wollen eher die Geschicht zurück drehen, in Zeiten, als man für "Humanismus", "Aufklärung" und "Wissenschaft" noch nicht einmal Begriffe hatte.

      Was es gibt, ist technischer Fortschritt. Und der fasziniert tatsächlich selbst Rechtskonservative, weil sie mit mondernster Technik noch mehr Profit, noch gefährlichere Waffensysteme herstellen können für die Größe ihrer Nation.

      Ein Paradebeispiel ist Trump für den Typus des technikaffinen Rechten. Geistig im Mittealter, technologisch der Zukunft zugewandt.

      Aber für gesellschaftlichen, menschlichen Fortschritt haben solche Kreise nichts übrig, da gibt es keinen Konsens.

      • @Uns Uwe:

        Es stimmt, dass stramm rechtes Milieu geistig im Mittelalter oder noch schlimmer festhängt. Aber sind die dann damit auch komplett mehrheitlich anschlussfähig oder müssen sie die Folgen der versäumten Korrektur dieses Wirtschaftssystems bewirtschaften, um anzukommen? Da muss Gegenwehr angesetzt werden.

        • @aujau:

          Die stramm Rechten sind der Meinung, man müsse den Zug, der die Wand zusteuert, nur noch weiter beschleunigen (noch mehr Wirtschaftswachstum durch noch mehr Ausbeutung von Mensch und Umwelt und Sieg gegen Konkurrenten mit alle Mitteln), dann werde alles gut.

          Das heißt, sie wollen die Lösung aller Probleme durch die Mittel, welche just diese Probleme geschaffen und immer weiter verschärft haben.

          Die Menschen, welche dagegen sind, den Zug bremsen und auf ganz neue, rationale Schienen stellen wollen, werden als Sündenböcke diffamiert.

          Aber um diese Widerstandsbewegungen geht es. Diese allein begründen noch die Hoffnung auf einen wirklichen menschlichen Fortschritt.

  • Auch dieser Artikel schreibt wieder am eigentlichen Problem vorbei.



    Ja, Rechtsextremismus ist ein Riesenproblem. Und ja, Rechtsextreme versuchen den Diskurs zu bestimmen.

    Aber all das sind nur Folgeprobleme des eigentlichen Problems.



    Nämlich, dass die Demokratie bis weit ins linke Pater hinein als Mehrheitsdemokratie verstanden wird, dass als eine Partei, die mehr Stimmen als alle anderen Parteien bekommen hat (eS euphemistisch als "wir haben die Wahl gewonnen" bezeichnet wird) glaubt, dass sie das Recht hätte, die Richtlinien der Politik für die nächsten 4 Jahre zu bestimmen. Und dass die anderen Parteien in der Regierung glauben, die müssten auch noch ein wenig für ihre Wähler tun, aber keine Partei fühlt sich verpflichtet, eine Politik zu machen, mit der eine große Mehrheit der Bevölkerung zufrieden ist. Im Gegenteil, sowohl die Ampel, als auch die jetzige Regierung als auch die anderen Regierungen der letzten 30 Jahre fanden es völlig in Ordnung, eine Politik zu machen, mit der die Grösse Mehrheit der Bevölkerung unzufrieden ist, teilweise 70-80%, teilweise sogar noch mehr. Das hat zur heutigen Situation geführt, in der 20-40% der Menschen eine rechtsextreme Partei wählen.

    • @EchteDemokratieWäreSoSchön:

      Werke anderer zusammenfassend:



      Demokratie ist zunächst Konsens. Um von dem ins Handlungsfähige überzugehen, kommt Mehrheitsbeschluss, kommt Repräsentative Demokratie von bezahlten zeitweiligen Profis. Was aber zur Voraussetzung hat, dass nicht einige immer und andere nie in der Mehrheit sind, dass es Fairness und Regierungswechsel gibt und vor allem einen Schutz von Grundrechten für jedermensch.



      Dann nimmt ziemlich jede(r) hin, dass die Regierung nicht seine Meinung vertritt. Oder was ich für die Volksmeinung halte.



