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Todestag von Mouhamed DraméDas Muster rassistischer Polizeigewalt

Fridolin Haagen
Kommentar von Fridolin Haagen

Am 8. August 2022 erschossen Polizisten den 16-jährigen Mouhamed Dramé in Dortmund. Drei Jahre später fehlen unabhängige Kontrollen der Polizei weiterhin.

Mouhamed Dramé wurde vor drei Jahren von der Polizei erschossen Foto: Snowfield/imago

A m 8. August jährt sich der Todestag von Mouhamed Dramé zum dritten Mal. Erschossen wurde der 16-Jährige von der Dortmunder Polizei. Dramé war suizidgefährdet und hatte ein Messer auf sich gerichtet. Die Polizei feuerte Schüsse aus einer Maschinenpistole ab – obwohl wenig darauf hindeutete, dass er die Beamten angreifen wollte.

Dies bestätigte auch das Dortmunder Landgericht, dennoch wurde die Anklage wegen Totschlags gegen die Polizisten fallengelassen. Sie wurden freigesprochen. Um Befangenheit zu verhinden, ermittelte die Polizei Recklinghausen im Fall Dramé. Was dabei irritierte: Dass sich zeitgleich die betroffene Dortmunder Polizei mit einem Fall tödlicher Polizeigewalt der Recklinghausener Polizei beschäftigte.

Eine unabhängige Kontrolle der Polizei gibt es in Deutschland derzeit nicht. Zu spüren bekommen das ohnehin schon marginalisierte Personengruppen. Erst vor kurzem starb der 21-jährige Lorenz in Oldenburg. Drei Mal hatte die Polizei auf ihn geschossen. Sein Messer war in seiner Hosentasche, als die Todesschüsse abgegeben wurden.

Justiz darf die Toten nicht im Stich lassen

Ebenfalls entscheidend involviert war die Polizei beim Tod der beiden jungen Männer Qosay Khalaf und Ibrahima Barry. Beim Mord an Oury Jalloh warten die Angehörigen bereits seit mehr als 20 Jahren auf staatliche Aufklärung.

Das Muster, das sich hinter diesen Fällen verbirgt, ist rassistische Polizeigewalt. Zahlreiche Todesopfer haben Mirgationshintergrund. Sie sind jedoch keineswegs eine homogene Masse, sondern Individuen, die von der Justiz nicht im Stich gelassen werden dürfen.

Die Familie von Mouhamed Dramé beschreibt ihn als lachenden und lebensfrohen Menschen. Psychische Probleme seien erst in seinem letzten Lebensabschnitt aufgetreten. Er war aus Senegal nach Dortmund geflüchtet, war Fan des ortsansässigen Fußballvereins Borussia. Fußballfans forderten nach seinem Tod mit mehreren Aktionen Gerechtigkeit, bundesweit schlossen sich weitere Fanszenen an.

Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed sammelte Spenden für die Familie, organisierte Gesprächsrunden für Angehörige und Demos. Diese Solidarität ist stark. Doch sie hat Grenzen. Deswegen muss Polizeigewalt nicht nur aufgearbeitet, sondern in Zukunft aktiv verhindert werden.

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Fridolin Haagen
Jahrgang 2004, mit Fokus auf Fußball, Politik und Star Wars.
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26 Kommentare

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  • Fünf [ 5 ] Schüsse wurden von dem Polizisten in Oldenburg auf Lorenz abgegeben - drei [ 3 ] Kugeln davon trafen den jungen Mann von hinten tödlich. Von hinten erschossen, soetwas in Deutschland, in Oldenburg. Die Bevölkerung in Oldenburg ist noch immer fassungslos.

  • Unabhängig vom racial profiling sind unverhältnismäßige und unangemessene Übergriffe von Polizisten auf physisch Kranke die zB. mit einem Herzfehler zusammenbrechen oder mit Osteogenesis imperfecta irreparable Schäden davontragen können, oder eben auch psychisch Kranke die zB. von körperlichen Kontakt in Ausnahmezustände gebracht werden (Autisten) eben doch eine riesige Gefahr für Bürger*Innen. In der Regel geht man davon aus, dass Polizisten die Barriere zur Gewalt darstellen und nicht selber Gewalt, Trauma und am besten noch justiziables Victim Blaming ins eigene Leben bringen. Denn nicht selten erhalten Sie noch Unterstützung durch Staatsanwaltschaften, alles erschütternd und gut dargelegt aufgearbeitet im Forschungsprojekt KviAPol der Goethe Universität Frankfurt.



    kviapol.uni-frankfurt.de/



    Ich verstehe, bedaure und fühle mit den Beamten, dass sie größtenteils mit Gewalt konfrontierte sind, aber es bedarf dringend Schulungen aber auch Kontrollmechanismen damit diese Gewalt – nicht an Menschen ausgelassen wird, die gerade nur zur falschen Zeit am falschen Ort sind. Polzisten muss beigebracht werden, dass nicht alles ein Nagel ist, sobald man einen Hammer in der Hand hält.

