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„Compact“-UrteilDie Unberechenbarkeit von Verboten

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Hätten die Leipziger Rich­te­r gewollt, wäre Compact verboten geblieben – demokratische Richter tun es sich schwer mit einer solchen Entscheidung.

Ingo Kraft (M), Vorsitzender Richter des 6. Revisionssenats, Verkünder der Verbotsaufhebung Foto: Elisa Schu/dpa

Sie konnten uns nicht verbieten, also können sie auch die AfD nicht verbieten.“ Diesen Schluss zog Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer, nachdem das Bundesverwaltungsgericht das Verbot seines rechtsextremistischen Magazins an diesem Dienstag aufgehoben hatte. Juristisch ist Elsässers Schluss zwar keineswegs zwingend, im Ergebnis dürfte er aber recht behalten. Denn es wird in absehbarer Zeit nicht einmal einen Verbotsantrag geben.

Das Bundesverwaltungsgericht stellte Compact keinesfalls einen Freibrief aus. Die Rich­te­r:in­nen hielten insbesondere die völkische Rhetorik des Magazins für durchaus verbotswürdig, aber eben nicht für prägend genug. Ein Verbot wäre daher unverhältnismäßig, so das Bundesverwaltungsgericht.

Auf ein AfD-Verbot ist das nicht eins zu eins übertragbar. Zum einen gilt bei einem Parteiverbot das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht. Damit könnte die AfD also gar nicht argumentieren. Zum anderen würden andere Rich­te­r:in­nen über einen AfD-Verbotsantrag entscheiden. Zuständig wäre das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe und nicht das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Das Leipziger Urteil zeigt aber die ganze Unberechenbarkeit von Oppositionsverboten im Rechtsstaat. Das im Grundgesetz angelegte Prinzip der wehrhaften Demokratie ermöglicht zwar vieles. Wenn die Leipziger Rich­te­r:in­nen gewollt hätten, wäre Compact verboten geblieben. Und wenn die Karlsruher Rich­te­r:in­nen wollen, könnten sie die AfD verbieten. Aber demokratische Rich­te­r:in­nen tun sich verständlicherweise schwer mit dem Gedanken, dass die demokratisch gewählte Mehrheit einfach die demokratisch gewählte Minderheit verbieten kann. Die Wahrscheinlichkeit ist deshalb hoch, dass Gerichte Gründe finden, solche Verbote zu vermeiden, da sie der Demokratie vermutlich mehr schaden als nutzen.

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Jedenfalls politisch dürfte ein Antrag auf ein AfD-Verbot nun tot sein. Die Geg­ne­r:in­nen in CDU/CSU werden das Exempel aus Leipzig wohl dankbar aufnehmen und sich einem Verbotsantrag noch entschlossener verweigern.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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9 Kommentare

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  • Deutschland ist eine relativ junge Demokratie und verfügt daher nicht über eine gewachsene Tradition wie z.B. die Briten. Die Unterschiede sind für jemanden wie mich, der in einem anderen Land kultiviert wurde und über eine andere Auffassung von einer lebendigen Demokratie verfügt, klar ersichtlich.

    Der Ruf nach Verboten und der damit verbunde Wunsch die Verantwortung für die Zustände im Land möglichst weit von sich selber wegzudeligieren ist leider hier allgegenwärtig.

    In diesem Falle soll es die Justiz richten, was eigentlich Aufgabe von Politik und Gesellschaft ist. Verfassungsfeinden mit offenen Visier begegnen und sich der Herausforderung stellen.

    Auf diesem Terrain richtet es sich manch einer allzu bequem ein. Da ist es gut zu wissen, dass die obersten Gerichte in Deutschland noch den richtigen Maßstab anlegen und keine Erfüllungsgehilfen der Mehrheitsgesellschaft sind.

    Das sich Menschen, die sich offen gegen die Demokratie stellen oder gar eine demokratiefeindliche Partei gründen auf ihre Rechte berufen können ist gleichzeitig der Preis der zu zahlen ist, aber auch Errungenschaft im Sinne von Freiheitsrechten die für alle gelten und zwar auch dann wenn es unbequem wird.

  • Manchmal ist auf höchste Gerichte Deutschlands noch einigermaßen Verlass, wenn es um den Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit und die Freiheit, sich als Partei zu organisieren und im elitären Auswahlverfahren anzutreten, geht. Einschränkungen und Verbote ändern ohnehin nichts mehr daran, dass die die politische Mitte und der mediale Mainstream über die rechte Seite spielen. Gerade die elitäre Parteienoligarchie der sog. repräsentativen Demokratie braucht öffentliche Präsenz vielfältiger Meinungen. Wird die weiter eingeschränkt, droht die repräsentative Demokratie vollends zur repressiven Herrschaft einer parlamentarischen aber nicht unbedingt gesellschaftlichen Mehrheit zu werden. Entsprechende Grenzen hat das Bundesverwaltungsgericht mit seinem Urteil unterstrichen.

    An den Autor noch die Frage: Was sollen denn „demokratische Richter“ sein? Demokratie ist ein Herrschaftssystem und die sog. repräsentative Demokratie hat nur wenig mit deren Prinzip gemein.

  • Das ist der Wahnsinn, aber wenn es so weiter geht wird mich nichts mehr überraschen können, echt schade!

  • Deutsche und Demokratie!



    Man hat hierzulande einfach diese Kaninchenmenthalität, der Cobra solange starr in die Augen zu schauen, bis sie zubeißt, und das tut sie dann sehr schnell. Nennt sich bei uns politisch dann "Machtergreifung"!



    Während in der Weimarer Republik durchaus noch gegen die NSDAP gekämpft wurde, verliert die zweite Republik bewusst, gewollt, ignorant, überheblich und suizidal ihre demokratischen Grundlagen, einfach durch wortlose Aufgabe!



    Wobei der Richterspruch natürlich nicht als wortlos in die Geschichte eingehen kann. Er ist geradezu ein Schrei nach neuem Faschismus!

  • Das Schaf führt den Schlächter auch noch zur Schlachtbank....

  • Soll ja keiner in ein paar Jahren sagen wir konnten das nicht verhindern.

  • Unbeschadet hiervon kann ja gegen jede weitere Hetze von Compact konsequent juristisch vorgegangen werden. Eine entsprechende Geldsammlung stieße auf Sympathie.

  • Seltsames Verständnis von Rechtsstaat.



    Ich bin kein Jurist, aber ich hoffe, die Richter haben nach Recht und Gesetz geurteilt und nicht nach demokratietheoretischen Abwägungen.

  • Süß, wie Verfassungsfeinden immer wieder der rote Teppich ausgerollt wird. Kein Wunder, dass AfD und rechte Gruppen sich ins Fäustchen lachen. Mit solchen Entscheidungen gräbt sich die Demokratie ganz demokratisch ihr eigenes Grab..