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UN-Klimakonferenz in BelémEine Welt in abwehrender Schockstarre

Essay von

Philipp Staab

Technisch wäre der Klimakrise beizukommen, doch politisch wird es immer schwieriger. Die Demokratie steht vor kritischen politischen Kipppunkten.

Foto: Katja Gendikova

D er Gipfel von Belém markiert das zehnjährige Jubiläum des Pariser Klimaabkommens von 2015. Seinerzeit hatten sich 195 Staaten auf das Ziel verständigt, ihr Möglichstes zu tun, um die Erderwärmung auf unter 1,5 Grad zu beschränken. Klimaneutralität sollte zum neuen Leitstern der Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik weltweit werden, die Zeichen standen auf Transformation. Blicken wir heute nach Brasilien, so scheint von diesem politischen Optimismus nicht mehr viel übrig zu sein.

2024 war mit 1,6 Grad Erderwärmung das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Die USA sind zum zweiten Mal aus dem Pariser Abkommen ausgetreten und die weltweiten Emissionen steigen weiterhin. Um zu erklären, warum die verbrieften Ziele nicht erreicht werden, wird immer wieder auf die Freiwilligkeit der Vertragsstaaten bei der Umsetzung des Abkommens verwiesen. Schließlich ist es den Ländern im Grunde selbst überlassen, welche Maßnahmen sie ergreifen. Es hätte bindender Regeln bedurft, um die Ziele zu erreichen.

Allerdings spielt sich der Klimaschutz schon lange nicht mehr allein auf der Flughöhe wissenschaftlich informierter, internationaler Konferenzen und Abkommen ab. Gerade nach Paris ist er zu einer treibenden Kraft wirtschaftlicher und sozialer Veränderung geworden. Dabei hat es durchaus beachtliche Entwicklungen gegeben. China könnte schon heute praktisch die ganze Welt mit Photovoltaik versorgen und die Erneuerbaren sollen in der Kostenrechnung unschlagbar günstig sein.

Führende westliche Industrienationen wie die USA oder Deutschland hatten zwischenzeitlich bemerkenswerte wirtschaftliche Modernisierungsprogramme zum Zweck des Klimaschutzes in Gang gesetzt – man erinnere sich nur an den Inflation Reduction Act der Administration Joe Bidens oder das Programm, das in Deutschland schwerpunktmäßig von Robert Habecks Wirtschaftsministerium verantwortet wurde.

Aufklärung bleibt ohne logische Konsequenz

Mit diesem Ankommen der Klimapolitik in den alten Demokratien des Westens und dem Alltag ihrer Bür­ge­r*in­nen hat sich allerdings eine paradoxe Situation aufgetan. Auf der einen Seite hat in diesen Gesellschaften seit den 1980er Jahren ein langfristiger und äußerst erfolgreicher Aufklärungsprozess hinsichtlich der ökologischen Folgen der Industriegesellschaft stattgefunden. In Deutschland erachten heute bis zu 90 Prozent der Bevölkerung den Klimawandel als zentrales Problem, für das sie politische Antworten erwarten.

Auf der anderen Seite hat aber Erfolg, wer sich bemüht, die Klimafrage weitgehend zu ignorieren. Während das Bewusstsein über und die Mittel für eine Klimawende im Geiste von Paris eigentlich zur Hand sind, stehen beim Handeln die Weichen auf Beharrung und aggressiver Abwehr. So besehen sind es weniger die architektonischen Schwächen des globalen Klimaregimes, die die Wende verhindern.

Vielmehr hat sich auf der Ebene des gesellschaftlichen Alltags etwas zusammengebraut, das die Leute dazu bringt, wider besseres Wissen und demoskopisch gut dokumentierter Ängste, dem ökopolitischen Programm von der Fahne zu gehen: Die Gesellschaft hat sich von der Klimapolitik abgekoppelt just als diese begann, in ihren Alltag hineinzuwirken.

Zwei Entwicklungen sind hier hervorzuheben. Da ist zunächst der Charakter der ökologischen Frage selbst, wie er heute in den alten Industriegesellschaften des transatlantischen Westens thematisiert und erfahren wird. Stand der Klimawandel in den 1980er und 1990er Jahren noch für ein Phänomen, das mit dem Begriff des kalkulierbaren Risikos einigermaßen treffend beschrieben war, haben wir es heute mit einer längst akut gewordenen Bedrohung zu tun.

