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Trauerbekundungen und RealpolitikMargot Friedländer würde abgewiesen

Gereon Asmuth
Kommentar von Gereon Asmuth

Die Reaktionen auf den Tod der Holocaust-Überlebenden zeugen vom Verlangen nach Humanität. Ausgerechnet bei der Bundesregierung sind sie wohlfeil.

Ehrliche Trauer: Blumen neben den Stolpersteinen für Friedländer und ihre Familie an der Skalitzer Straße in Berlin-Kreuzberg Foto: Paul Zinken/dpa

M argot Friedländer ist tot. Die Holocaust-Überlebende, Zeitzeugin, vor allem aber unermüdliche Mahnerin an die Menschlichkeit ist am Freitag im Alter von 103 Jahren gestorben. Es gab unzählige Reaktionen aus fast allen Bereichen von Politik und Kultur auf diese Nachricht. Sie sind, so traurig es ist, auch ein Zeichen der Hoffnung. Denn wenn sich ein Land, eine Gesellschaft auf die Werte dieser unglaublichen Frau einigen kann, dann heißt das ja auch, dass das Gespür, das Verlangen nach grenzenloser Humanität immer noch stark, tief in uns verwurzelt ist.

Igor Levit hat es in seiner äußerst bewegenden, spontanen Rede bei der Verleihung des Fernsehpreises auf den Punkt gebracht. Es gebe keine Rechtfertigung, auch nur einen Millimeter jenen zu überlassen, die zerstören wollen, wofür Margot Friedländer gestanden habe, sagte der Pianist und fügte hinzu: Ihre Existenz sei eine Aufforderung, ihr gerecht zu werden.

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Die Trauerrede von Igor levit

Igor Levit auf der Bühne vor einem Foto von Margot Friedländer
Igor Levit auf der Bühne vor einem Foto von Margot Friedländer

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Davon aber sind wir aktuell weit entfernt. Denn Margot Friedländer hat nicht nur immer wieder die jetzt zurecht über vielen Nachrufen stehende Bitte verkörpert: Seid Menschen! Sie hat, angesichts des wieder erstarkenden Antisemitismus und Neonazismus, auch ihre Enttäuschung benannt: „Ich bin entsetzt, dass Menschen nicht gelernt haben, dass sie Menschen sein sollen.“ Wer das Andenken an Margot Friedländer hochhalten will, muss daher auch ihre Angst ernst nehmen, dass „es“ sich wiederholen könnte.

Es heißt nicht „Wehret den extremen Auswüchsen“

Faschismus, das wird viel zu häufig vergessen, beginnt ja nicht erst beim Holocaust, bei der industriellen Vernichtung von Menschen – sondern viel früher. Und es heißt nicht „Wehret den extremsten Auswüchsen!“, sondern „Wehret den Anfängen!“. Deshalb ist es nicht nur selbstverständlich höchste Zeit, das AfD-Verbotsverfahren einzuleiten.

Deshalb ist es nicht nur das Gebot der Stunde, jeder Art von Rassismus und Antisemitismus entgegenzutreten. Vor allem aber wäre es höchste Zeit, das Asylrecht wieder ernst zu nehmen. Das wurde nicht nur als ein Recht für Verfolgte ins Grundgesetz platziert, das politische Mehrheiten einfach so zurücknehmen könnten. Es steht dort viel mehr als Stolperstein für ein zum Glück durch andere vom Faschismus befreites Land.

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Margot Friedländer hat uns ihre Geschichte anvertraut. Es ist unsere Aufgabe und unsere Pflicht, sie weiterzutragen. Diese beiden Sätze hat Bundeskanzler Friedrich Merz nach ihrem Tod geschrieben. Aber wenn die junge Margot Friedländer heute an den Grenzen der Bundesrepublik um Asyl bitten würde, würde sie abgewiesen.

Sie würde nicht in den Tod geschickt, sie könnte ihr Glück in einem anderen EU-Land suchen. Diese Abweisung ist kein Ausdruck rechtsextremer, faschistischer Politik, auch wenn sie der AfD sehr zupasskommt. Aber sie ist die fatale Konsequenz aus der knallharten Antimigrationspolitik der schwarz-roten Bundesregierung. Sie wird den Lehren aus der Zeit des Nationalsozialismus nicht gerecht – nicht einmal in ihren wohlfeilen Trauerbekundungen auf Margot Friedländer.

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Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz. 2000 bis 2005 stellvertretender Leiter der Berlin-Redaktion. 2005 bis 2011 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Bluesky:@gereonas.bsky.social Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de ex-Twitter: @gereonas Foto: Anke Phoebe Peters
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5 Kommentare

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  • Wenn ich das großmütige und humane Auftreten von Margot Friedländer dem Auftreten der neuen Bundesregierung, insbesondere Dobrindt und Merz, gegenüberstelle, komme ich nicht umhin, bei den letzeren nur an ausländerfeindliches Gesocks zu denken

  • Dem gibt's nichts hinzuzufügen

  • Danke Igor Levit.



    ... ganz besonders auch für "Opportunismus ist keine Rechtfertigung ..."

  • Das ist ein guter Text, vielen Dank! Ich würde nur eines noch ergänzen wollen: Ich habe Margot Friedländers Aufforderung: Seid Menschen! auch immer als starkes Bekenntnis zum Universalismus verstanden. Es ist wichtig immer wieder zu betonen, dass ein Mensch immer ein Mensch ist. Und genau so sollten wir jeden behandeln: als Menschen und nicht als Träger irgendwelcher anderer Marker. D.h. wir dürfen nie mit zweierlei Maß messen.



    Sie wird fehlen.

  • "„Wehret den Anfängen!“. Deshalb ist es nicht nur selbstverständlich höchste Zeit, das AfD-Verbotsverfahren einzuleiten."

    Müsste man angesichts dessen nicht konsequent sagen: es ist Zeit, ein Verbotsverfahren für die cdsU einzuleiten? Denn DIE sind es nun, die AfD Asyl-Politik praktisch umsetzen, d.h. das Menschenrecht auf Asyl abgeschafft haben. Und da sie ja schon mal das Asylrecht im Grundgesetz nahezu vernichtet haben in den 90ern - als es noch keine AfD gab - würde ich sagen, die cdsU ist ein mindestens ebenso großes Problem.

    Wenn der Autor schon titelt, Margot Friedländer würde abgewiesen werden, dann muss doch klar sein, dass es nicht an der AfD liegt (bei der wäre es natürlich genauso). Sondern es ist die cdsU Regierung, die konsequent AfD-Politik macht. Und zwar mit der sPD zusammen, die in Gestalt von Faeser ja vorher schon große Freude daran hatte, möglichst viele Geflüchtete abzuweisen bzw. auszuweisen. Man kann sich vorstellen, wie die Dienstanweisungen in den Asylbehörden aussehen, wenn die Leitlinie der Regierung ist, möglich niemanden reinzulassen. Man kann davon ausgehen, dass die meisten AntragstellerInnen sowieso keine Chance hatten, anerkannt zu werden.