: Wer zahlt die Zeche?
Thyssenkrupp Steel steckt tief in der Krise, die Idee der „grünen Stahlproduktion“ scheint nicht zu funktionieren. Jetzt kommt es auf die Kampfbereitschaft der Arbeiter:innen an. Wie stark sind die Gewerkschaften noch?

Aus Duisburg und Berlin Andreas Wyputta und Pascal Beucker
Wer will, kann in den riesigen Stahlwerken, die den Norden wie den Süden Duisburgs bis heute prägen, Kathedralen der Industrie erkennen. Noch wird hier hart gearbeitet, malocht, wie die Leute im Ruhrgebiet sagen. Thyssenkrupp Steel (TKS) und die Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM): Das sind keine stillgelegten Ikonen der Industriekultur, die das Ruhrgebiet von Neukirchen-Vluyn westlich des Rheins bis Hamm in Westfalen im Osten prägen. Prominentestes Beispiel darunter die zum Unesco-Welterbe geadelte Zeche Zollverein im Essener Norden, 1986 geschlossen und heute ein Museum.
Riesig ist nicht nur das Thyssenkrupp-Gelände an der Kaiser-Wilhelm-Straße im nördlichen Stadtteil Hamborn – auch die HKM-Anlagen, die Duisburg scharf vom pittoresken Düsseldorf-Angermund abgrenzen, sind kilometerlang. Das TKS-Werk wirkt wild gewachsen und nicht geplant und designt wie Zollverein.
In Duisburg-Hamborn laufen vier Hochöfen. Das Werk verfügt nicht nur über eine eigene Kokerei, sondern auch einen eigenen Hafen am Rhein. Zwischen den Werksteilen fahren sogenannte Torpedowagen auf Schienen flüssigen Stahl hin und her. Allein an am Standort Hamborn bietet Thyssenkrupp heute noch über 13.000 gut bezahlte, über den Tarifvertrag der IG Metall abgesicherte Arbeitsplätze – insgesamt arbeiten für den Stahlhersteller TKS, dessen Essener Mutterkonzern auch als Kriegsschiffbauer, Automobilzulieferer und Materialhändler unterwegs ist, mehr als 27.000 Menschen.
Doch auch dieser verbliebene Rest der Montanindustrie, die das Ruhrgebiet jahrhundertelang geprägt hat, ist akut bedroht. Der „Strukturwandel“ genannte Niedergang hat hunderttausende Arbeitsplätze gefressen. Der Steinkohlebergbau ist bereits seit ein paar Jahren Geschichte, nachdem 2018 in Bottrop die letzte Zeche Prosper-Haniel geschlossen hat. Jetzt kämpft, von massiver Billigkonkurrenz vor allem aus China und Indien bedroht, auch die Stahlsparte ums Überleben: Thyssenkrupp Steel, und noch mehr HKM.
Auf der 1.-Mai-Kundgebung des Duisburger DGB am Donnerstag im Landschaftspark Duisburg Nord wird der drohende Arbeitsplatzverlust bei Thyssenkrupp Steel und Krupp Mannesmann zentrales Thema sein. „Mach dich stark mit uns!“, lautet das bundesweite Motto, unter das der Gewerkschaftsdachverband in diesem Jahr seine Veranstaltungen zum „Tag der Arbeit“ gestellt hat. Doch wie stark sind die Gewerkschaften noch? Auch für die Beantwortung dieser Frage könnte der Kampf um den Erhalt des Industriestandorts Duisburg Anhaltspunkte liefern.
Schon im November hatte der TKS-Vorstand verkündet, dass die Belegschaft in den kommenden sechs Jahren um 11.000 Mitarbeiter:innen schrumpfen soll. Und bei HKM bereitet die IG Metall die rund 3.000 Menschen zählende Belegschaft auf eine Schließung vor: Thyssenkrupp Steel hat die Belieferung durch seine eigene Tochterfirma gekündigt – und der niedersächsische Stahlkocher Salzgitter als Miteigentümer hat den Wert seiner HKM-Anteile auf null gesenkt. Mitte April hat die Gewerkschaft den Arbeitgeber zu Verhandlungen über einen Sozialtarifvertrag aufgefordert. „Wir müssen uns auf das Schlimmste vorbereiten“, sagt Karsten Kaus, Geschäftsführer der IG Metall Duisburg-Dinslaken.
