Phantomlehrer in Baden-Württemberg: Dipsy lässt fast 1.500 Lehrerstellen verschwinden
Ein Softwarefehler hat in Baden-Württemberg 20 Jahre das Kultusministerium genarrt. Jetzt gibt es für Schulen einen unverhofften Stellensegen.

Tatsächlich, es gab 20 Jahre Geister-Lehrerstellen an den 4.500 Bildungsanstalten des Landes. Und DIPSY, eine offenbar fehlerhafte Software, benannt nach dem grünen Teletubbie, soll schuld sein. Sie wurde 2005 im baden-württembergischen Kultusministerium eingeführt, und seitdem sind bis zu 1.440 Lehrerstellen unbesetzt geblieben – immerhin mehr als 1,5 Prozent der Lehrerstellen im Land. Ans Licht kam der Fehler, nachdem das Landesamt für Besoldung nach Unklarheiten die Lehrerstellen zusammen mit dem Kultusministerium neu ausgezählt hatte.
In der Verwaltung geht man davon aus, dass die Zahl der unbesetzten Stellen wegen des fortgeschriebenen Softwarefehlers über Jahre angewachsen ist. Warum das nicht ausgegebene Geld im Finanzministerium nicht aufgefallen ist, ist ebenfalls ungeklärt. Denn durch den Fehler wurden zwischen 110 und 120 Millionen Euro im Jahr nicht ausgegeben. Das Finanzministerium versichert, es sei kein finanzieller Schaden entstanden.
All das ist peinlich für den Grünen Winfried Kretschmann, den Ministerpräsidenten des selbsternannten Hightechlands, der früher selbst Lehrer war. Für den Parteienstreit taugt der peinliche Fall dennoch nicht. Denn vor 20 Jahren regierte der Christdemokrat Günther Oettinger mit der FDP, Kultusministerin war Annette Schavan, ihr folgte Helmut Rau nach, beide CDU. Später standen auch noch zwei SPD-Mitglieder dem Kultusministerium vor.
Stellen sollen jetzt zügig nachbesetzt werden
Dennoch sprach die FDP davon, der Fehler sei von einer „überforderten grünen Kultusministerin verursacht worden“. Theresa Schopper, Grüne aus Bayern, ist allerdings erst seit 2021 Kultusministerin in Stuttgart. Verursacht hat sie die Peinlichkeit also nicht – blöderweise aber eben auch nicht bemerkt.
SPD-Fraktionschef Andreas Stoch, der bis 2016 selbst Kultusminister war, weist darauf hin, dass die Leidtragenden der jahrelang unbemerkt gebliebenen Unterversorgung „unsere Kinder“ seien. Das stimmt, erklärt die Kultusministerin, der der Skandal dennoch keine Augenringe verursacht. Denn Schopper weist darauf hin, dass angesichts des lange herrschenden Lehrermangels nicht gesagt sei, dass man die Stellen auch hätte besetzen können, hätte man sie denn früher entdeckt.
Die GEW-Landesvorsitzende Monika Stein richtete den Blick nach vorne: „Aus diesem Skandal muss sofort das Beste gemacht werden, und die gute Nachricht für die Schulen muss sofort spürbar werden.“ Jahrelang hätten die Schulen mit Unterrichtsausfall und fehlendem Personal jonglieren müssen, das müsse sich nun ändern. Tatsächlich deckt sich die Zahl von fast 1.500 Stellen mit der Forderung von Lehrerverbänden der vergangenen Jahre. Sie hatten stets ein Stellenwachstum in dieser Größenordnung gefordert.
Laut Kultusministerium sollen die Stellen schon im kommenden Schuljahr nachbesetzt werden. Profitieren sollen vor allem Schulen mit Schülerinnen und Schülern mit besonderem Förderbedarf sowie Gemeinschafts- und Realschulen. Der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung, Gerhard Brand, nimmt auch Bezug auf eine Imagekampagne des Landes: Der Fall sei ein „Trauerspiel für das Hightechland ‚The Länd‘“.
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