piwik no script img

Gedenken an Hanau-AnschlagSPD, CDU und FDP schikanieren Terror-Betroffene

Die Mutter des ermordeten Sedat Gürbüz hat die kommunale Koalition in Hanau kritisiert. Nun will diese das Gedenken so nicht mehr zulassen.

Hanau, 19. Februar: Emis Gürbüz, Mutter des ermordeten Sedat Gürbüz spricht bei der Gedenkveranstaltung der Stadt Foto: Patrick Schreiber/imago

Hanau taz | In Hanau hat die kommunale Koalition aus SPD, CDU und FDP verkündet, künftig nicht mehr wie bisher der Opfer des rassistischen Terroranschlags gedenken zu wollen. Begründet hat sie dies mit der Meinungsäußerung einer Opfermutter. Diese hatte bei einer Gedenkveranstaltung am Mittwoch die Stadt kritisiert.

„Ich werde bestraft, weil ich mich nicht beuge“, kritisiert Emis Gürbüz, die Mutter, des ermordeten Sedat Gürbüz, die Erklärung der Koalition. Diese hatte sich in einer Pressemitteilung am Freitag gegen die Mutter des Ermordeten gewandt.

Darin heißt es, Gürbüz habe sich bei der Gedenkveranstaltung „mit schockierenden Äußerungen zu Wort gemeldet“. Tatsächlich hatte sie in ihrer Rede erklärt, dass „die Stadt Hanau die Verantwortung für den 19. Februar 2020“ trage und „schuldig“ sei. Der Täter habe vor seiner Tat Briefe geschrieben, die ignoriert worden seien. Zudem sei gegen die verschlossene Notausgangstür am Tatort nichts unternommen worden.

„Die Fehler, Versäumnisse und Fahrlässigkeiten der Stadt Hanau haben neun jungen Menschen das Leben gekostet“, hatte Gürbüz am Mittwoch gesagt und eine Verantwortungsübernahme gefordert. „Hätte die Stadt ihre Aufgaben ordnungsgemäß erfüllt, wären diese Kinder heute am Leben.“

Die Koalition wirft Gürbüz „Agitation“ vor

Stattdessen schreiben die Hanauer Politiker in der Pressemitteilung, auch mit dem „furchtbaren Tod ihres Sohnes Sedat“ sei „nicht jede Rede von Frau Gürbüz zu rechtfertigen“. Sie werfen ihr vor, das „Gedenken zur politischen Agitation genutzt“ zu haben.

„Bei allem Verständnis für die Trauer“ verlangte der Vorsitzende der Hanauer FDP-Fraktion, Henrik Statz, „Respekt und Achtung gegenüber Bund, Land, Stadt sowie den anderen Opferfamilien“. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Pascal Reddig warf Gürbüz vor, die Gedenkveranstaltung genutzt zu haben, um „rückwärtsgewandt zu spalten und die schreckliche Tat zu instrumentalisieren“. Für die Zukunft stellte die Koalition klar, es werde derlei Gedenkveranstaltung in Hanau nicht mehr geben.

Falschbehauptung der Koalition über Gürbüz

Darüber hinaus wirft die Koalition aus SPD, CDU und FDP Emis Gürbüz vor, bei der Premiere des Films „Das Deutsche Volk“ auf der Berlinale gesagt zu haben, dass sie Deutschland, Hanau und den Hanauer Oberbürgermeister hasse. Das wies Gürbüz zurück. Dass eine derartige Aussage nicht gefallen sei, bestätigten auf Nachfrage der taz weitere Premieren-Gäste.

Gürbüz selbst sagt dazu: „Ich habe mich immer bei allen Deutschen, die mich seit Jahren begleiten, von ganzem Herzen bedankt.“ Es mache sie betroffen, dass man sich weiterhin so mit ihr beschäftige, nach dem ihr Kind ermordet wurde. „Was wollen sie von mir noch?“, fragt sie.

Vermischung mit Privatangelegenheiten

Die Koalition merkte an, dass Gürbüz aktuell die deutsche Staatsbürgerschaft beantrage, und stellte die Frage: „Warum sie bei einer derartigen Gefühlslage die deutsche Staatsbürgerschaft beantrage, bleibt wohl ihr Geheimnis.“ Die Betroffene kritisierte, dass ihr privates Anliegen thematisiert werde.