Monatelang haben die TKS-Mitarbeiter:innen mit einer Mahnwache vor dem Werkstor Nummer 1 an der Duisburger Kaiser-Wilhelm-Straße für den Erhalt ihrer Jobs protestiert. Im Bundestagswahlkampf gaben sich hier Spitzenpolitiker:innen vor allem der SPD die Klinke in die Hand, versprachen Unterstützung und Solidarität: Bundeskanzler Olaf Scholz ließ sich vor dem Werkstor ebenso demonstrativ blicken wie die aus Duisburg stammende Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und Arbeitsminister Hubertus Heil.
Genutzt hat es der SPD in ihrer einstigen Hochburg wenig. Bei einer unterdurchschnittlichen Wahlbeteiligung holte die Partei bei der Bundestagswahl im Februar mit 25,5 Prozent das schlechteste Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte. Nur noch wehmütig blicken die älteren Genoss:innen heute auf jene strahlenden Zeiten des Maschinenschlossers und Gewerkschaftssekretärs Günter Schluckebier zurück, der von Anfang der 1970er bis Mitte der 1990er Jahre mit Ergebnissen zwischen 60 und 70 Prozent für die Duisburger SPD in den Bundestag gewählt wurde.
Massiv zulegen konnte hingegen die AfD, die mit 20,8 Prozent nur haarscharf hinter der CDU landete – ein Plus von mehr als 10 Prozentpunkten. Kein gutes Omen für die Kommunalwahlen im September, bei der SPD-Oberbürgermeister Sören Link noch mal die Wiederwahl schaffen will.
Aber es entspricht einem bundesweitem Trend: Es ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr, dass Malocher:innen die SPD wählen. Noch bis zur Bundestagswahl 2021 war sie die Partei, die von den Arbeiter:innen am meisten gewählt wurde – wenn auch auf deutlich niedrigerem Niveau als zu früheren Zeiten. Laut Forschungsgruppe Wahlen wurde diesmal hingegen ausgerechnet die AfD hier mit 30 Prozent zur stärksten Partei, die Union kam auf 26 und die SPD nur noch auf 16 Prozent.
Die Gewerkschaftsvorsitzenden
- Chemnitz, 11.55 Uhr: Yasmin Fahimi (DGB)
- Wolfsburg, 10.45 Uhr: Christiane Benner (IG Metall)
- Ingolstadt, 10.30 Uhr: Frank Werneke (Verdi)
- Saarbrücken, 12 Uhr: Michael Vassiliadis (IG BCE)
- Kassel, 10.30 Uhr: Maike Finnern (GEW)
- München, 12 Uhr: Robert Feiger (IG BAU)
- Frankfurt am Main, 12 Uhr: Guido Zeitler (NGG)
- Mönchengladbach, 12.30 Uhr: Martin Burkert (EVG)
Politikerinnen und Politiker
- Bautzen, 11.00 Uhr: Kathrin Michel (MdB, SPD)
- Borna, 10 Uhr: Stefan Hartmann (MdL, Linke)
- Chemnitz, 10 Uhr (Unkürzbar-Demo): Ines Schwerdtner (MdB, Linke), Philipp Türmer (Jusos)
- Elmshorn, 12 Uhr: Ralf Stegner (MdB, SPD)
- Frechen, 11 Uhr: Dennis Radtke (MdEP, CDU)
- Gelsenkirchen, 11 Uhr: Mona Neubaur (stellvertretende Ministerpräsidentin NRW, Grüne)
- Hamm, 11 Uhr: Svenja Schulze (Bundesentwicklungsministerin, SPD)
- Hanau, 10 Uhr: Kaweh Mansoori (stellvertretender Ministerpräsident Hessen, SPD)
- Hannover, 11 Uhr: Anja Siegesmund (Präsidentin des Evangelischen Kirchentags 2025, Grüne)
- Lehrte, 10 Uhr: Christian Wulff (Ex-Bundespräsident)
- Neubrandenburg, 10 Uhr: Silvio Witt (Oberbürgermeister, parteilos)
- Pirmasens, 10.30 Uhr: Kurt Beck (Ex-Ministerpräsident Rheinland-Pfalz, SPD)
- Schwenningen, 11 Uhr: Derya Türk-Nachbaur (MdB, SPD)
- Schwerin, 10.30 Uhr: Manuela Schwesig (Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommern SPD)
- Siegburg, 11 Uhr: Hendrik Wüst (Ministerpräsident NRW, CDU)
- Solingen, 11 Uhr: Gregor Gysi (MdB, Linke)
- Strausberg, 10 Uhr: Sebastian Walter (Linke)
- Torgelow, 10.30 Uhr: Matthias Platzeck (Ex-Ministerpräsident Brandenburg, SPD)
Zivilgesellschaft
- Görlitz, 14 Uhr: Samara Lilith-Schrenk (Klare Kante), Daniel Preissler (Görlitz bleibt bunt), Caro Walinsky (Feministisches Forum)
- Zwickau, 14 Uhr: Dirk Löschner (Intendant des Theaters Plauen-Zwickau)
In ihrer Analyse des Bundestagswahlergebnisses kommen die Wissenschaftler Ansgar Hudde und Julius Kölzer zu dem Schluss, dass der Zuspruch für die AfD mit dem jeweiligen Anteil der Industriebeschäftigten korreliert. „Eine mögliche theoretische Erklärung für die größere AfD-Neigung in Industriehochburgen ist, dass Industriebeschäftigte höhere Status- und Abstiegsängste haben: Globalisierungs- und vor allem Automatisierungsprozesse können den ökonomischen Bestand industriell geprägter Regionen und deren Arbeitsmärkte bedrohen“, schreiben sie.
