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Debatte um „Nordisches Modell“Sex­ar­bei­te­r*in­nen wehren sich mit Fakten

Die CDU will ein Sexkaufverbot. Ein Bündnis für legale Prostitution hat sich dagegen zusammengetan und veröffentlicht eine breite Faktensammlung.

Sexarbeitende verteidigen sich mit Fakten gegen Schutzfantasien von Recht Foto: Robert Kluba/SZ Photo/dpa

Berlin taz | Am Mittwochvormittag stellte das Bündnis für legale Sexarbeit seinen Reader „Kein Sexkaufverbot“ vor. Im Berliner Theater Bar jeder Vernunft kamen Sexarbeitende, Be­trei­be­r:in­nen von Bordellen, Rechts­ex­per­t:in­nen und Be­ra­te­r:in­nen zusammen. Gemeinsam wollen sie mit Fakten und Fachwissen gegen die Bestrebungen von Sex­ar­beits­geg­ne­r:in­nen argumentieren. Sie haben ein achtzigseitiges Informationsheft erarbeitet.

Die CDU strebt ein Sexkaufverbot nach dem sogenannten nordischen Modell an, welches nicht Sexarbeiter:innen, sondern die Kun­d:in­nen kriminalisiert. Die Konservativen wollen so ein klares Signal gegen sexuelle Ausbeutung, Menschenhandel und Prostitution setzen. Das Bündnis für legale Sexarbeit warnt jedoch, dass die Arbeit so in unsichere und schwer kontrollierbare Bereiche verdrängt wird.

Howard Chance, Unternehmensberater in der Erotikbranche und Initiator des Bündnisses, sieht im Sexkaufverbot auch eine Menschenrechtsverletzung der Sexarbeitenden: „Menschen vor etwas zu schützen, wovor sie gar nicht geschützt werden wollen, ist ein tiefer Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht.“

Sexarbeit findet auch bei Verboten statt

Ähnlich äußert sich Johanna Weber, Sexarbeiterin und politische Sprecherin des Bundesverbands Sexuelle Dienstleistungen: „Es sprechen immer andere für uns. Dabei entstehen Gesetze, die nicht zu unserer Lebensrealität passen“, sagt Weber. Dass das nordische Modell nicht funktioniere, habe sie während der Coronapandemie gesehen, wo Prostitution verboten war. „Sexarbeit fand statt“, so Weber. So gingen während Corona die Prostituierten zunächst in Airbnbs oder Hotels, später dann in Parks.

Dr. Martin Theben, Rechtsanwalt und Aktivist für Menschen mit Behinderungen, sitzt selbst im Rollstuhl. Er hat seine eigene Sexualität in der Jugend nur mithilfe von Sexarbeit ausleben können. „Behinderte Menschen stoßen auf viele Barrieren, wenn es darum geht, ihre Sexualität auszuleben“, erklärt Theben. Für Menschen mit Behinderungen gibt es die Möglichkeit, Unterstützung durch Sexualassistenz zu erhalten. Ein totales Sexkaufverbot würde jedoch auch diese Form der Arbeit betreffen.

Im Koalitionsvertrag konnte die Union kein Vorhaben zum Sexkaufverbot durchsetzen. Stattdessen einigten sich Union und SPD darauf, die Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes abzuwarten. Das Ergebnis des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) kam im Juni: Das Prostituiertenschutzgesetz wirke und zeige viele Erfolge. Trotzdem bräuchte es Verbesserungen, wie mehr Fortbildungen für Sach­be­ar­bei­te­r*in­nen.

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10 Kommentare

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  • Es wäre ja schön wenn Taz Journalisten sich tatsächlich mal den Fakten widmen würden, anstatt sich als Aktivisten zu verstehen und sich dabei gutgläubig von Lobby- Gruppen einwickeln zu lassen, die ihre causa in linker Optik zu verpacken wissen. Das wenig ruhmreiche Kapitel in den 70er Jahren, als die Linken sich von der Pädophilen-Lobby haben vereinnahmen haben lassen, sollte zumindest etwas als Mahnung nachhallen. Nicht alles, was sich als Rebellion gegen die biedere bürgerliche Sexualmoral verkauft, stimmt mit linken Werten und Menschenrechten überein.

    Ist Frau Weber, die Pädagogik und Slawistik studiert hat, an Sexarbeit-Konferenzen in Berlin und Utrecht beteiligt ist und freischaffend als Domina arbeitet, repräsentativ für die Realität des Gewerbes oder vertritt sie die Interessen ihres Geschäftsmodells, das für sie persönlich gut funktioniert? Ist ihre Situation als deutschsprachige Selbstständige im high- end- Bereich als stellvertretend für ein Gewerbe zu verstehen, wo Menschenhandel und Zwangsarbeit aus Osteuropa die Regel, nicht die Ausnahme ist? Wohl kaum. Hier sollte differenzierter und kritischer recherchiert werden.

