Blockade in Gaza: Bittere Hungersnot mit Ansage
Seit Anfang März gelangen keine Hilfen mehr nach Gaza. Die Preise für Lebensmittel steigen. Ein Ende der israelischen Blockade ist nicht in Sicht.

„Wir geben den Kindern ein halbes Brot morgens und ein halbes abends“, sagt Abed Al Rahman. „Den Rest verstecken wir, auch wenn sie hungrig sind. Weil wir wissen, dass nicht mehr viel da ist.“
Die UN warnen vor der schlimmsten humanitären Katastrophe im Gazastreifen seit Kriegsbeginn. Das Welternährungsprogramm WFP teilte vor einer Woche mit, seine letzten Lebensmittelvorräte an Feldküchen ausgeliefert zu haben. 25 vom WFP unterstützte Bäckereien in dem Gebiet hatten bereits Ende März geschlossen, nachdem Mehl und Brennstoff ausgegangen waren. Notküchen seien für viele die letzte Möglichkeit, ihre Familien zu ernähren. Ihnen werde voraussichtlich binnen weniger Tage das letzte Essen ausgehen, hieß es. Zuletzt habe die Lebensmittelhilfe ohnehin nur noch etwa die Hälfte der Bevölkerung erreicht und nur 25 Prozent des täglichen Bedarfes decken können.
Die Hilfsorganisation Medico International sagte auf Anfrage, die Küche einer Partnerorganisation südlich von Deir El-Balah sei vor einer Woche durch das WFP informiert worden, dass es keine Vorräte mehr gebe. Auch lokale Landwirte und andere Hilfsorganisationen könnten nichts mehr liefern. „Sie bereiten aktuell noch eine halbe Portion pro Person und Tag zu“, sagt Chris Whitman von Medico International. „Bald werden sie ganz schließen müssen.“
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25 Kilogramm Mehl für mindestens 150 Euro
Die Preise für das wenige noch auf Märkten verfügbare Essen schnellen seit Anfang März in die Höhe. Seither werden keine Hilfen mehr in das Gebiet gelassen, keine Nahrungsmittel, kein Wasser, kein Treibstoff, keine Medikamente. 25 Kilogramm Mehl kosten laut mehreren Quellen aus Gaza mittlerweile umgerechnet etwa 150 bis 200 Euro, ein Kilo Zwiebeln mehr als 10 Euro, zehn bis zwanzig Mal so viel wie vor dem Krieg.
Für viele Familien sind Konserven die letzte Nahrungsmittelquelle. Aus Mangel an Brennstoff werden sie häufig auf Holz- oder Plastikfeuern gekocht. Den UN zufolge seien im März mehr als 3.700 Fälle von schwerer Unterernährung bei Kindern festgestellt worden, ein Anstieg um 80 Prozent seit Februar.
Israels Armee erklärt währenddessen weitere Gebiete zu Kampf- und Sperrzonen und drängt immer mehr Menschen in dem nach anderthalb Jahren Krieg weitgehend zerstörten Küstenstreifen auf immer engerem Raum zusammen. Viele mussten die Vorräte, die sie während der zweimonatigen Waffenruhe zwischen Mitte Januar und Mitte März angelegt hatten, zurücklassen.
Die Journalistin Um Abud aus Gaza-Stadt berichtet: „Krankenhäuser sind zerstört, man bekommt keine Medizin und keine Behandlungen mehr, es gibt kein sauberes Wasser und keinen Strom.“ Müll stapele sich überall. „Gaza ist ein von Krankheiten geplagter Ort geworden, an dem die Menschen langsam sterben.“ Den UN zufolge breiten sich Hautkrankheiten und durch verunreinigtes Wasser übertragene Infektionen aus. Die israelischen Bombardierungen gehen indes weiter. Am Mittwoch wurden bei Angriffen mindestens 35 Menschen getötet, darunter Krankenhauspersonal zufolge auch Kinder.
Die Katastrophe könnte abgewendet werden
Einen „Angriff auf die Würde der Menschen“, der „kaum noch etwas mit Krieg zu tun hat“, nannte Jonathan Whittall, Chef des UN-Hilfswerks OCHA in den palästinensischen Gebieten, das israelische Vorgehen. Laut UN hätten fast alle von 43 internationalen und palästinensischen Hilfsorganisationen seit der Wiederaufnahme der Kämpfe angegeben, ihre Arbeit eingeschränkt oder ganz eingestellt zu haben.
Die Katastrophe könnte abgewendet werden: Vor den Grenzübergängen zum Gazastreifen lagern laut WFP 116.000 Tonnen Lebensmittel, genug, um eine Million Menschen für bis zu vier Monate zu versorgen. Israels Verteidigungsminister Israel Katz hat der Wiederaufnahme der Hilfslieferungen jedoch jüngst eine Absage erteilt: „Es wird keine humanitäre Hilfe nach Gaza kommen.“
Diese Hilfen zu blockieren, sei eines der wichtigsten Druckmittel gegen die Hamas, die Israel vorwirft, die Hilfen zu missbrauchen. Das israelische Außenministerium erklärte zudem, es gebe keinen Mangel an Hilfsgütern in Gaza. Stattdessen habe die Hamas einen Großteil der während der Waffenruhe eingeführten Hilfsgüter unter ihre Kontrolle gebracht. Beweise dafür hat das Ministerium nicht vorgelegt.
Die radikalislamische Hamas, die Israel am 7. Oktober 2023 überfiel und rund 1.200 Menschen tötete, hält noch immer 59 Geiseln fest. 24 von ihnen könnten nach israelischen Angaben noch am Leben sein. Bei israelischen Angriffen wurden seit Kriegsbeginn laut dem von der Hamas geleiteten Gesundheitsministerium mehr als 52.000 Menschen getötet, der Großteil davon Frauen und Kinder.
Israels angeschlagene Beziehung zur UN
Seit Montag befasst sich der Internationale Gerichtshof (IGH) mit Israels Verpflichtung, als Besatzungsmacht humanitäre Hilfe nach Gaza zu lassen. UN-Untergeneralsekretärin Elinor Hammarskjöld nannte die totale Blockade des Küstenstreifens einen Verstoß gegen internationales Recht. „Israel ist verpflichtet, für die Bevölkerung zu sorgen und Hilfe zu ermöglichen“, sagte sie. Israel selbst nimmt an den Anhörungen von 40 Staaten und vier internationalen Organisationen nicht teil.
Wie angeschlagen Israels Beziehungen zum Gericht und dem UN-System sind, zeigte sich in der Rede von Außenminister Gideon Sa’ar. Für ihn sei die Anhörung Teil einer „systematischen Verfolgung und Delegitimierung Israels“. Anstelle seines Landes sollten die UN und ihr Palästinahilfswerk Unrwa vor Gericht stehen.
Bis zu einer Entscheidung des IGH kann es Monate dauern. Experten sehen wegen der totalen Blockade des Gazastreifens eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das UN-Gericht einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht feststellen könnte. Die Entscheidung ist nicht bindend, könnte aber internationalen Druck aufbauen und Israel international weiter isolieren.
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