  • @Fridolin Haagen / taz:

    Warum ist gleich in der Überschrift wieder vom "16-Jährigen" die Rede? Seine Familie hat selbst bestätigt, dass er über 20 war. Warum weiter den skandalisierenden Mythos von "Polizei erschiesst Jugendlichen!" aufrechterhalten?

    Dass es eine unabhängige Kontroll-/Ermittlungsinstanz bzgl. polizeilichem Handeln geben muss - absolut notwendig!

    Aber dieser Fall wird - wie so viele, weil passt in die eigene Weltsicht - schlichtweg falsch interpretiert. Dramé hätte nicht sterben müssen. Aber der Fehler waren nicht die Schüsse - wenn sich jemand in einem psychischen Ausnahmezustand mit einem Messer in der Hand auf irgendwen (egal ob Polizei oder nicht) zubewegt, dann muss man mit dem Schlimmsten rechnen. Waffeneinsatz ist dann gerechtfertigt. Und nein, "Schüsse auf die Beine" funktioniert nur in Hollywood-Filmen oder dem Tatort zuverlässig, in der Realität nicht. In der Realität stoppen auch einzelne Schüsse (vermeintliche) Angreifer oft nicht. Das Problem an diesem Fall (oder auch bei Mohammed Idrissy in Bremen) war das Rumgestümpere mit Pfefferspray, was die für die Polizisten potentiell lebensbedrohliche und für Dramé tödliche Situation ausgelöst hat.

    • @Kawabunga:

      „Warum weiter den skandalisierenden Mythos von "Polizei erschiesst Jugendlichen!" aufrechterhalten?“

      Wäre Ihnen Polizei erschießt psychisch Kranken, lieber? Wäre das besser? Denn der eigentliche Skandal ist, dass es – wie Sie selber feststellen „Aber dieser Fall … wie so viele“ – viel zu viele sogenannte „Einzelfälle“ gibt.

      „Dramé war suizidgefährdet und hatte ein Messer auf sich gerichtet.“

      Ich sehe nicht, wo da irgendeine Gefahr für eine Überzahl an Polizisten gewesen wäre. Es gibt klare Richtlinien, wann Polizisten „gerechtfertigten“ Waffeneinsatz anwenden dürfen. In 1. Instanz wird WE angedroht, dann gibt es Warnschüsse (bei denen mE. Dramé das GEGEN SICH gerichtete Messer fallen gelassen hätte) & in nächster Instanz Schüsse, um das Gegenüber aufzuhalten (zB. in die Beine). Schüsse sollen lediglich dazu dienen akute Gefahr abzuwenden und nicht um zu töten. Das Problem war auch nicht irgendwelches Pfefferspray-Gestümpere sondern die willkürliche & gegen eigene Auflagen verstoßende Polizeigewalt der sofort tödlichen Schüsse aus einem Maschinengewehr(!) 😦Wenn da Hollywood war, dann nur in den Köpfen der Polizisten & da gehörts ausgerümpelt & mal ordentlich aufgeräumt.

      • @Lou Andreas-Salomé:

        Es wäre jedenfalls die Wahrheit (Ihre alternative Überschrift).

        • @Dr. McSchreck:

          Welche Wahrheit? Meine Überschrift? Nebenschlachtfelder?

      • @Lou Andreas-Salomé:

        Immerhin haben ja die Mitarbeiter der Jugendeinrichtung die Polizei gerufen. Sie selbst trauten sich also offenbar keine Lösung zu.

        • @Dr. McSchreck:

          Und die Lösung der Polizei war Mord.

  • Bestimmt sehr schwierig eine Neutralität von einer Polizeibehörde gegenüber " Kollegen " zu gewährleisten.



    In Oldenburg, im Fall des von hinten erschossen Lorenzdurch einen Polizisten, in der Nacht zu Ostersonntag diesen Jahres, stehen da auch viele Bürger sehr skeptisch dieser Handhabung gegenüber. Eine neutrale Ermittlungsinstanz würde nicht nur in der Bevölkerung mehr Vertrauen in unseren Staat aufbauen können.