Die Klimakrise ist von einer unheilvollen Erwartung zu einem Phänomen geworden, das nicht mehr nur im Globalen Süden, sondern auch in den Zentren des Nordens akut spürbar ist. Der Klimawandel drängt hier immer stärker ins Alltagsbewusstsein, von Bränden in Kalifornien bis zur Flut im Ahrtal. Dabei treffen die ökologischen Verheerungen heute allerdings auf eine ganze Phalanx anderer, mit Angst besetzter Themen, mit denen sie in mediale Konkurrenz treten.

Im Schatten von Krieg und Corona

In den letzten Jahren hat sich die Klimafrage, trotz ihres Einsickerns in den Alltag, immer wieder hinter noch akuteren Krisen einreihen müssen. Fridays for Future wurde von der Covidpandemie aus der Öffentlichkeit verdrängt. Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten taten ihr Übriges. Die Lebenswelten der Menschen sind jedoch anders gestrickt als die Logik medialer Aufmerksamkeit. Was nicht mehr öffentlich ist, ist hier nicht automatisch weg.

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Vielmehr schichten sich im Bewusstsein der Bür­ge­r*in­nen die wahrgenommenen Bedrohungen übereinander und reichern sich gegenseitig an. Die verschiedenen Zäsuren der letzten Jahre haben sich in der Folge zu einem allgemeinen Gefühl der Ohnmacht kumuliert. In großen Teilen der Gesellschaft wird dieser Overload in Form eines panischen Festhaltens an bestehenden Verhältnissen und Ordnungsmustern verarbeitet.

Das Beharren auf Dieselmotor und Ölheizung sind Ausdruck einer defensiven Grundhaltung spätmoderner Lebenswelten im Angesicht fundamentaler Selbsterhaltungsprobleme. Diese abwehrende Schockstarre ist zweitens kaum anschlussfähig an die konkreten Programme, mit denen der Geist von Paris auf seine Umsetzung drängte. Weltweit ist das Abkommen als Startschuss einer gigantischen Agenda grüner Modernisierung interpretiert worden.

Jenseits der Modernisierung

Sein Versprechen lautete nicht nur, dass die industrielle Lebensweise zum Nulltarif für die Natur zu haben sein könnte. Vielmehr sollte die Bearbeitung des Klimawandels letztlich sogar Chancen durch grüne Jobs in neuen Wachstumsindustrien bieten, die Umbrüche in anderen Sektoren des Arbeitsmarktes mehr als ausgleichen würden. Das politische Scheitern dieses grün-modernen Aufbruchs liegt zu großen Teilen an der Tatsache, dass sich der liberale Erneuerungsansatz selbst erschöpft hat.

Philipp Staab

lehrt Soziologie an der Humboldt-Universität Berlin. Zuletzt erschien sein Buch: „Systemkrise. Legitimationsprobleme im grünen Kapitalismus“, Suhrkamp, 2025.

Erfolgreiche Modernisierungsprozesse basieren nämlich stets auf einer Allianz zwischen lebensweltlichen Orientierungen der Bevölkerung und der Zielrichtung, die das politische System liefert. Als sich in den 1960er und 1970er Jahren etwa eine emanzipatorische Kritik an den starren Strukturen der Industriegesellschaft artikulierte, konnte diese vom System genutzt werden, um einen liberaleren, kreativeren und individualistischen Kapitalismus zu errichten.

Heute stehen die Dinge ganz anders. Furchtsam erstarrte Lebenswelten wünschen sich vor allem eines: Gegenwartsverlängerung. Modernisierungsprogramme kommen aber niemals ohne Interventionen in den Alltag aus. Vor diesem Hintergrund werden selbst moderate Versuche der Marktgestaltung populistisch missbrauchbar. Erinnert sei an das Heizungsgesetz, das sogleich als „Energie-Stasi“ mit der Vorstellung eines den Privathaushalt infiltrierenden Wirtschaftsministers verbunden werden konnte.

Zehn Jahre nach Paris stehen wir also vor einer Situation, in der uns die technischen Mittel für eine ökologische Modernisierung gegeben sind, die aber gleichzeitig als politisches Projekt immer schlechter funktioniert. Gerade nach ihrem Scheitern an den Wahlurnen kann man nun den Eindruck gewinnen, dass es der Rechten gelungen ist, der ökologischen Angst einen neuen Ort zu geben.

