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Verbot von Kaiserschnitten in der TürkeiAutoritäre Machtdemonstration

Derya Türkmen
Kommentar von Derya Türkmen

Präsident Erdoğan will Kaiserschnitte verbieten, um damit die Geburtenrate zu erhöhen. Das ist keine sinnvolle Familienpolitik, sondern Willkür.

Das geplante Verbot von Kaiserschnitten in der Türkei ist mehr als eine autoritäre Machtdemonstration Foto: Artmim/imago

W ährend landesweit Menschen gegen die Festnahme des beliebten Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu und gegen die AKP-Regierung protestieren, verlagert sich der politische Schauplatz auf den weiblichen Körper. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat 2025 zum „Jahr der Familie“ erklärt – eine Rhetorik, die mehr nach Kontrolle als nach Fürsorge klingt. In dieser angespannten Lage erlässt die Regierung ein Verbot für Kaiserschnittgeburten ohne medizinische Notwendigkeit in privaten Kliniken. Die entsprechende Verordnung wurde im Amtsblatt veröffentlicht.

Was als gesundheitspolitische Maßnahme erscheint, entpuppt sich schnell als autoritäre Machtdemonstration – und als durchschaubarer Versuch, von den Protesten und politischen Spannungen im Land abzulenken. Die Entscheidung, wie eine Frau gebären darf, wird zur Staatsangelegenheit erklärt, und ihre körperliche Selbstbestimmung wird gezielt eingeschränkt. Besonders bezeichnend dafür ist die PR-Kampagne des Gesundheitsministeriums in der Fußballliga: Spieler liefen mit dem Slogan „Natürliche Geburt ist natürlich“ aufs Spielfeld. Ausgerechnet Männer erklären Frauen, wie sie gebären sollen – ein Eigentor in Sachen Gleichberechtigung.

Dieser Bauchentscheid zeigt, wie der Staat mal wieder die Realität der Frauen ignoriert. Die Regierung argumentiert, man wolle das Bevölkerungswachstum nachhaltig fördern. Dieser Anspruch wirkt zynisch: Dieselben Politiker, die sich als „Geburtshelfer“ inszenieren, schaffen wirtschaftliche Unsicherheit und erschweren eine Familiengründung. Auch der unterschwellige Vorwurf, Frauen würden sich leichtfertig für einen Kaiserschnitt entscheiden, offenbart ein tiefes Misstrauen gegenüber weiblicher Entscheidungsfähigkeit. Ein patriarchales Narrativ eben, welches sich wie ein roter Faden durch die Sozial- und Familienpolitik der vergangenen AKP-Jahre zieht.

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Derya Türkmen
Ist seit Oktober 2023 bei der taz, schreibt am liebsten über Gesellschaftthemen, Filmpolitik, Migration und die türkische Diaspora in Deutschland. Hat TV- und Filmproduktion in Hamburg, Angewandte Medien in Mittweida studiert, sowie Asian Cinema und TV-Broadcast in Ayr/Schottland.
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10 Kommentare

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  • Man fragt sich wie groß Erdogan seine Türkei denn haben möchte.

    1960 hatte das Land etwa 28 Millionen Einwohner, aktuell über 85 Millionen.

    Vergleichbar etwa mit dem Iran, dem sich die Türkei ja auch immer mehr inhaltlich annähert. Vielleicht wetteifert er ja auch mit Pakistan oder Bangladesch?

    Eine weitere Machtdemonstration gegen Frauen, die fest zum islamistischen Inventar gehören. Erdogan ist nicht umsonst aus der Istanbul-Konvention des Europarats ausgetreten. Diese Konvention ist das internationale Abkommen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Sie definiert Gewalt gegen Frauen und Mädchen als Menschenrechtsverletzung und als Zeichen der Ungleichstellung von Frauen und Männern.

    Damit zeigt er, dass die Hälfte der Bürger:innen keine Rechte haben, ein klares Nein gegenüber den Frauen in der Türkei und der EU. Selbstverständlich sollte so ein Land niemals Teil der EU werden. Vor allem wenn es dann auch noch die meisten Einwohner hätte.

  • Ähm erhöhen nicht Kaiserschnitte die Geburtenrate, weil bei Komplikationen während einer Normalgeburt die Überlebenschance für Mütter als auch Kinder durch einen Kaiserschnitt steigen...?🤷‍♂️

  • Ich stehe jetzt etwas auf dem Schlauch. Warum erhöht eine natürliche Geburt die Geburtenrate? Ein Kaiserschnitt, ob medizinisch notwendig oder nicht, bringt ja in der Regel auch ein lebendes Kind auf die Welt.

    • @Strolch:

      Dito, das habe ich mich auch gefragt.

    • @Strolch:

      Das war auch meine erste Überlegung. Eine zusätzliche Möglichkeit der Entbindung müsste ja eigentlich eher die Geburtenrate erhöhen als senken.

    • @Strolch:

      Frau gebiert nach einem Kaiserschnitt eher weniger noch mal im Gegensatz zur natürlichen Geburt.



      So sieht das der Kalif zumindest.



      In Schmerzen sollst Du gebären (christl.-jüd. Bibel), ansonsten, damit wir schön auch in alle Richtungen austeilen.

    • @Strolch:

      Nicht vergessen: das kommt von einem Mann der auch behauptet, dass niedrige Zinsen die Inflation bekämpfen.

    • @Strolch:

      Genau das habe ich mich auch gefragt. Es erscheint unlogisch und sinnlos, neben all den anderen Argumenten, die hier im Artikel richtigerweise benannt wurden. Für einen Diktator gilt wohl: Irgendwas gegen Frauen immer!

      • @maria2:

        In den Handlungen rechter Politiker Logik zu suchen, ist sinnlos.

  • Davon abgesehen stellt sich die Frage: Wie so soll ein Kaiserschnitt-Verbot dem Bevölkerungswachstum dienlich sein? Als Mann, der bei drei Geburten dabei war, könnte ich mir eher vorstellen, daß manche Frau auf ein weiteres Kind verzichten wird, wenn das mit einer derart schmerzhaften Prozedur einer natürlichen Geburt verbunden ist.