Die SPD-Fraktionsvorsitzende Ute Schwarzenberger erklärte zudem, sie wünsche „Frau Gürbüz die Kraft, ihren Hass zu überwinden, um sich künftig respektvoll zu äußern“.

Armin Kurtović, dessen Sohn Hamza Kurtović ebenfalls bei dem Anschlag am 19. Februar 2020 in Hanau ermordet wurde, kritisierte die kommunale Koalition scharf. „Anstatt die Verantwortung für ihr Versagen zu übernehmen, startet der Oberbürgermeister mit dem Magistrat eine Gegenoffensive – wie immer“, sagte Kurtović der taz.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • Wenn überhaupt, dann gilt der Hass, zumindest aber abgrundtiefe Verachtung der Verwaltung und den genannten Parteien. Das sind widerwärtige Heuchler. Ich schäme mich für derartige Zustände in Deutschland anno 2025 - nicht ganz 100 Jahre vor dem "Jubiläum"....

  • Wenn Politiker einer Angehörigen vorwerfen den Tod ihres Sohnes politisch zu instrumentalisieren läuft irgendwas falsch und zeigt wie entfremdet so einige Politiker sind.



    Btw, Faschismus ist bekanntlich ein ostdeutsches Problem in Westdeutschland...

  • traurig, dass die Ausgänge verschlossen waren, dass der Notruf nicht erreichbar, dass das Attentat nicht abgewendet wurde.

    Die Verletzten, Getöteten und Angehörigen tun mir sehr leid. Politiker müssen ihre Verzweiflung aushalten können.

  • Mir bleibt die Spucke weg, dass das öffentliche Äußerungen aus einer Koalition dieser Parteien sind. Fast möchte man sagen: Getroffene Hunde bellen (jaulen, kläffen, schnappen).



    Jede einzelne Reaktion ist in der Form unmöglich, alle zusammen unerträglich, die Anmerkung zum Einbürgerungsantrag eine Frechheit mit Tendenz zur Ehrabschneidung.

    Statt Frau Gürbüz persönlich einzuladen, um meinetwegen auch unter 4 bis 8 Augen zu besprechen, was man an der Art der Äußerung kritisieren mag, stellt eine regierende Koalition eine einzelne Frau an den Pranger.



    Ich spekuliere ungern, aber ich würde behaupten: Hieße sie Müller, würde ihr anders begegnet als von oben herab.

  • U.a. deshalb sollte man bei jeder Wahl einen großen Bogen um diese 3 Parteien machen.

    • @TeeTS:

      Dann bleibt nur noch grün wählen?

  • Sehr traurig, das zu lesen. Dieses Verhalten durch die Kommunalpolitik ist in keiner Weise zu entschuldigen - und zwar ganz egal, ob Frau Gürbüz Worte objektiv richtig oder falsch sein mögen. Egal, ob man alle Ansichten der Initiative 19. Februar teilen mag oder nicht. Sie spricht aus dem Schmerz einer Mutter heraus, der Mitgefühl gelten sollte. Der nicht immer diplomatisch sein muss. Wenn das nicht möglich ist, die angesprochenen PolitikerInnen und Behörden, die eine ganz andere Selbstverständlichkeit in diesem Land genießen, dies nicht aushalten können, dann ist so eine gemeinsame Gedenkveranstaltung vielleicht tatsächlich keine gute Idee. Allerdings aus ganz anderen Gründen, als von den Fraktionen angeführt.

  • Was für ein schändliches Verhalten der Hanauer Politiker von SPD, CDU und FDP. Shame on you!!!

    • @Irm mit Schirm:

      Was für ein schändliches Verhalten von Emis Gürbüz. Shame on you!!!

      • @Nisse:

        So machen Sie das Opfer zur Täterin.

      • @Nisse:

        Warum halten Sie es für schändlich, öffentlich Kritik an politisch Verantwortlichen zu äußern?

        Zum einen steht Fr. Gürbüz mit ihrer Kritik nicht alleine. Es ist wohl einiges schlecht gelaufen, wie der Notruf, der nicht erreichbar war, oder das der Täter schon im Vorfeld auffällig war und nichts getan wurde (das ist ja scheinbar ein strukturelles Problem).

        Zum anderen darf sie ihre Einschätzung äußern, auch wenn andere zu einer anderen Einschätzung der Umstände kommen. Angesichts der Tatsache, dass sie ihren Sohn verloren hat, dass dieser Sohn und viele andere ermordet wurden, kann ich auch heftigste Emotionen gut verstehen.