Der sogenannte Vibe Shift nach rechts besteht politisch schließlich primär darin, alle erdenklichen Sorgen an der Einwanderungsfrage auszurichten und gleichzeitig die Hyperstabilität der fossilen Lebensweise zu beschwören. Man versichert sich der eigenen Handlungsfähigkeit durch Grenzkontrollen, Abschiebungen, Stadtbilddiskussionen und der Stabilität der eigenen Lebenswelt durch fossile Restauration und „Drill, baby, drill“.

Erkennt man diesen Zusammenhang, dann schälen sich allerdings auch alte Konturen der Linken wesentlich deutlicher heraus, als dies in den Jahrzehnten liberaler Hegemonie der Fall war. Links und ökologisch gehören dann schon deswegen zusammen, weil das Spiel der Rechten in der Übertragung der nicht zuletzt durch die Aufklärung über Klimafragen erzeugten Ängste auf Minderheiten und Randgruppen besteht.

Zugleich wird deutlich, dass die Linke womöglich auf die baldige Erlösung aus dem klimapolitischen Schweigepakt hoffen darf, der sich durch das kolossale politische Scheitern der grünen Modernisierung ergeben hat. Das Bewusstsein über die ökologische Krise ist einstweilen relativ stabil. Die rechten Projektionen werden immer häufiger mit realen Katastrophen konfrontiert werden, die man dann auch nicht auf Einwanderung wird projizieren können. Das Verschobene wird wieder ans Licht drängen.

Einstweilen gilt es, sich auf diesen Moment vorzubereiten, indem man den politischen Raum studiert, in dem der Gegner gerade so virtuos navigiert. Hier ist vor allem die enorme Instabilität der politischen Verhältnisse entscheidend. Nach Jahrzehnten liberaler Hegemonie befinden wir uns heute in einer Situation, in der, wie die Neue Rechte uns zeigt, politischer Wandel viel schneller möglich ist als bisher. Darin liegt auch eine Chance. Um sie zu ergreifen, muss die politische Linke weiterhin strategisch auf der korrekten Zurechnung von Verantwortlichkeit und Schuld beharren.

Sie darf sich aber nicht mehr hinter der Verteidigung einer liberalen Semantik verschanzen, sondern muss aktiv den Konflikt suchen und ihn dramatisch zuspitzen. Sie muss sich damit befassen, wie man ökopolitische Fortschritte in einer Situation erzielen kann, in der man selbst nach Wahlerfolgen in stürmischen Gewässern verweilt. Sie muss stärker als heute taktikfähig werden, denn die Demokratie im Klimawandel ist eine Demokratie politischer Kipppunkte. Linke Politik in Zeiten des Klimawandels bedeutet vor allem, diese Kipppunkte zu bespielen.

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3 Kommentare

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  • Sehr treffender Artikel von Philipp Staab.

    "Heute stehen die Dinge ganz anders. Furchtsam erstarrte Lebenswelten wünschen sich vor allem eines: Gegenwartsverlängerung."

    Gegenwartsverewigung muss man schon sagen zur Politik der Erstarrung der Neoliberalen.

    Hierzu passt auch ein Zitat von Erich Fried:

    "Wer will dass / die Welt so bleibt / wie sie ist / der will / nicht / dass sie / bleibt"

    de.wikiquote.org/w...t_Side_Gallery.jpg

  • Die Frage ist, was genau ist "links"?

    Jedenfalls sind vielen "Linken" Arbeitsplätze wichtiger als alles andere - eingeschlossen Menschenleben oder die Bewahrung eines bewohnbaren Planeten. Zerstörung und Katastrophen schaffen nun aber immer wieder Arbeitsplätze, die uns sonst schon alleine aufgrund des technologischen Fortschritts verloren gehen würden.

  • "Furchtsam erstarrte Lebenswelten wünschen sich vor allem eines: Gegenwartsverlängerung."

    Vor allem wollen 2-3 Milliarde Menschen global erst einmal weg aus der mieserablen Gegenwart und in die Mittelschicht mit Eigentumswohnung, Auto und Reisen.