Finanzloch bei der Pflegeversicherung: Desaster mit Ansage
Die Gesundheitsministerin müsste die Pflege von Grund auf reformieren – so, dass sie nicht zum Armutsrisiko wird. Zu erwarten ist etwas anderes.
E s ist eine Katastrophe, die absehbar war: Bis 2029 droht den Pflegekassen ein Finanzloch von 12,3 Milliarden Euro. Was das für jene heißt, die gepflegt werden müssen, und die, die pflegen, darf man sich schon jetzt ausmalen: Pflegebedürftige werden in ihren Betten liegen, ungewaschen, mit vollen Windeln, ohne Frühstück. Personal in Heimen wird von Zimmer zu Zimmer hetzen, nie genug Zeit haben, deshalb möglicherweise mal vergessen, eine Tablette zu geben. Für Angehörige zu Hause dürfte es noch dramatischer werden, denn für sie gibt es nicht einmal einen Feierabend.
Die von Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) einberufene Bund-Länder-Kommission für eine Pflegereform steht vor einer Aufgabe, die so groß ist wie der Himalaja. Am Montag kam sie zum ersten Mal zusammen, bis Ende des Jahres soll sie Vorschläge erarbeiten. Die Erwartungen sind entsprechend hoch und könnten trotz der Dringlichkeit für heftige Verstimmung in der Bevölkerung sorgen. Denn Pflege ist teuer und wird noch teurer, soll sie auch künftig gewährleistet sein, Stichwort alternde Gesellschaft. Kommission und Gesundheitsministerin müssen daher unangenehme Wahrheiten aussprechen und die Pflege von Grund auf reformieren – und das so, dass Pflege weder zum Armutsrisiko wird noch aufgrund von Armut erst gar nicht gewährleistet werden kann.
Eine solide Reform erwartet man nicht unbedingt – soziale Fragen liegen zumindest bisher nicht im Fokus der Regierung. Zumal nahezu jede Ausgabe unter dem berühmt-berüchtigten Finanzierungsvorbehalt steht. Man ahnt es schon: Pflege dürfte mehr und mehr ins Private verlagert werden. Das wäre die schlechteste aller Ideen, sollte die Kommission mit solchen Vorschlägen aufwarten. CDU-Seniorenministerin Karin Prien hat mit der Idee für eine Familienpflegeversicherung den Grundstein dafür schon gelegt. Zu Lasten der Frauen, denn sie werden es sein, die ihre Jobs kündigen, weil sie für die Eltern zu Hause da sein müssen. Aber vielleicht überrascht die Kommission ja mit praktikablen, finanzierbaren und sozial verträglichen Ideen.
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