        Was ich tatsächlich überhaupt nicht verstehe, und mir spontan nur mit Wahlkampf in Zeiten der AFD erklären kann, ist die Reaktion der kommunalen Regierungsparteien. Selbst wenn Fr. Gürbüz sich massiv im Ton vergriffen hätte (liest sich hier nicht so, aber ich habe die Rede nicht gehört) würde dies nicht rechtfertigen, allen anderen betroffenen Familien das öffentliche Gedenken zu streichen.

  • Dazu wurde ja der deutsche Beamtenapparat und die Verwaltung erschaffen, damit letztlich keiner Verantwortung übernehmen muss.

  • Angriff ist die besten Verteidigung...



    .



    Bestes Beispiel dafür, wie eine Aufarbeitung, Selbstreflexion, Respekt und Verantwortung NICHT aussehen. Glückwunsch!



    .



    "Warum sie bei einer derartigen Gefühlslage die deutsche Staatsbürgerschaft beantrage, .. "



    .



    Alleine das Wahlrecht, um den Stimmenanteil dieser Kotz Brocken zu verringern, sollte Grund genug sein.

  • >Zudem sei gegen die verschlossene Notausgangstür des Tatorts nichts unternommen worden.

    Wenn das als Grund für ihre scharfmacherische Formulierung, die Stadt sei am Tod der Opfer schuld, dient, müsste sie dann nicht viel mehr die Lokalbetreiber, die aus eigenem Antrieb die Tür verschlossen gehalten haben, in gleicher Weise beschuldigen?

    • @taz-FAN2000:

      Natürlich hat die Stadt Hanau ne Mitverantwortung und ist damit "schuldig". Die zukünftige deutsche Mitstaatsbürgerin Emis Gürbüz hat alles Recht der Welt, dies zu äußern ohne Gegenkommentare.

    • @taz-FAN2000:

      Das tut sie ja auch.

      Insgesamt geht es um Opfer eines Terroranschlags, die seit 5Jahren Aufarbeitung von den öffentlichen Stellen und Verantwortlichen fordern und offensichtlich das Gefühl haben, dass ihnen dies verweigert wird. Die deutsche Routine, Gedenkveranstaltungen abzuhalten, sich für kleinere Versäumnisse zu entschuldigen und tiefergehenden Fragen auszuweichen, muss für Menschen in dieser Situation schmerzhaft und kränkend sein.

      Warum kein moderiertes, klärendes Gespräch? Dass die Opfer an die Öffentlichkeit gehen, um gehört zu werden, ist verständlich, wenn auch in Teilen vielleicht ungerecht. Aber die politisch Verantwortlichen sollten um Klärung und Ausgleich bemüht sein und auf die Opfer zugehen, statt sie öffentlich zu kritisieren. Zuhören wäre ihre Aufgabe.

    • @taz-FAN2000:

      Statt sich über die Aussage der Mutter aufzuregen, sollte man die Größe haben, damit anders umzugehen. Schließlich ist sehr viel schiefgelaufen.



      (Auszug aus Wikipedia)



      >



      Im April 2024 erinnerte Moderator Jan Böhmermann im ZDF Magazin Royale an die Behördenfehler vor dem Anschlag: dass R. eine Waffenerlaubnis erhielt, obwohl er seine Webseite und seine rassistischen Fantasien bekannt gemacht hatte; dass man Ullmann trotz der nicht behobenen Notrufprobleme in Hanau zum Landespolizeipräsidenten befördert und zugleich zwei Beamte wegen ihrer Beschwerden über das Einsatzchaos in der Tatnacht diszipliniert hatte; dass ein BKA-Beamter den überlasteten Hanauer Polizeinotruf für eine Privatauskunft benutzt hatte; dass der verschlossene Notausgang keine Folgen hatte. Die Autorin Gilda Sahebi kritisierte, gerade die für die Aufklärung zuständige Polizei habe diese nach Kräften verhindert.



      <



      Die Sache mit der Tür ist mal wieder ein Beispiel, warum es eine von Landes- und Bundesbehörden arbeitende interne Ermittlung braucht. Das (Nicht-)Ergebnis (Einstellung) der ermittelnden Staatsanwaltschaft wirkt m.E. doch sehr nach, man wollte es gar nicht wissen.