Europa nach dem Bruch mit Trump: „Koalition der Willigen“ für die Ukraine
Einen Tag nach dem Eklat in Washington ist der ukrainische Präsident in London eingetroffen. Am Sonntag kommen die europäischen Staatschefs hinzu.
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Und wieder wurde die Ehrenkarte gezückt: Hatte Starmer bei seinem Besuch bei Donald Trump am Donnerstag vergangene Woche bereits dem US-Präsidenten mit einer Einladung zu einem zweiten Staatsbesuch mit Visite bei Ihrer Majestät König Charles III geschmeichelt, so wurde jetzt auch Selenskyj beim König empfangen – und hat damit Donald Trump überholt. Eine kleine, aber deutliche Geste.
Denn dem Premierminister Großbritanniens ist aufgrund der Unabhängigkeit des Landes außerhalb der EU eine Vermittlerrolle zugefallen, die sich nun auch in der Beziehung zur Ukraine erweitert hat. Als einziger Regierungschef hat er Trump und Selenskyj innerhalb von drei Tagen beide persönlich getroffen. Auf die Demütigung des ukrainischen Präsidenten in Washington am Freitag folgte sein besonders herzlicher Empfang in London am Samstag; das Zwiegespräch in 10 Downing Street und die königliche Audienz waren beide ursprünglich nicht vorgesehen.
Großbritannien hatte beim russischen Überfall vor drei Jahren unter dem damaligen konservativen Premierminister Boris Johnson früher und stärker als alle anderen Länder Europas die Ukraine militärisch unterstützt; der ehemalige ukrainische Armeechef Waleri Saluschni, der populärste Politiker der Ukraine neben Präsident Selenskyj, ist seit einem Jahr ukrainischer Botschafter in London.
Vom Arbeitstreffen zum Krisengipfel
Das Gipfeltreffen 18 europäischer Nato-Staatsführer:innen am Sonntagnachmittag in Londons Lancaster House in unmittelbarer Nähe von Buckingham Palace war ursprünglich eigentlich als Arbeitstreffen gedacht: Großbritannien hatte kurz vor Ende der US-Präsidentschaft Joe Bidens den Vorsitz der Ukraine-Kontaktgruppe übernommen, die in den vergangenen Jahren regelmäßig am US-Luftwaffenstützpunkt im deutschen Ramstein Militärhilfe für die angegriffene Ukraine koordiniert hatte. Jetzt kommt dem Londoner Treffen unter dem Titel „Securing Our Future“ eine ganz neue Bedeutung zu.
„Wir sind hier heute versammelt, weil dies ein entscheidender Moment für Europas Sicherheit ist und wir alle etwas tun müssen“, sagte Starmer zur Gipfeleröffnung. Eine gute Lösung für die Ukraine sei „lebenswichtig für die Sicherheit jeder Nation hier und vieler anderer“. Polens Ministerpräsident Donald Tusk forderte eine Aufstockung europäischer Nato-Truppen in Osteuropa – es wird befürchtet, dass Trump das US-Militär abzieht. In Warschau hatte er vor seinem Abflug bemängelt: „500 Millionen Europäer wollen, dass 300 Millionen Amerikaner sie vor 140 Millionen Russen schützen.“
Beim Gipfel saß Keir Starmer am Kopfende des Tisches, flankiert von Wolodymyr Selenskyj und Emmanuel Macron. Für die Ukraine will Starmer nach eigenen Worten eine „Koalition der Willigen“ schmieden, ausgehend von einer engen Zusammenarbeit Großbritanniens und Frankreichs – die beiden stärksten Militärmächte Europas. Schon zuvor hatten sich Starmer und Macron beide bereit erklärt, Friedenstruppen in die Ukraine zu entsenden, um einen möglichen Waffenstillstand abzusichern.
Dies werde jedoch nur mit einer militärischen Absicherung durch die USA funktionieren, damit Russland den Waffenstillstand nicht bricht, wiederholte Starmer am Sonntag – eine Forderung, mit der sowohl Macron als auch Starmer bei Donald Trump vergangene Woche abgeblitzt waren. Trump will von „Sicherheitsgarantien“ seitens der USA, wie sie auch Selenskyj am Freitag forderte, nichts wissen.
„Großbritannien, Frankreich und andere werden mit Ukraine an einem Plan arbeiten, die Kämpfe zu beenden“, erklärte Starmer unbeirrt nach Abschluss des Gipfels: „Wir werden ihn mit den USA diskutieren“. Er habe am Samstag Abend mit Trump darüber bereits gesprochen und sei zuversichtlich, führte er aus. Die Alliierten müssen die Ukraine jetzt verstärkt militärisch unterstützen und den ökonomischen Druck auf Russland verstärken, und jeder „Deal“ müsse von der Ukraine mitgetragen werden und ihre „Souveränität und Sicherheit“ gewährleisten. Großbritannien stehe bereit, eine Vereinbarung mit Bodentruppen und Luftwaffe abzusichern.