    In Oldenburg, wird jetzt von der Bevölkerung, nach fast ein halbes Jahr Ermittlungsarbeit durch eine benachbarte Polizeidienststelle, auf ein ordentlichliches Gerichtsverfahren durch die Beantragung der Staatsanwaltschaft Oldenburg erwartet. Nur so wird die Bevölkerung von Oldenburg ihr Vertrauen in den Rechtsstaat behalten können.

    • @Alex_der_Wunderer:

      Ermittelnde Polizeibeamte haben den Vorteil, dass sie sich besser auskennen, was glaubhaft ist, und zudem die Rechtslagen selbst mal gelernt und angewendet haben.

      Mit Externen ist das so eine Sache.

      In Berlin ist der Bürger- und Polizeibeauftragte immerhin selbst mal Verwaltungsrichter gewesen.

      Die LADG-Ombudsstelle war dagegen grausam.

      Die haben immer wieder nicht bemerkt, wenn ihnen ihre Schützlinge Lügen erzählt haben.

      Die Chefin ist halt Juristin mit dem Schwerpunkt Gleichstellung, hat aber zuwenig Ahnung von Polizei- und Strafrecht.

      Die Erfolgsquote war extrem niedrig.

      Mittlerweile hat sie sich wohl auf andere Schwerpunkte, wie Schulen, verlegt.

      Andererseits bearbeiten derartige Fälle in manchen Bundesländern die Landeskriminalämter.

      So viel Gruppenidentität werden die Sachbearbeiter dort mit Funkwagenbesatzungen nicht haben.

      Zudem gibt es ja immer noch Staatsanwälte.

      • @rero:

        Hier in Oldenburg ist immer von Auswertungen von Videoaufzeichnungen und Ausmessungen am Tatort, die Rede. Von Ermittlungen über das soziale Umfeld und eventuelle Verbindungen zu rechtsextremistischen Parteien, Organisationen, Vereinen, Internet Plattformen ist noch nichts bekannt gegeben worden.



        In der örtlichen Presse wird die Bevölkerung gebeten, aufgefordert Vertrauen in unseren Staat zuhaben.

        • @Alex_der_Wunderer:

          Machte die komplette Ermittlung die benachbarte Polizeidienstelle der Schutzpolizei?

          Das klingt auch für mich ungewöhnlich.

          • @rero:

            Einiges ist irritierend, so hat laut Kreiszeitung vom 10.08. 2025 www.kreiszeitung.de



            Artikel von Carolin Gehrmann, " Polizeischüsse auf Lorenz A. In Oldenburg - neue Erkenntnisse geben Hinweise auf Schussdistanz " , der rechtliche Vertreter von Lorenz A.' s Mutter, noch keine vollständige Akteneinsicht, z. B. über die Chatverläufe des Polizisten. Auch fehlen noch aktuell ; eine 3-D-Rekronstruktion des Tatorts sowie ein weiteres von der Staatsanwaltschaft beauftragten Sachverständigengutachten.

      • @rero:

        "Die LADG-Ombudsstelle war dagegen grausam.

        Die haben immer wieder nicht bemerkt, wenn ihnen ihre Schützlinge Lügen erzählt haben."

        Davon habe ich noch nicht gehört. Hätten Sie z. B. einen Link wo näheres nachzulesen ist?

        • @Socrates:

          Berlin hat ein Informationsfreiheitsgesetz.

          Das heißt, Sie können direkt Einsicht nehmen.

  • Das Lesen der Kommentare verändert das Bild zum Fall Dortmund. Grundsätzlich musste eine federale Kontrollbehörde existieren

  • Herbert Reul, der NRW-Innenminister, reagierte aber schon auch zeitnah wegen der Kritik:



    "Die Einheit des LKAs solle eine "zusätzliche neutrale Ermittlungsinstanz" darstellen, heißt es in dem Schreiben, das t-online vorliegt und laut Nachrichtenagentur dpa in Kopie an die Chefs der übrigen Landtagsfraktionen ging. Die Unterstützung der Behörde sei üblich, "wie in vergleichbaren anderen Fällen auch" heißt es weiter."



    Quelle t-online.de



    Damals in der lokalen Presse:



    "Die Ermittlungen in dem Verfahren führt aus Neutralitätsgründen die Polizei im Kreis Recklinghausen – während gleichzeitig die Dortmunder Polizei einem Fall in der Zuständigkeit der Recklinghäuser nachgeht. Hieran hatte es von verschiedenen Seiten Kritik gegeben.



