Unterdrückung von Frauen: Internationale Haftbefehle für Talibanführer
Der Internationale Strafgerichtshof sieht einen „hinreichenden Verdacht“ für systematische und geschlechtsspezifische Verfolgung in Afghanistan.

Der Gerichtshof gab damit Anträgen des Hauptanklägers Karim Khan vom Januar statt. Die Haftbefehle bleiben in ihrem Wortlaut unter Verschluss, „um Opfer und Zeugen zu schützen“. Auch die Anträge im Januar wurden nur teilweise veröffentlicht.
Die Haftbefehle kamen nur wenige Stunden, nachdem die UNO ihre alljährliche Afghanistan-Resolution verabschiedet hatte. Darin wird das Regime in Kabul aufgefordert, seine „zunehmende“ Unterdrückung von Frauen und Mädchen zu beenden. Die USA und Israel stimmten dagegen, weil sie von der UNO geplante weitere Gespräche mit den Taliban ablehnten. Russland, das zu Monatsbeginn als erstes Land deren Regime offiziell anerkannte, China, Indien, Iran und acht weitere Länder enthielten sich.
Unterdrückung von Frauen und Mädchen
Das Gericht begründete die Haftbefehle damit, dass die Regierungspolitik der Taliban „zu schwerwiegenden Verletzungen der Grundrechte und -freiheiten der Zivilbevölkerung Afghanistans“ führe. Dabei käme es zu „Mord, Inhaftierung, Folter, Vergewaltigung und gewaltsamem Verschwindenlassen“. Während die Taliban der gesamten Bevölkerung bestimmte Regeln und Verbote auferlegt hätten, richteten sie sich „speziell gegen Mädchen und Frauen aufgrund ihres Geschlechts“.
Ihnen würde „das Recht auf Bildung, Privatsphäre und Familienleben sowie die Bewegungs-, Meinungs-, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“ vorenthalten. Darüber nähmen die Taliban Personen ins Visier, deren „Sexualität und/oder Geschlechtsidentität als unvereinbar“ mit der Taliban-Politik angesehen würden – ein Hinweis auf die ebenfalls entrechtete LGBTQ+-Gemeinde. Die geschlechtsspezifische Verfolgung gehe über „direkte Gewalt“ hinaus und umfasse „systemische und institutionalisierte“ Menschenrechtsverletzungen.
Auch die UNO spricht von „systematischer Unterdrückung“. Unabhängige UN-Experten sowie Taliban-Gegner*innen verlangen, die Taliban-Politik als „Geschlechter-Apartheid“ zu bezeichnen. Die Taliban-Gesetzgebung fußt auf einer besonders engen Interpretation des islamischen Schariarechts.
Dafür ist Hakkani verantwortlich. Achundsada als geistliches und weltliches Oberhaupt des Taliban-Emirats gab im März völlig neue Gesetze in Auftrag, nachdem er es abgelehnt hatte, dass die unter der Vorgängerregierung gültigen Gesetze nur überarbeitet würden.
Talibanführer verlassen Land nicht
Aufgrund der Haftbefehle müssen die über 120 IStGH-Mitgliedstaaten – darunter Deutschland – diese vollstrecken, sollte einer der Gesuchten in eines der Länder reisen. Im Gegensatz zu anderen Talibanführern haben Achundsada und Hakkani aber seit ihrer Machtübernahme im August 2021 Afghanistan nicht verlassen.
Die Taliban reagierten noch am Dienstagnachmittag. Sie bezeichneten den Vorgang als „Ausdruck von Feindseligkeit“ gegenüber dem „Islam und seinem Rechtssystem“ und erklärten, dass sie keine Verpflichtung gegenüber dem „sogenannten“ IStGH anerkannten. Im Februar hatten sie den Beitritt der Vorgängerregierung zurückgenommen.
Karim Khans Vorgehensweise in Sachen Afghanistan ist allerdings umstritten. Er nahm im März 2022 zwar die zeitweise eingestellten Ermittlungen zur Lage dort wieder auf, beschränkte dies aber auf Handlungen der Taliban und des Islamischen Staates. Seine Vorgängerin Fatou Bensouda wollte auch Verstöße der US- und der verbündeten afghanischen Regierungstruppen untersuchen. Deshalb verhängte Präsident Donald Trump Sanktionen gegen sie und drei weitere IStGH-Richter*innen. Khan lässt sein Amt wegen Vorwürfe sexueller Übergriffe zurzeit ruhen.
Mit der Entscheidung von Den Haag werden nun die obersten politischen Vorgesetzten jener steckbrieflich gesucht, mit denen Bundesinnenminister Alexander Dobrindt über regelmäßige Abschiebungen verhandeln will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BDS-Bewegung wird 20
Der Rausch des Antiisraelismus
Gesetzentwurf für neue Wehrpflicht
Pistorius legt Kriterien für Pflichteinberufung fest
Wahl für das Bundesverfassungsgericht
Es droht ein Desaster
Studie über Wohngebäude-Modernisierung
Wärmewende kostet in Deutschland 1,4 Billionen Euro
Kürzungen an Hochschulen
Kampf gegen das Spardiktat
Klinik verweigert Abtreibungen
Taxigeld statt Schwangerschaftsabbruch