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EU-MigrationsrechtVorstoß zu Menschenrechtskonvention

Neun EU-Länder fordern nach Klagen, Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention zur Migration zu überprüfen. Grüne und Linke üben Kritik.

Fröhlich geeint gegen den EGMR: die italienische (Giorgia Meloni, r.) und die dänische Ministerpräsidentin (Mette Frederiksen, l.) Foto: Stefano Costantino/SOPA Images via ZUMA Press Wire/dpa

Berlin afp | Die Forderung von neun EU-Ländern, Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention zur Migration zu überprüfen, stößt in Deutschland auf teils deutliche Kritik. Der Vorstoß „untergräbt das Vertrauen in den Europäischen Gerichtshof und erweckt den Eindruck, Menschenrechte seien verhandelbar oder gar störend“, sagte Grünen-Parteichef Felix Banaszak am Freitag der Nachrichtenagentur AFP. Auch die Bundesregierung ging auf Distanz zu dem am Donnerstag in Rom veröffentlichten Schreiben.

Der an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gerichtete Brief wurde vom Büro der italienischen Ministerpräsidentin Georgia Meloni verbreitet. Neben Italien wird dieser auch von Dänemark, Polen, Österreich, Belgien, Estland, Lettland, Litauen und Tschechien unterstützt.

Darin wird eine „neue und offene Diskussion“ über die Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention verlangt. Italien und weitere beteiligte Länder waren zuvor vor dem Gerichtshof wegen ihres Umgangs mit Migrantinnen und Migranten verklagt worden. Gegen Italien und Dänemark ergingen diesbezügliche Urteile oder Aufforderungen, Handlungsweisen zu ändern.

Die beteiligten Regierungen „wollen nicht nur unabhängige Gerichte angreifen, sondern auch den Menschenrechtsschutz zugunsten nationaler Sicherheitsinteressen schwächen“, sagte dazu Banaszak. „Das ist gerade in Zeiten erstarkender rechtsextremer Kräfte brandgefährlich und Wasser auf die Mühlen derjenigen, die schon lange auf die Aushöhlung des europäischen Rechtsrahmens setzen“, warnte der Grünen-Vorsitzende.

Banaszak wertete den Vorstoß von vor allem rechtsgerichteten, aber auch einigen sozialdemokratisch geführten Regierungen als „ein Geschenk an den rechten Rand“ und eine Schwächung der rechtsstaatlichen Demokratie. „Wir erwarten insbesondere von unseren sozialdemokratischen Partnern in Europa, dass sie sich ihrer Verantwortung für den Rechtsstaat bewusst sind“, betonte er weiter.

Kritik auch von der Linken

Die Linken-Politikerinnen Katrin Fey und Clara Bünger werteten den Vorstoß der neun EU-Staaten als „erschütternd“. „Die Europäische Menschenrechtskonvention schützt die Würde und Rechte jedes Menschen – unabhängig von Herkunft oder Status. Menschenrechte sind deswegen schlicht nicht verhandelbar“, betonte Fey in Berlin.

Bünger nannte es „beunruhigend, wie gerade im Bereich der Migrationspolitik Grundrechte infrage gestellt werden“. Zudem handele es sich bei dem Brief an den Gerichtshof um einen Angriff auf die Gewaltenteilung.

Bundesregierung will „strengere Migrationspolitik“

Der deutsche Vize-Regierungssprecher Sebastian Hille verwies auf Aussagen von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Rande seines Besuchs in Rom, er habe „keine Veranlassung, Gerichtshöfen Briefe zu schreiben“. Richtig sei allerdings, dass auch die Bundesregierung eine „strengere Migrationspolitik verfolgen“ wolle. Daher beteiligte sich Deutschland „aktiv an den europäischen Diskussionen, wie wir legale Migration begrenzen können“. Dazu gehöre auch die aktuelle Initiative der neun Staaten.

Auf die Unabhängigkeit des Gerichtshofs verwies eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums. „Wir räumen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Schutz der Menschenrechte in Europa einen hohen Stellenwert ein“, sagte sie in Berlin. „Und ich kann natürlich auch betonen, wir fühlen uns vollumfänglich an die Rechtsprechung des EGMR gebunden“, fügte sie hinzu.

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14 Kommentare

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  • Diese Gesetze / Vorgaben entstanden aus der noch frischen Erinnerung an Menschen, die in ihren Heimatländern erst ausgeplündert, dann zu Millionen ermordet wurden, auch weil ihnen viele sichere Länder den Zutritt verwehrten. Menschenrechte sollen besonders in schwierigen Zeiten schützen, - dafür sind sie gedacht.



    Hoffentlich bedenken die Befürworter all solcher "Abschleiferei" von Schutzgesetzen, wie schnell man selbst zum Flüchtling werden kann, - vielleicht sogar zum Asylsuchenden, nur um sein Leben zu retten.

  • ...bittere historische Weisheit: Menschenrechte gelten immer so lange, bis sie in Anspruch genommen werden....

