Rechte Politik in Mecklenburg-Vorpommern: Ich will mein Zuhause nicht wegen der AfD aufgeben
Über die Hälfte in meinem Dorf hat im Februar AfD gewählt. Was tun? Wir müssen im Gespräch bleiben, auch wenn das manchmal schwer auszuhalten ist.

J etzt hört man wieder ihr Trompeten; die Kraniche sind aus dem Süden zurück. Sie gehören hier hin, sie sind ein Teil der Natur, die noch – von der auch recht intensiv betriebenen Landwirtschaft einmal abgesehen – weitgehend unberührt ist. Solange die Kraniche tanzen, sagt man hier, ist die Welt noch in Ordnung.
Aber ist sie das?
Das Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, in dem ich seit mehr als 20 Jahren, aus dem Rheinland kommend, lebe, hat gerade einmal 300 Einwohner, verteilt auf vier Gemeinden. In meinem Ortsteil, gelegen südlich der schönen Hansestadt Stralsund, wohnen nur 80 Menschen.
Ich lebe gern hier, ich mag den Menschenschlag, ihre verbindliche Zurückhaltung und unprätentiöse Hilfsbereitschaft, und ich mag die Landschaft mit dem nur fünf Kilometer entfernten See, der vor einigen Jahren künstlich angelegt wurde. Ich spaziere gern mit meinem Hund bis zum nahe gelegenen Wald, der Rehen, Hirschen, Marderhunden und vielen anderen Tieren ein Habitat ist, in dem sogar vier verschiedene Adlergattungen vom Fischadler bis zum Schreiadler heimisch sind.
Doch was die Menschen betrifft, ist da inzwischen ein Unbehagen. Bei der Bundestagswahl im Februar wurde die AfD in meinem Dorf mit weitem Abstand stärkste Partei, sie erzielte ein Ergebnis von knapp über 50 Prozent, weit vor der CDU mit nicht einmal 15 Prozent. Diese Statistik tut weh. Rund jeder Zweite, sage ich mir manchmal, wenn ich Nachbarn und Dorfbewohnern begegne, hat diese Partei gewählt.
Fast jeden Morgen beim Spaziergang mit dem Hund treffe ich einen älteren Mann, ebenfalls mit Hund. An der Hauptstraße verabschieden wir uns und wünschen einander einen Guten Tag. Vorher aber sagt er, ein ruhiger pensionierter Bahnbeschäftigter, an meinen Hund gerichtet: „Na Lenny, wollen wir mal gucken“, dann kramt er in seiner alten Bundesbahnkluft und findet, der Hund weiß es genauso sicher wie ich, ein Leckerchen für meinen Kerl. Wo er sein Kreuz gemacht hat?, frage ich mich und wünsche mir dann manchmal die bedingungslose Vorurteilslosigkeit meines vierbeinigen Freundes.
Es sind oft die kleinen Gesten, die mir die Gegend so angenehm machen. Einmal verdrehe ich mir beim Toben mit dem Hund das Knie, was der Landwirt auf seinem Trecker ganz in der Nähe beobachtet. Seine Frau ist Apothekerin. Ich humpele nach Hause, eine Stunde später klopft es an der Tür und die zauberhafte, sechs Jahre alte Tochter der beiden steht vor mir mit einer Tube Mobilat. „Gute Besserung, auch von meiner Mama“, sagt sie, und ich bin gerührt.
Ich will den Menschen nicht misstrauisch begegnen. Und doch wählen so viele hier eine Partei, deren Ehrenvorsitzender die Zeit des Nationalsozialismus einen „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte nannte. Die im Wahlkampf Remigration forderte. Das widerspricht grundlegend meinen Überzeugungen.
Bleiben oder gehen?, fragen sich jetzt viele Linke und Linksliberale in Ostdeutschland, verständlicherweise vor allem auch viele Migranten, Schwule, Lesben und Vertreter anderer Minderheiten.
Für mich ist klar: Ich bleibe. Ich möchte mein Zuhause nicht wegen der AfD aufgeben. Ich will, dass sie politisch und auch für mich persönlich wieder bedeutungsloser wird. Gegen Feindbilder hilft bekanntlich am besten die Begegnung mit dem vermeintlichen Feind. Das gilt für AfD-Wähler hier genauso wie für mich selbst. Ich will meine Nachbarn nicht dämonisieren. Statt weiter zu polarisieren, müssen wir miteinander im Gespräch bleiben. Über die Hunde und, wenn es sich ergibt, über Politik, auch wenn das manchmal schwer auszuhalten ist.
Bis zur wunderbaren Ostsee sind es von hier nur etwa 25 Kilometer. Nah genug, um sich abzukühlen, wenn es mal nötig ist.
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