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Demo gegen Krieg in Gaza und IranFaschismus befreit nicht vom Faschismus

Hunderte haben in Berlin gegen den israelischen Völkermord in Gaza und den Angriff auf den Iran protestiert – mit scharfer Kritik am iranischen Regime.

Gegen die Kriege Israels, aber auch gegen die Repression durch das iranische Regime Foto: Tuka Tajali-Awal

Berlin taz | Rund 500 De­mons­tran­t*in­nen sind am Dienstagabend laut Polizei vom Oranienplatz in Kreuzberg zum Alexanderplatz in Mitte gezogen, um gegen den Völkermord in Gaza und den Angriffskrieg Israels auf den Iran zu demonstrieren. Das Motto: „Nein zum Krieg von Palästina bis zum Iran“. Aufgerufen hatten Gruppen wie „Bolandgoo“ („Sag es laut“), die aus der Protestbewegung im Iran 2023 hervorgegangen ist, das „AfgActivistCollective“, das sich nach der Machtübernahme der Taliban gründete, sowie „Migrantifa“.

Bereits am frühen Abend versammeln sich zahlreiche Teil­neh­me­r*in­nen am sonnendurchfluteten Oranienplatz, manche von ihnen sichtlich emotional – vereinzelt fließen Tränen. Viele tragen Kufiyas und Buttons mit Wassermelonen-Symbolen. Sie rufen: „Free Iran, free Palestine!“ und „People united will never be defeated!“

„Krieg führt lediglich den Status quo fort“, sagt eine Rednerin: „Terror, Unterdrückung, Repressionen.“ Ihre Worte richten sich gleichermaßen gegen das iranische Regime wie gegen die israelische Regierung. Auf dem Schild einer Demonstrantin steht: „Kein faschistisches Regime befreit Menschen von einem anderen faschistischen Regime.“

Im Demo-Aufruf kritisieren die Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen die israelische Regierung, „die ihren Völkermord in Gaza fortsetzt und nun seine Raketen und Kampfflugzeuge in Richtung Iran schickt, um noch mehr Blut zu vergießen“. Ihre Kritik richtet sich jedoch auch gegen das „repressive islamische Regime, das seit Jahren jeden Kampf für Freiheit und Gleichheit mit Kugeln, Gefängnissen und Hinrichtungen beantwortet“ und ihre eigenen Bürger erneut im Stich lasse. Sie fordern: „Nein zum Krieg: für einen sofortigen Waffenstillstand, ein Ende der Repression im Iran und ein Ende von Kolonialisierung, Besatzung und Völkermord in Gaza.“

Radikaler propalästinensischer Block fehlt

Unterstützt werden die Forderungen vor Ort auch von Gruppen, wie dem „Jewish Bund“ sowie der „Jüdischen Stimme“, denen mitunter Verharmlosung in Bezug auf den Terror der Hamas vorgeworfen wird. Auffällig ist hingegen das Fehlen des sonst präsenten, radikaleren propalästinensischen Blocks. Eine Mobilisierung durch zentrale Gruppen der Bewegung hatte im Vorfeld nicht stattgefunden.

In Redebeiträgen, die in Farsi übersetzt werden, wird neben der israelischen Regierung auch die Bundesregierung scharf angegriffen: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“, sagt eine Rednerin von Migrantifa. Sie kritisiert die deutschen Waffenlieferungen an Israel und wirft der Bundesregierung antipalästinensischen Rassismus und „Mittäterschaft am Völkermord“ vor.

„Deutschland gibt den israelischen Kriegstreibern Rückendeckung. Politiker und Medien schreiben IDF-Pressemitteilungen ab und verbreiten die Lüge, es ginge bei dem Angriff um das Atomprogramm und Israel müsse sich verteidigen“, kritisiert sie. Ihr Appell: „Wir müssen die Lügen der Herrschenden angreifen und möglichst viele Leute von der Wahrheit überzeugen.“

Demo-Teilnehmer*innen sind gespalten

Auch in den eigenen Reihen sind die Meinungen gespalten. Kurz nachdem sich der Demozug gegen 19 Uhr in Bewegung setzt, entbrennt unter einigen Teil­neh­me­r*in­nen eine Debatte darüber, ob der Angriff Israels als Reaktion auf die andauernden Provokationen durch den Iran einzuordnen sei – oder als Akt der Selbstverteidigung.

Nur unweit kommt es zu weiteren Auseinandersetzungen: Ein Mann mit einer monarchistischen Flagge des früheren Schah-Regimes wird von anderen Demonstrierenden mit „Shame on you!“-Rufen konfrontiert und sucht schließlich Schutz hinter einer Polizeikette.

Ein weiterer Mann zeigt am Rande der Demonstration die Flaggen des früheren Schah-Regimes und Israels. Auf Nachfrage der taz erklärt er, seine Botschaft sei, dass zivile Opfer – ob in Israel oder im Iran – immer tragisch seien. Auf eine palästinensische Flagge verzichte er jedoch bewusst, da auch die Hamas sie verwende.