Eine überdurchschnittliche AfD-Unterstützung sei auch in hochverschuldeten Städten wie Duisburg, Gelsenkirchen, Kaiserslautern oder Bremerhaven festzustellen, die „bereits in den 1970er- und 1980er Jahren einen industriellen Abstieg erlebt“ hätten.
Selbst unter den Gewerkschaftsmitgliedern kam die AfD bundesweit auf 22 Prozent und lag damit zwischen der CDU (23 Prozent) und der SPD (21 Prozent) – ein erstaunliches Ergebnis, bezeichnet der DGB die extrem rechte und marktradikale Partei doch nicht zu Unrecht als „Feind der Beschäftigten“. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) haben sogar Unvereinbarkeitsbeschlüsse gefällt. Und die IG Metall hat auf ihrem letzten Gewerkschaftstag beschlossen, dass „der Kampf gegen rechtsextreme Kräfte im Betrieb, in der Gesellschaft und in der Politik ein Kernanliegen“ von ihr sei. „Gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus gehen wir auf allen Ebenen entschlossen vor“, heißt es in dem Beschluss weiter.
Nicht bei allen ihrer Mitglieder scheint das angekommen zu sein. Möglicherweise ist das postulierte, entschlossene Vorgehen auch nicht entschlossen genug.
Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass die Union bei der vergangenen Bundestagswahl die beliebteste Option für gewerkschaftlich Organisierte geworden ist – wenn auch nur knapp. Denn eigentlich können Gewerkschafter:innen keine größeren Hoffnungen in die Union setzen. In Bezug auf die Duisburger Stahlindustrie hatte ihr Spitzenkandidat Friedrich Merz im Wahlkampf eine einfache wie brutale Rechnung präsentiert: Thyssenkrupp produziere schlicht „zu teuer“, sei „im Augenblick im internationalen Wettbewerb nicht wettbewerbsfähig“, erklärte er kühl im ZDF.
Bitter für die Stahlkocher:innen: Die Analyse des Christdemokraten ist zumindest auf den ersten Blick nicht falsch. „Grauer Stahl hat keine Zukunft“, sagt der Thyssenkrupp-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Tekin Nasikkol immer wieder. Mit grauem Stahl ist solcher gemeint, der in konventionellen Hochöfen mit importierter Steinkohle unter massivem Ausstoß des Klimakillers Kohlenstoffdioxid hergestellt wird. „Wir werden gegenüber anderen Ländern, die das deutlich günstiger und mit staatlicher Unterstützung zur Hälfte unserer Produktionskosten anbieten, niemals konkurrenzfähig sein“, erklärte der Betriebsratschef seinen Kolleg:innen etwa beim Mahnwachen-Besuch von Arbeitsminister Heil im Januar.