  • Kann man ein paar der Fakten erfahren? Wäre hilfreich. Nicht jeder Mensch hat die Zeit, 80 Seiten durchzuarbeiten. Das Inhaltsverzeichnis ist auch nicht wirklich aussagekräftig.

    Die Aufzählung der Teilnehmer klingt halt sehr nach Lobby.

  • Die Fakten und Perspektiven der Täter interessieren mich in dem Fall ehrlich gesagt überhaupt nicht. Auch wenn die ein „Bündnis“ haben oder sich ihre Gründe schönreden wollen.

  • Dieses sogenannte "nordische Modell" ist doch nichts anderes, als die Rückkehr von klerikal geprägten Moralvorstellungen im progressiven Tarnumhang.



    Vielleicht ist es deshalb kein Zufall, daß es ausgerechnet dort erfunden wurde, wo Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre die sexuelle Freizügigkeit ihren Anfang nahm.

    Dabei gibt es doch weltweit schön genügend Länder, in denen Prostitution komplett verboten ist. Und die dort gemachten Erfahrungen zeigen doch Folgendes:

    Luxusprostitution für die Oberklasse ist dort kein Problem. Entweder kriegt die dortige Polizei das gar nicht mit, oder sie will sich mit der Oberklasse nicht anlegen.



    Und natürlich gibt es dort auch Zwangsprostitution.

    Das nordische Modell macht letztlich die Freier erpressbar durch die Prostituierten, die ja kein Risiko eingehen bei einer Anzeige.



    Bei der Zwangsprostitution sorgt die Organisierte Kriminalität gegen entsprechende Zahlungen für Diskretion.

    Will man die stärken durch das Verbot des "normalen" Sexkaufs ?

    • @Don Geraldo:

      "Dieses sogenannte "nordische Modell" ist doch nichts anderes, als die Rückkehr von klerikal geprägten Moralvorstellungen im progressiven Tarnumhang."

      Völlig falsch. Die klerikal geprägten Moralvorstellungen haben die Frauen verdammt und aus der Gesellschaft ausgeschlossen, während die "Kunden" mit einem kurzen Schwenken des moralischen Zeigefingers davon kamen.

  • Das ist eine sehr Einseitige Berichterstattung. Sie wird dem Problem der Ausbeutung von Frauen, insbesondere aus Osteuropa keineswegs gerecht.

  • Leider ging es nach hinten los das lockerer anzugehen, wir sind das Bordell Europas geworden, und vermutlich kommt auf jede freie selbstständig arbeitende auch mindestens eine Frau in versteckten Hinterhof Läden deren Ausweis einkassiert wurde.

    Ich hab bei dem Thema deshalb jetzt ne konservative Meinung und denke wir sollten das nicht so weiter laufen lassen wie bisher. Es wäre sinnvoll Regelungen zu finden wie man dem im Artikel erwähnten Anwalt und anderen Betroffenen damit das Leben nicht zerstört, aber so wie jetzt kann es nicht bleiben. Das weggucken bei den verbunden Schicksalen ist richtig böse...

    • @Rikard Dobos:

      Also erstens ist es schwach, nur aufgrund einer Vermutung die ganze Prostitution zu verbieten.

      Zweitens ist diese Art der Prostitution - also mit dem Abnehmen der Pässe und gegen den Willen der Frauen - auch heute schon strafbar. Trotzdem wird es gemacht. Wenn sich jetzt schon nicht darum geschert wird, daß es verboten ist, würde sich bei einem totalen Verbot genauso wenig darum gekümmert. Es würde also an dieser illegalen Art der Prostitution nichts ändern.

      Ich bin ganz klar gegen ein Verbot, auch wenn ich es selbst nicht konsumiere. Als ich vor Jahrzehnten ein paar Mal gemacht habe, hat es mir nichts gegeben. Ich brauche irgendwie das Gefühl, daß die Frau es gerne macht, nicht nur wegen der Kohle. Ich kann aber verstehen, daß das bei andrren Männern anders ist.

    • @Rikard Dobos:

      "...eine Frau in versteckten Hinterhof Läden deren Ausweis einkassiert wurde..."



      Und diese Frau, die bisher dort von ihren ZuhälterInnen gefangen gehalten wurde, geht dann bei einem solchen Gesetz plötzlich zu Polizei? Wohl kaum.



      Und auch die ZuhälterInnen selbst werden die Freier kaum anzeigen und sich damit das Geschäft kaputt machen.



      Dieser schlimme Fall, den Sie schildern, ist bereits verboten. Und passiert leider dennoch vielfach.



      Noch ein weiteres Gesetz wird daran sehr wenig ändern.

    • @Rikard Dobos:

      Nur weil man letztes Mal den rotgrünen höheren Töchtern aufgesessen ist, ist das kein Grund, jetzt den schwarzen höheren Töchtern auf den Leim zu gehen. Prostitution ist übel und muss bekämpft werden, aber nicht mit Mitteln, die das Übel schlimmer machen. Ich gehe nicht mit dem Vorschlaghammer auf Mückenjagd, auch nicht gegen die seuchenübertragende Tigermücke.