Aus den umliegenden Wohnhäusern zeigen sich An­woh­ne­r*in­nen solidarisch: Von den Balkonen und aus geöffneten Fenstern erklingen Rasseln, Klatschen und zustimmende Rufe. Am Alexanderplatz endet die Demo ohne Zwischenfälle.

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18 Kommentare

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  • "„Der Hauptfeind steht im eigenen Land“, sagt eine Rednerin von Migrantifa."

    Diese Sichtweise finde ich besorgniserregend, in Anbetracht dessen, dass es um einen Konflikt geht, in dem auch der Iran, die gazanische Regierung, Hizbollah u.v.m. eine prägende Rolle einnehmen. In diesem Konfliktfeld unsere demokratisch gewählte Bundesregierung als Hauptfeind! auszumachen, erscheint mir falsch.

  • Ob diese Menschen schon mal darüber nachgedacht haben, dass sollte Israel die A-Bomben nicht ausschalten, es auch keine Palästinenser:innen mehr geben würde?

    Der frühere iranische Präsident Ali Rafsanjani machte den Vorschlag, über einen Atomschlag auf Israel nachzudenken. Da der Iran neunzig Millionen Einwohner habe, Israel aber nur zehn Millionen und die Fläche des Irans fast sechzigmal so groß sei wie jene Israels, würde »schon eine einzige Atombombe in Israel alles auslöschen«.

    From the river to the sea.

  • Nice. Wird Zeit, dass sich in den Ländern des nahen Ostens, darunter Iran und Israel, die Kräfte durchsetzen, die für die allgemeinen Menschenrechte, Freiheit, Gleichheit, Rechtstaatlichkeit und Einhaltung des Völkerrechts stehen. Diese Stimmen gibt es, viele von ihnen, mit wirksamer Hilfe von außen werden diese aber unterdrückt.

  • Das zeigt gut, wie vielfältig, aber auch wie gespalten die iranische Diaspora ist. Sollte das faschistische Regime endlich fallen, kann man sich auf eine lebhafte Demokratie freuen.

    Mir selbst ist völlig unklar, wie man – bei aller notwendigen Kritik der israelischen Regierung – Israel und die Diktator der Mullahs in einen Topf werfen und daraus sogar einen Titel in einer linken Zeitung machen kann. Ist ja alle auch nicht so wichtig und alles nicht so schlimm. Wir sind ja jetzt Demokraten.

    Und die Mullahs, die seit 40 Jahren das eigene Land ausnehmen, die Bevölkerung systematisch unterdrücken und Krieg und Terror sähen.? Muss man nur genug küssen, wo man sie trifft.

    Auch das hat ja Tradition im beschaulichen Berlin.

  • Ich bin positiv überrascht, dass die TAZ hier die Bezeichnung Völkermord bezüglich Gaza endlich und vor allem als linke Zeitung, erlaubt und somit den tatsächlichen Fakten in Gaza gerecht wird, statt der israelischen und deutschen Propaganda. Wenn es jetzt noch ein Bericht über die ethnischen Säuberungen, Pogrome und Massaker an Palästinensern im Westjordanland, hierher schafft, dann wäre ich sogar extrem beeindruckt und könnte meinen, das wenigstens in der TAZ jüdisches oder christlichesLeben nicht weit höherwertiger ist, als arabisches, muslimisches oder persisches Leben.



    Wenn ich dran denke, wie viele Kommentare diesbezüglich zensiert werden und man in Deutschland bezüglich Kritik an Israel das Wort auf die Goldwaage legen muss und genau überlegen und abwägen muss, was man sagt oder schreibt, damit es nicht zensiert wird, anstatt einfach die Freiheit zu haben, alles, was man meint und denkt schreiben zu können, solange es die Netiquette beachtet und nicht irgendeine Gruppe von Menschen gegenüber feindselig oder hetzend daherkommt.

    Weiter so und Respekt an die Autorin für ihren Mut, die faktisch richtigen Wörter Völkermord und Angriffskrieg auch bezüglich israel zu benutzen!

  • Migrantifa Berlin - das ist doch die Gruppierung welche schon vor Jahren die Neuköllnerin Güner Balcı mit Gewalt bedroht hat. Vom offensichtlichen Antisemitismus dieser Leute mal ganz abgesehen.

  • "Ihr Appell: „Wir müssen die Lügen der Herrschenden angreifen und möglichst viele Leute von der Wahrheit überzeugen.“"

    Das ist genau die Sprache von Trump, AfD und co.

    • @BrendanB:

      Wenn man genau aufgepasst stellt man fest, dass es tatsächlich die Argumentation der Gegner von Trump & AfD ist.

    • @BrendanB:

      Noch alarmierender ist die Aussage, dass der "Hauptfeind" in Deutschland zu verorten sei.

    • @BrendanB:

      Also lügen uns die Herrschenden niemals an?