Bitter nötig sei „politische Unterstützung“, fordert der 1968 geborene Nasikkol, der seine Ausbildung zum Facharbeiter bei Thyssenkrupp 1985 begonnen und 2007 ein berufsbegleitendes Studium im Fach Business Administration mit einem Bachelor abgeschlossen hat. Der nicht nur für die Auto- sondern auch für die Rüstungsindustrie unverzichtbare Stahl sei der „Kern des Kerns“ der deutschen Industrie – und dürfe nicht „mit Billigproduktion überschwemmt“ werden: „Wir müssen unsere Märkte schützen“, sagt Nasikkol auch mit Blick auf die fatale Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump, durch die sich China noch mehr auf den europäischen Markt fokussieren ldürfte. „Damit hier keine guten, zukunftsweisenden Arbeitsplätze zugrunde gehen.“
Was Nasikkol mit zukunftsweisend meint: Unter der rot-gelb-grünen Bundesregierung hat Thyssenkrupp massiv auf „grünen“ Stahl gesetzt, also auf Stahl, der mit klimaneutral hergestelltem Wasserstoff produziert wird. In Duisburg im Bau ist gerade eine sogenannte Direktreduktionsanlage, die zwar nur einen der vier Hochöfen am Standort Hamborn ersetzen würde, aber allein vom Bund mit 1,3 Milliarden Euro gefördert wird – vom Land kommen weitere 700 Millionen. Massiv reduziert werden könnte durch die Technik die Belastung durch klimaschädliches Kohlenstoffdioxid: Allein TKS hat 2022 in Duisburg für 16,2 Millionen Tonnen des Klimakillers gesorgt, bei HKM waren es weitere 7,1 Millionen. Zusammen sind das 3,5 Prozent des gesamten deutschen CO2-Ausstoßes.
Allein: Ob sich die zukunftsweisende Technik jemals rechnet, ist unsicher: „Unter den gegebenen Rahmenbedingungen ist nicht sichergestellt, dass wir die Anlage in absehbarer Zeit wirtschaftlich betreiben können“, erklärte der Vorstandsvorsitzende des Essener Thyssenkrupp-Gesamtkonzerns, Miguel López, vor dem Wirtschaftsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags.

Es fehle schlicht an grünem Wasserstoff, so López: „Als die Entscheidung zum Bau der Anlage getroffen wurde, sind wir alle gemeinsam davon ausgegangen, dass zum Zeitpunkt der Fertigstellung ausreichend Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen für den Betrieb zur Verfügung steht.“ Dies aber habe sich als „zu ambitioniert“ herausgestellt, klagte der Topmanager. Außerdem sei „nicht absehbar, dass der zur Verfügung gestellte Wasserstoff wirtschaftlich sein wird, da er bisher weder in Deutschland konkurrenzfähig hergestellt noch importiert werden“ könne.
Im Klartext bedeutet das: Das HKM-Stahlwerk im Duisburger Süden dürfte sterben, und auch im Norden der gebeutelten Stadt wackeln die Jobs. Dabei liegt schon jetzt die Arbeitslosenquote bei 13,4 Prozent. Dass der als harter Sanierer bekannte López bisher noch keinen Jobabbau verkündet hat, liegt allein an der sogenannten Montanmitbestimmung: Nach den Erfahrungen der NS-Zeit wollte man die Gewerkschaftsseite stärken. Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter:innen in den Aufsichtsräten der Stahlindustrie wurden auf Augenhöhe gebracht hat, Parität gesichert.
Konkret heißt das bei TKS, dass im Gegensatz zu anderen Konzernen der von der Arbeitgeberseite gestellte Aufsichtsratsvorsitzende hier schlicht kein doppeltes Stimmrecht hat. Die IG Metall kann also nicht einfach überstimmt werden. Und die Gewerkschaft weigert sich bisher, über López’ Sanierungsplan überhaupt nur zu verhandeln. Nur deshalb scheint die Lage in Duisburg derzeit noch einigermaßen ruhig, nur deshalb kam es bislang nicht zu Streiks.
Allerdings: Dass der Stahl nicht weiter hohe Millionenverluste einfahren kann, ist auch Gewerkschafter:innen wie Tekin Nasikkol klar. Immer wieder wirbt er um die Unterstützung der Politik. Zwar hat sich der designierte Kanzler Friedrich Merz auch mit Blick auf „die wehrtechnische Industrie“ vage zum Stahlstandort Deutschland bekannt, zwar hat der EU-Kommissar für Industriestrategie, Stéphane Séjourné, erst bei einem Besuch bei TKS in Duisburg im März erklärt, die EU wolle ihre Stahlindustrie mit mehr als 100 Milliarden Euro unterstützen. Doch ob die erhalten bleibt, hängt auch weiter entscheidend von der Kampfbereitschaft ihrer Beschäftigten, von der Mobilisierungsfähigkeit der Gewerkschaften und deren politischer Durchsetzungsfähigkeit ab.
