Getreideexport aus der Ukraine: Sorgenvoller Blick aufs Schwarze Meer
Eigentlich hatte sich die Ukraine den Weg übers Meer für ihre Exporte freigekämpft. Doch die Verhandlungen in Saudi-Arabien verunsichern.
Dann peitscht eine Welle gegen die Uferbefestigung und die Gischt spritzt sie nass. Sie quietscht vor Freude und rennt zurück zu ihrer Mutter. Nachdem der Zugang zum Meer in Odessa im ersten Kriegsjahr gänzlich verboten war, wurden später Stück für Stück Strände wiedereröffnet. Und die Menschen nutzen das.
Doch nun blicken viele wieder mit Sorge auf das Wasser. Eigentlich hat die USA Mitte März eine partielle Waffenruhe mit Russland ausgehandelt. Doch die Kriegsparteien sind sich nicht einig, wann die Waffenrufe für den Energiesektor begonnen hat, was damit gemeint ist und wer sie wo gebrochen hat. Bei den Verhandlungen in Saudi-Arabien war auch eine Waffenruhe auf dem Schwarzen Meer ein Thema.
Das Weiße Haus hatte Ende März bekannt gegeben, Russland und die Ukraine hätten sich bereit erklärt, die sichere Schifffahrt zu gewährleisten, die Anwendung von Gewalt zu unterbinden und den Einsatz von Handelsschiffen für militärische Zwecke im Schwarzen Meer zu verhindern. Allerdings hatte Moskau auch Bedingungen gestellt, unter anderem die Aufhebung von Sanktionen.
Die ukrainische Flotte operiert weiterhin
Der ukrainische Marinesprecher Dmytro Pletentschuk dementierte, dass es eine solche Vereinbarung überhaupt gibt. „Dafür wären Dokumente und klare Bedingungen nötig, doch die gibt es nicht“, sagte er Anfang April im Fernsehsender Suspilne. Die ukrainische Flotte operiere wie üblich.
Sie räume Minen auf Seefahrtsrouten und Reeden. „Für uns wäre das Wesentliche an einer Waffenruhe, wenn dadurch der Beschuss der Häfen mit ballistischen Raketen eingestellt würde.“ So war beispielsweise am 11. März ein Frachter mit Getreide für Algerien im Hafen von Odessa getroffen worden. Vier Seeleute aus Syrien wurden getötet. Angriffe dieser Art hatte es mehrere in den Vormonaten gegeben. Gegen die Gefahr gibt es wenig Gegenmittel. Die Raketen kommen übers Meer von der Krim mit nur wenigen Minuten Vorwarnzeit.
Schon einmal gab es in diesem Krieg eine Vereinbarung mit Russland über die Schifffahrt im Schwarzen Meer: Die Türkei hatte im Sommer 2022 den sogenannten Grain Deal vermittelt. So sollten Handelsschiffe die ukrainischen Häfen wieder anlaufen können und von dort Getreide für den Weltmarkt transportieren. Vor dem Bosporus waren Kontrollen vorgesehen. Angeblich wollte Moskau so sicherstellen, dass keine Waffen mit den Schiffen transportiert werden. Im Sommer 2023 kündigte es dann einseitig die Vereinbarung auf.
In der Logistikbranche Odessas war man seinerzeit gar nicht unglücklich. Denn der Deal habe nur für Probleme gesorgt, erklärt ein Brancheninsider. Die Zahl der Schiffe war begrenzt. Häufig habe Russland die Inspektionen vor Istanbul verzögert. „Mal waren es zwei Tage, mal zwei Wochen.“ Es sei unkalkulierbar gewesen, wann die Ladung beim Abnehmer ankomme. Und während die Schiffe warteten, liefen die Kosten weiter. „Wir haben praktisch nichts verdient.“ Besserung habe es erst nach dem Ende des Grain Deals gegeben, als sich die russische Schwarzmeerflotte von der Krim in Häfen an der Ostküste des Schwarzen Meeres zurückgezogen hatte.
Ernte sorgt für leichten Rückfall der Exporte
Tatsächlich ist es im Hafen alles andere als ruhig. Kräne drehen sich, über die Zufahrtsstraße rollen Lkw mit Containern, man hört wie Metall auf Metall schlägt. Der Export läuft auf vollen Touren. Im zu Ende gehenden Agrarjahr habe die Ukraine insgesamt 31,7 Millionen Tonnen Getreide und Ölsaaten exportiert, sagte Denis Martschuk, stellvertretender Vorsitzender des ukrainischen Agrarverbands, Ende März in Kyjiw.
Damit liege man zwar etwas unter dem sehr guten Niveau des Vorjahres, aber der Grund sei nicht die Logistik, sondern die Ernte und Trends auf dem Weltmarkt. Der überwiegende Teil davon wird über Schwarzmeerhäfen in der Region Odessa verschifft.
Dass das möglich geworden ist, ist auch eine gute Nachricht für viele afrikanische Länder. Mit Beginn der großangelegten russischen Invasion war die Nahrungsmittelsicherheit von Hunderten Millionen Menschen direkt bedroht.
Die Preise stiegen. Für die Ukraine sind die Nahrungsmittelexporte eine wichtige Devisenquelle. Im vergangenen Jahr brachten sie laut Martschuk 24,7 Milliarden Dollar ein. Die Einnahmen bringen dem Staat Steuern, mit denen er wiederum die Soldaten bezahlen kann. Die Agrareinnahmen sind besonders wichtig, weil die früher exportstarke Stahlindustrie nun entweder in besetzten Gebiet liegt oder durch den Krieg beeinträchtigt ist.
Russische Schiffe haben sich zurückgezogen
Fragt man Einheimische, zweifeln sie an Sinn einer sogenannten Waffenruhe auf dem Schwarzen Meer. Psychologin Nelya erzählt, sie sei die ganze Zeit seit Beginn von Russlands Angriffskrieg in der Stadt geblieben. „Anfangs hatte ich Angst, dass die Russen auch hierher kommen“, erinnert sie sich.
Aber nachdem Russlands Flaggschiff, der Kreuzer Moskwa, im Frühjahr 2022 versenkt wurde, habe sich die Lage entspannt. In den ersten Wochen seien die russischen Schiffe manchmal mit bloßem Auge vom Ufer sichtbar gewesen. Nun seien sie hunderte Kilometer weit weg und der Hafen sei längst wieder in Betrieb. „Das haben unsere Leute geschafft“, sagt sie. Russland habe schon so viele Abkommen gebrochen.
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