  • "Politiker und Medien schreiben IDF-Pressemitteilungen ab und verbreiten die Lüge"

    Genau Lügenpresse! Woher kenne ich den Slogan noch gleich...?

    Ein aktueller IAEA-Bericht aus Mai 2025 zeigt einen enormen Anstieg der bis auf 60 % angereicherten Uranvorräte was Iran technisch in Waffenreichweite bringt .

    Aber was wissen die schon? Alle von den Rothschilds gesteuert, was sonst!?

    Ironie Ende.

    Im Mai 2025 hat HRW berichtet, dass bis zum 25. Mai mindestens 113 Hinrichtungen allein in diesem Monat registriert wurden. Im gesamten Jahresverlauf waren es laut Iran Human Rights rund 478 Exekutionen, etwa eine Verdreifachung gegenüber dem Vorjahr. Die Masse der Hinrichtungen richtete sich gegen ethnische Minderheiten, politische Gefangene und Personen, denen Drogenhandel vorgeworfen wurde.

    Wo waren die 500 Demonstranten da? Wassermelonenbutton kaufen auf Amazon?

    Diese doppelten Standards sind kaum noch auszuhalten.

    • @Pawelko:

      Der Vorwurf, dass Pressemitteilungen der IDF, schon allein auf Grund des Ungleichgewichts an verfügbaren Informationen, oft einfach medial verbreitet werden, ist keine Verschwörungstheorie. Gleiches gilt für den fraglichen Wahrheitsgehalt dieser Mitteilungen: Die Aufklärung der Tötung von 15 Hilfskräften am 23. März ist nicht der Presseabteilung der IDF, sondern einem Handyvideo zu verdanken.

      Die Mischung aus Ignoranz und maximaler Empörung, mit der Sie Meinungsäußerungen pauschal und exklusiv zu Antisemitismus umdeuten, ist schon amüsant.

      IDF-Pressemitteilungen als medial verbreitete Lüge?



      Bei Ihnen automatisch eine antisemitische Trope à la Rothschilds (natürlich nur ironisch) und keinesfalls der berechtigte Hinweis auf nachweislich immer wieder kolportierte Falschmeldungen der IDF.

      Ayatollah-regimekritische und israelkritische Positionen auf einer Demo? Doppelstandards und wo waren die überhaupt zuvor? Dass Bolandgoo seit 2023 pro-oppositionelle Demonstrationen und staatlich geförderte Diskussionsrunden zum Thema feministischer Revolution im Iran organisiert, passt da nicht ins Weltbild und wird ignoriert: taz.de/Iran-Protes...n-Berlin/!5958037/

    • @Pawelko:

      Die US Geheimdienste haben im März noch kundgetan, dass Iran derzeit kein Atomwaffenprogramm verfolgt und sie bis zum Bau einer Bombe noch Jahre entfernt wären, wenn sie sich dazu entschließen würden. Auch im IAEA Bericht steht, dass es „keine glaubwürdigen Hinweise“ gebe, dass Iran derzeit tatsächlich an der Entwicklung einer Bombe arbeitet.

      Israel behauptet genau das Gegenteil und dies wird in westlichen Medien ständig wiederholt.



      Das können Sie natürlich als Schwurbelei abtun, wirkt aber ziemlich unseriös.

      edition.cnn.com/20...ligence-years-away

    • @Pawelko:

      "Ein aktueller IAEA-Bericht aus Mai 2025 zeigt einen enormen Anstieg der bis auf 60 % angereicherten Uranvorräte was Iran technisch in Waffenreichweite bringt ."

      Nö, tut es nicht. Für Nuklearwaffen ist eine Anreicherung von mindestens 85% nötig. Und weder die IAEA noch sonst jemand hat irgendwelche Hinweise auf ein Atomwaffenprogramm des Iran gefunden. Ebensowenig haben AFAIK die US-Geheimdienste hinweise auf so ein Programm.

    • @Pawelko:

      Den Artikel haben Sie gelesen, oder? Das Regime wurde ebenfalls harsch kritisiert, steht gleich vorne im Artikel. Darauf bezieht sich Faschisten bekämpft man nicht mit Faschisten.

  • Jede friedliche Demo ist ein Gewinn. Sie tun ihre Meinungen kund, zeigen sich, und gehen danach wieder friedlich nach Hause. Die anderen sitzen nur zuhause.

  • So ist das wohl. Alle verfolgen ihre eigene Agenda. Auch die diversen Demonstrierenden. Sehr zweifelhaft, ob die wirklich etwas demokratischeres vor Ort auf die Kette bekommen würden. Oder auch nur, ob das im Iran überhaupt ernsthaft jemand wollte.

    • @vieldenker:

      'Oder auch nur, ob das im Iran überhaupt ernsthaft jemand wollte'

      So richtig viel gedacht sehe ich hier nicht, das Muster wiederholt sich, schon wieder: irgendwie ja alle schuld, ne? Und daher alle auch irgendwie legitime Ziele, so wie in Gaza. Shame on you.