Strafgerichtshof Den Haag gegen Taliban: Ein feministischer Antrag
Chefankläger Karim Khan beantragt Haftbefehl gegen zwei Taliban-Führer. Die Taliban sollen Frauenrechte „in noch nie dagewesener Weise“ verletzt haben.
Sein Büro, so Khan, sei zu dem Schluss gekommen, dass „hinreichende Gründe für die Annahme“ vorlägen, dass beide „strafrechtlich verantwortlich für das Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Verfolgung aus Gründen des Geschlechts“ seien. „Im gesamten Hoheitsgebiet Afghanistans“ würden unter ihrer Herrschaft „Frauen, Mädchen und die LGBTQI+-Gemeinschaft“ in „noch nie dagewesener, skrupelloser und andauernder“ Weise entrechtet.
Völkerrechtswidrige Verletzung von Grundrechten
Diese Entrechtung führe „zu zahlreichen schweren, völkerrechtswidrigen Verletzungen der Grundrechte der Opfer, einschließlich des Rechts auf körperliche Unversehrtheit und Autonomie, auf Freizügigkeit und freie Meinungsäußerung, auf Bildung, auf Privat- und Familienleben und auf Versammlungsfreiheit.“ Vermeintlicher Widerstand oder Opposition sowie Personen, die Frauen und Mädchen in ihrem Kampf unterstützten, würden „brutal unterdrückt.“
„Unsere Aktion signalisiert, dass der Status quo für Frauen und Mädchen in Afghanistan nicht akzeptabel ist“, so Khan weiter, und die „Verfolgung genderspezifischer Verbrechen absolute Priorität“ bleibe, so Khan. Afghanische Opfer und Überlebende hätten „schon zu lange unter Ungerechtigkeit gelitten.“
Khans Entscheidung war ein Antrag auf Befassung mit diesem Thema durch sechs IStGH-Vertragsstaaten, Chile, Costa Rica, Spanien, Frankreich, Luxemburg und Mexiko, vorausgegangen.
Scharia rechtfertigt nicht Vorenthaltung von Menschenrechten
Khan erklärte ferner, er verträte die Auffassung, „dass die Auslegung der Scharia durch die Taliban nicht als Rechtfertigung für die Vorenthaltung grundlegender Menschenrechte dienen“ dürfe. Genau das ist deren Begründung für ihre Verfolgungspraxis. Hakkani, einer der beiden demnächst Gesuchten, erklärte erst am Montag in Kabul, die Aufgabe des Taliban-Regimes sei, „die Welt zu überzeugen, sondern das islamische Recht durchzusetzen.“ Sie berufen sich zudem auf ihre Souveränität nach dem Scheitern des US-geführten Afghanistan-Einsatzes von 2001 bis 2021.
Eine Kammer des IStGH muss jetzt Khans Antrag bearbeiten. Das dauert normalerweise vier Monate, kann aber – wie im Fall von Russlands Präsident Putin – schneller gehen. Stimmt sie zu, müsste jeder der 125 IStGH-Vertragsstaaten die beiden Taliban verhaften, wenn einer von ihnen ihr Territorium beträte. Der Gerichtshof hat keine eigene Polizeigewalt und führt keine Prozesse in Abwesenheit durch. Allerdings reisen beide selbst im eigenen Land sehr wenig.
Taliban-Regierung international nicht anerkannt
Afghanistan ist seit 2003 Partei des Rom-Statuts – der rechtlichen Grundlage bei der Gründung des IStGH – als die westlich unterstützte Taliban-Vorgängerregierung diesem beitrat. Ob das von keinem Land anerkannte Taliban-Regime dem noch unterliegt, ist aber umstritten. Im September initiierten Australien, Deutschland, Kanada und die Niederlande, dass der Internationale Gerichtshof, das höchste UN-Gericht mit Sitz ebenfalls in Den Haag, Maßnahmen einleiten solle, wenn Afghanistans Herrscher ihre „systematische Verletzung“ der Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) nicht einstellen. Damit wird indirekt eine weiterbestehende UN-Mitgliedschaft der Taliban bestätigt.
Internationale und exil-afghanische Menschenrechtsorganisationen begrüßten Khans Schritt. Sie führen eine weltweite Kampagne, dass der Begriff „Gender-Apartheid“ anerkannt und als neues Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet wird. Die Taliban reagierten bisher offiziell nicht.
Khan kündigte ferner an, dass sein Büro „in Kürze“ weitere Haftbefehle für andere hochrangige Mitglieder der Taliban sowie deren Gegner vom afghanischen Ableger ISKP des Islamischen Staates beantragen werden. ISKP verübt immer wieder Terrorangriffe auf Vertreter*innen ethnischer und religiöser Minderheiten.
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