      Kohl wie schon Schmidt zogen die Nachrüstung auch gegen harte Proteste und Umfragen durch. Das ist auch ihre Rolle und Verantwortung, das hatten sie im Wahlkampf genannt als Punkte. Das hätte sich nachträglich auch korrigieren lassen, um mit Popper zu schließen. Menschen, die ich etwa an der Grenze ertrinken lasse, wäre schon schwerer zu korrigieren.

      In Deutschland (West) gab es eher lange das Phänomen von "catch-all"-Volksparteien (Kirchheim). Die CDU hat das vom konfessionell katholischen Zentrum übernommen und ausgeweitet. Die SPD zog mit Godesberg nach. Zugleich muss es Unterschiede geben. Und auch Liberalismus, Sozialismus und Umwelt können eine Funktion haben.

  • Um die vom Autor anvisierten Ziele zu erreichen, bedürfte es doch erst einmal einer glaubwürdigen Zukunftserzählung mit der sich die Bevölkerung identifizieren kann.

    Die habe ich hier in Deutschland bisher nicht entdecken können. Die Politik gibt keinen Takt vor und ist weitgehend befreit von Zukunftsvisionen und wenn einmal eine präsentiert wird, dann zersetzt Lagerdenken selbst die guten Ansätze.

    Es fehlen die tragfähigen Konzepte, um den im schönen neudeutsch genannten "Selbstverwirklichungskapitalismus" etwas greifbares entgegenzusetzen. Dessen Kern ist ja gerade, das auch autoritäre Mittel gerechtfertigt sind, um die individuellen Freiheiten durchzusetzen. Ähnliches hat ja bereits Erich Fromm schon vor 60 Jahren erkannt und das mit den Auswirkungen des Kapitalismus verbunden.

    Da werden Ansätze wie mehr Gleichheit oder ein mehr an Humanität nur die wenigsten überzeugen, da es vielen an Einsicht und Erfahrung fehlt, was das für sie persönlich für Vorteile hätte.

    Am Anfang sollte daher die gesellschaftliche Identitätsbildung stehen und dafür bedarf es einer Geschichte die überzeugender ist, als die Narrative der Rechtspopulisten.

    • @Sam Spade:

      Ich denke schon, dass Narrative wie mehr Gleichheit und damit auch mehr Freiheit und weniger Arbeit und mehr Freizeit überzeugend sind. Und auch überzeugender als die Narrative der Rechtspopulisten, denn die sind ja nur negativ. Nach dem Motto: Erstmal müssen alle Fremden weg sein. Dann geht es Euch wieder besser.

      Vielleicht sollten Sie mal das Buch "Im Grunde gut" von Rutger Bregman lesen. Der hat kluge Einsichten, was 90% der Menschen wollen. Nicht die 1%-10%, die im augenblick an den Hebeln der Macht sitzen und die anderen 90% im Augenblick gut manipulieren können.

      • @EchteDemokratieWäreSoSchön:

        "Ich denke schon, dass Narrative wie mehr Gleichheit und damit auch mehr Freiheit und weniger Arbeit und mehr Freizeit überzeugend sind."

        Also den Leuten das Schlaraffenland erzählen...

        Blöd nur, dass die meisten Menschen nicht Dumm sind und mit simpler Logik nachvollziehen können, dass das schlicht nicht geht und einfach Utopie ist, die nicht erreicht werden kann.



        Daher verfängt das Narrativ auch nicht.



        Klingt toll, ist aber unrealistisch.

        Ein Versprechen an den Wähler, dass jeder 1 Mio Euro bekommt, wenn Person X gewählt wird, klingt toll als Versprechen und Narrativ, aber ist halt genauso unrealistisch und verfängt daher nicht.

        • @Walterismus:

          Es geht nicht darum zu versprechen, Unrealistisches zu versprechen wie dass jeder 1 Mio. € im Monat bekommt. Aber realistische Versprechen, wie sie z.B. Zohran Mamdani in New York gemacht hat, haben ihm, einem noch vor 1 Jahr völlig Unbekanntem, zum Sieg in New York verholfen. Er hat nur versprochen, dass die Busse kostenlos sind, dass es Lebensmittelläden gibt, in denen die Lebensmittel billiger sind etc. Alles gut finanzierbar.