    Reul verteidigte dieses Vorgehen. Allerdings könne man aber immer über mögliche Verbesserungen nachdenken, „zum Beispiel, indem man rotiert bei den Behörden, die dann prüfen“.



    Quelle ruhrnachrichten.de



    Von Rotationen habe ich später dann nichts mehr gehört oder gelesen.



    Aber die Dortmunder Polizei unter d. Leitung von Gregor Lange hat auf Missstände und sprachliche Unzulänglichkeiten reagiert, was auch in einem WDR-Podcast zu hören ist bzw im Netz zu lesen ist.

  • Der Kommentar wurde entfernt. Unsere Netiquette können Sie hier nachlesen: taz.de/netiquette

    Die Moderation

    • @Šarru-kīnu:

      "Wieso jemand der wegen sexueller Belästigung und versuchter Vergewaltigung bereits auffällig war, nur in einer Jugendeinrichtung untergebracht war, ist sowieso der Bevölkerung kaum noch vermittelbar."



      Wieso sollte das jemals vermittelbar sein? Völlig unabhängig von Nationalität, Hautfarbe, Alter oder Vorgeschichte möchte ich solche Männer nicht auf freiem Fuß in Deutschland wissen.

    • @Šarru-kīnu:

      Diese „Fakten” stehen nicht im Artikel, weil sie für den Fall völlig irrelevant sind. Er war psychisch krank und gehörte nicht ins Gefängnis, sondern in eine Psychiatrie. In diese hatte er sich einen Tag vor seinem Tod sogar freiwillig begeben. Dort wurde eine „schwere depressive Episode” diagnostiziert, er wurde aber trotzdem gleich wieder entlassen. Und inwiefern man jemand mit Pfefferspray entwaffnet kann ist auch sehr fraglich, genauso wie einen tödlich verwundeten zu fixieren. Das steht nämlich auch nicht im Artikel.

    • @Šarru-kīnu:

      Das Alter war laut Urteil auch deutlich über 20 - was nicht heißt, dass man ihn dann erschießen darf.

      Aber ein Artikel, der den Anschein der sachlichen Aufarbeitung erzeugen soll, müsste solche Dinge nicht unbedingt falsch darstellen, weil es vielleicht dramatischer klingt, wenn ein 16jähriger erschossen wurde.

  • ...rassistische Polizeigewalt...



    Alles nur Einzelfälle 🤮

  • Im Artikel vom 12.12.2024 über den Freispruch der beteiligenten Polizisten, steht das die Dramé das Messer in der Hand gehabt hat. Nun steht in dem Artikel das sich das Messer in der Hosentasche befunden hat. Ich würde die Taz Redaktion bitten diesen Widerspruch in Ihren Artikeln aufzuklären.

    • @Lemuel Pitkin:

      Ich hatte auch damals die Schilderung in den Medien so verstanden, dass nicht Polizisten (Pl.), sondern ein Polizist (Einz.) geschossen hatte, wegen der Salven- statt Einzelschuss-einstellung war es dann zu der entsprechenden Zahl an Einschüssen gekommen.



      "Mouhamed Dramé, ein Jugendlicher aus dem Senegal, war damals von fünf Schüssen aus einer Maschinenpistole der Polizei getötet worden. Er hatte in einer Nische gelehnt und sich - vermutlich in Suizidabsicht - ein Messer an den Bauch gehalten. Um ihn zu entwaffnen, hatte der Dienstgruppenleiter den Einsatz von Pfefferspray angeordnet. Daraufhin bewegte er sich mit dem Messer in der Hand auf die Beamten zu. Die seitens der Beamten eingesetzten Taser stoppten ihn nicht, direkt darauf schoss ein als Sicherungsschütze eingeteilter Beamter."



      www.lto.de/recht/n...eigewalt-rassismus



      Eine Revision ist wohl noch in der Schwebe.

    • @Lemuel Pitkin:

      Der mit dem Messer in der Hosentasche war ein anderer - in Oldenburg.

    • @Lemuel Pitkin:

      Zur Entlastung der Redaktion kann auch ich für Aufklärung sorgen. Bei genauerer Betrachtung des Artikels stellt man fest, dass der 21-jährige Lorenz in Oldenburg ein Messer in seiner Hosentasche hatte. Von Dramé ist nicht die Rede.