Müsste und könnte also Europa allein einen Waffenstillstand in der Ukraine absichern und dem Land „starke Sicherheitsgarantien“ bieten, wie es Starmer am Sonntag erneut formulierte? „Wir müssen unsere Vorbereitungen der europäischen Elemente von Sicherheitsgarantien intensivieren und weiter in Diskussion mit den USA bleiben“, erklärte der britische Premier am Samstagabend. Der französisch-britische Plan sollte am Sonntag den anderen Gipfelteilnehmern vorgelegt werden.
Ob es überhaupt zu einem Waffenstillstand kommt, den jemand absichern müsste, ist aber zunehmend fraglich. Eher steht im Raum, dass Trump jetzt aus Wut die US-Militärhilfe für die Ukraine sofort beendet und dass Russland sich ermutigt sieht, seinen Angriffskrieg nochmal zu intensivieren, bevor andere Partner diese Lücke schließen können. Ukrainische Experten sagen, dann könne das Land höchstens noch sechs Monate gegen Russland bestehen. Zwar setzen die ukrainischen Streitkräfte immer stärker auf eigene Rüstungsproduktion, aber Aufklärungsdaten, die US-Geheimdienste der Ukraine zur Verfügung stellen, sind unmittelbar nicht zu ersetzen.
Manchen europäischen Partnern gehen die in London ventilierten Überlegungen daher nicht weit genug. „Während wir diskutieren, verteidigen Ukrainer in den Schützengräben unseren Kontinent, Russlands 190 Milliarden Euro sitzen unangetastet in unseren Bankkonten, unsere besten Waffen sind weitab von der Front eingelagert und unsere Piloten sichern die Himmel nicht“, schimpfte Litauens Ex-Außenminister Gabrelius Landsbergis bereit am Freitagabend auf X. Europa müsse die eingefrorenen russischen Gelder nutzen, statt Spardiskussionen zu führen, die militärische gegen soziale Sicherheit ausspielen, hatte er zuvor schon gesagt.
Auf dem Londoner Gipfel wurden auch neue Hilfszusagen von Nato-Staaten an die Ukraine in einem Umfang von 40 Milliarden Euro erwartet. Zudem hat die britische Regierung Pläne zur Gründung einer „Europäischen Rüstungsbank“ vorgelegt, die mit 10 Milliarden Euro Eigenkapital Investitionen in die Verteidigung in zehnfacher Höhe finanzieren könne. Das Vorbild dafür ist die 1991 nach dem Zusammenbruch des Ostblocks gegründete Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) mit Sitz in London, die mit einem Stammkapital von 30 Milliarden Euro Investitionen in Osteuropa finanziert.
Militär auf Kosten des Entwicklungsetats
In Großbritannien wird bereits deutlich, was passieren kann, wenn mehr Sicherheit ohne mehr Geld geschaffen werden muss. Kurz vor seiner US-Reise hatte Premier Starmer eine Erhöhung des britischen Verteidigungsetats auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) ab 2027 festgelegt. Bis zu den nächsten Wahlen, die spätestens 2029 stattfinden, sollen es 3 Prozent werden. Dafür sinkt der Etat für Entwicklungshilfe von 0,5 auf 0,3 Prozent des BIP – bis 2021 waren es noch 0,7 Prozent gewesen.
Kaum war Starmer aus Washington zurück, trat aus Protest Entwicklungsministerin Anneliese Dodds zurück. Sie erklärte, dass sie eine Erhöhung des Verteidigungsetats durchaus verstehe, nicht jedoch auf Kosten der Entwicklungshilfe. Ihrer Meinung nach wäre es an der Zeit, über die Steuerpolitik der Labour-Regierung zu sprechen. Noch Anfang Februar hatte der britische Außenminister David Lammy Kürzungen im Entwicklungsetat der USA kritisiert: Diese könnten von Ländern wie China ausgenutzt werden, erklärte er. Nun tut seine eigene Regierung das Gleiche.
Finanzministerin Rachel Reeves will noch weiter gehen. In einem Interview mit der Sunday Times kündigte sie an, den derzeit 27,8 Milliarden Pfund (33,7 Milliarden Euro) umfassenden „National Wealth Fund“ – der britische Staatsfonds, der Einnahmen etwa aus dem Ölexport in Infrastrukturinvestitionen leitet – auch für höhere Militärausgaben nutzen zu wollen. Bisher sollten daraus vor allem Klimaschutzinvestitionen finanziert werden. In ihrem nächsten Staatshaushalt, den sie Ende März vorlegen soll, dürfte es außerdem Sozialkürzungen in Milliardenhöhe geben.
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