Rund 5,6 Millionen Mitglieder haben die DGB-Gewerkschaften noch. Größte Einzelgewerkschaft ist die IG Metall mit knapp 2,1 Millionen – ein historischer Tiefstand. Aber in der Stahlindustrie ist der Organisationsgrad nach wie vor hoch. Doch wie kämpferisch ist die Gewerkschaft noch? Auffällig ist zumindest, dass die IG Metall derzeit klassenkämpferische Töne zu vermeiden versucht. Stattdessen setzt sie anscheinend vor allem auf die neue Regierungskoalition von Union und SPD. Deren Koalitionsvertrag enthalte „viele gute Elemente“ und sei „im Großen und Ganzen ausgewogen, für Beschäftigte wurde viel erreicht, von der Mitbestimmung bis zur Tariftreue“, bekundete Christiane Benner, die Erste Vorsitzende, gegenüber dem Spiegel. Vor allem aber müsse die künftige Regierung jetzt „den Menschen in Deutschland mehr Zuversicht geben“.
Auch Jürgen Kerner, der Zweite Vorsitzende der IG Metall, lobt den Koalitionsvertrag: „Zentrale industriepolitische Forderungen der IG Metall beschreibt der Koalitionsvertrag nun als Vorhaben“, gerät er geradezu ins Schwärmen. „Unsere langjährige Forderung, die Vergabe von staatlichen Fördermitteln an soziale und ökologische Kriterien wie Standortsicherung und CO2-Ausstoß zu koppeln, findet sich im Koalitionsvertrag.“ Kerner spricht von „essenziellen Weichenstellungen, um die Arbeitsplätze von vielen Kolleginnen und Kollegen in unseren Branchen zu schützen und um Industriearbeit in Deutschland zu halten“.

Nun müssten die Unternehmen „umgehend den Ball aufnehmen und Perspektiven für ihre deutschen Standorte fortschreiben, in Entwicklung und Betrieb investieren und Beschäftigung sichern“, fordert Kerner. In den Fällen von TKS und HKM in Duisburg gibt es bisher allerdings keine Hinweise darauf, dass das so sein wird.
Unter die Überschrift „Gegenmacht im Gegenwind“ hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung ihre „Streikkonferenz“ gestellt, die vom 2. bis zum 4. Mai in der Technischen Universität Berlin stattfinden wird. Mehr als 2.000 Gewerkschafter:innen haben sich angemeldet, um auf dem bundesweiten Event über „gewerkschaftliche Kämpfe als Antwort auf Rechtsruck, Transformation und Kürzungspolitik“ zu diskutieren. Es dürfte die größte gewerkschaftsübergreifende Konferenz der letzten Zeit werden. Auch die aktuelle Situation in Duisburg und die Zukunft der Stahlindustrie steht auf der Tagesordnung. Entsprechend werden etliche IG Metaller:innen mit dabei sein, der eine oder die andere auch aus der kriselnden Ruhrgebietsstadt. Ob sie ebenso optimistisch wie ihre Führung auf die neue Koalition schauen?
Beim Mahnwachenbesuch von Olaf Scholz im Februar stehen Mergin Krasniq und Agon Zoga vor dem Werkstor Nummer 1 von TKS. Bisher haben die beiden 30 und 31 Jahre alten Männer als „Content-Moderatoren für ein großes Social-Media-Unternehmen“ gearbeitet – mehr dürften sie dazu nicht sagen, erklären die beiden. Jetzt machen Krasniq und Zoga bei Thyssenkrupp eine Lehre zum Industriemechaniker. „Wir dachten, das ist zukunftssicher“, erklären beide unisono. Die Sicherheit durch die bodenständige Ausbildung, die habe „sehr überzeugend“ geklungen, schiebt Mergin Krasniq nach: „Ich hoffe, dass das nicht nur leere Worte waren.“
Wie sein Kollege Agon Zoga will er weiter an die grüne Transformation, an eine Zukunft durch klimaneutrale Stahlproduktion glauben: „Ich hoffe einfach“, sagt Krasniq mit sorgenvollem Blick auf die wackelnden Jobs, „dass aus schwarzen wieder grüne Tage werden.“
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