    • @Philippe Ressing:

      Bitter Wahrheit. Die EU kann auch nicht die gesamte Menschheit retten.. :-)

      • @Hannes Petersen:

        Diesen Anspruch hat die EU auch gar nicht, selbst wenn sie die Menschenrechte nachdrücklicher vertreten würde. Aber wer stellt denn eine solche Maximalforderung? Was ist das für eine merkwürdige Bemekrung? Diese Bemerkung zeugt eher davon, dass man lieber gar nichts macht, nach dem Motto ist dorch wurscht, ändert ja doch nichts. Und das ist richtig, wenn alle so unverantwortlich handeln. Fange ich nicht bei mir an, dann fängt niemand an. Ein paar Tropfen Wasser sind nichts, der Ozean besteht aber aus ungezählten Tropfen. Oder anders: Viele Wenig ergeben ein Viel. Savvy?

        • @Perkele:

          Aber das wir andere Länder und damit deren Bevölkerung wirtschaftlich zu unseren Gunsten ausbeuten und uns mit importiertem 'Menschenmaterial' bei Bedarf füttern ist OK?!



          Der alte Satz aus Spontizeiten gilt immer noch: 'Brot für die Welt, aber die Wurst bleibt hier' für den Mord im Mittelmeer bezahlen wir andere Regierungen. Merke: wer so mit Flüchtlingen umgeht, tut das auch mit den eigenen Leuten. Mal ins deutsch Geschichtsbuch schauen....

          • @Philippe Ressing:

            Aber genau das habe ich in vielen Kommentaren hier im Forum so geäußert. ICH kenne das Geschichtsbuch und auch die Charta der Menschenrechte.

  • Hier wird glasklar deutlich, welche "Werte" die EU wirklich hochhält: Die Menschenrechte sind es nicht, Fairness gegenüber Schwächeren sowieso nicht. Da sind sehr viel eher Profite der Wirtschaft, Machterhalt (und daher das Nachäffen der faschistischen Vorgaben) und Populismus auf der Agenda. Diese Ziele sind durch links-grün versiffte Spinnereien schwieriger zu erreicehn - also lästig. Weg damit!!

  • Kein einziges Wort darüber, was genau die beiden Ministerpräsidentinnen zur Diskussion, Prüfung und eventuellen Modifizierung vorschlagen. Aber erst einmal dagegen schreiben. Seltsamer Journalismus. (Meinung)

    • @Trabantus:

      Ihr Thema. Es geht im Artikel aber eben gar nicht um den Inhalt der Forderungen, sondern um den Umstand, dass hier die Exekutive meint, Einfluss auf die Judikative nehmen zu müssen, und die Reaktionen darauf.



      "[In dem Brief an den EGMR] wird eine 'neue und offene Diskussion' über die Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention verlangt. Italien und weitere beteiligte Länder waren zuvor vor dem Gerichtshof wegen ihres Umgangs mit Migrantinnen und Migranten verklagt worden. Gegen Italien und Dänemark ergingen diesbezügliche Urteile oder Aufforderungen, Handlungsweisen zu ändern."



      Korrekte Antwort: man "habe 'keine Veranlassung, Gerichtshöfen Briefe zu schreiben'“.

  • Ein unglaublicher Vorgang. Aber Meloni betreibt die Orbanisierung/Angriffe auf Gerichte und persönliche Angriffe gegen Richter ständig und untergräbt damit demokratische Gewaltenteilung und Rechtsstaat nachhaltig. Zuerst geht es gegen 'kriminelle' Ausländer, dann gegen alle Ausländer und am Ende dann gegen jeden. Am Ende stehen dann US-Verhältnisse und weisse, ondulierte MinisterInnen mit fetter Rolex vor Menschenkäfigen mit Kopfrasierten und absolute Willkürherrschaft.

    • @hamann:

      Sie lesen meine schlimmsten Gedanken.

  • Ich halte das für eine vernünftige Idee.



    Grundsätzlich gilt bei Fragen zur Migration, dass man sich auf dem richtigen Weg befinden könnte, wenn Grüne und Linke Kritik üben.

  • "Die beteiligten Regierungen „wollen nicht nur unabhängige Gerichte angreifen, sondern auch den Menschenrechtsschutz zugunsten nationaler Sicherheitsinteressen schwächen“, sagte dazu Banaszak."

    Die beteiligten Regierungen wollen keine Gerichte angreifen sondern Konventionen abändern. Unsere Regierungen ändern auch Gesetze und Grundgesetze, damit wird kein eiziges Gericht mit angegriffen. Nichts ist in Stein eingemeißelt. Das Grundgesetz nicht und europäische Konventionen auch nicht

    • @Martin Sauer:

      "Die Würde des Menschen ist unantastbar" (GG 1) hat Ewigkeitswert. Des Menschen und nicht eines ausgewählten Grüppchens.



      Es gibt unaufhebbare, zwingende Rechtsgrundsätze. Schon mal was von jus cogens und erga omnes gehört?