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Bildung im WahlkampfStreitet endlich über Bildungspolitik!

Ralf Pauli
Kommentar von Ralf Pauli

27.000 Lehrkräfte haben die Schule verlassen – schon vor der Rente. Trotzdem ignorieren die Parteien im Wahlkampf die Bildungskrise. Wie kurzsichtig!

Ohne Lehrende gibt Chaos, und zwar nicht von der guten Sorte Foto: Plainpicture

E s gibt Meldungen, bei denen im ganzen Land laut die Alarmglocken schrillen müssten. Wie bei dem am Mittwoch veröffentlichten Bericht über den „Massenexodus“ an deutschen Schulen. Das Berliner Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie, kurz FiBS, hat herausgefunden, dass im vergangenen Schuljahr 27.000 Leh­re­r:in­nen aus dem Schuldienst geflüchtet sind. Richtig gelesen: geflüchtet. Die meisten dürften wohl hingeschmissen haben, weil sie keinen Bock oder keine Kraft mehr für einen Job mit Dauerbelastung hatten.

Um die ganze Dramatik dieser Meldung zu verstehen, muss man wissen, dass die Leh­re­r:in­nen­schaft stark überaltert ist. Die Lücken, die die Pen­sio­nä­r:in­nen Jahr um Jahr in die Kollegien reißen – letztes Jahr gingen rund 10.000 –, können die Schulen ohnehin kaum stopfen. Gleichzeitig hat sich die Zahl derer, die das sinkende Schiff verlassen, seit 2015 verdoppelt. In manchen Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern gibt mittlerweile je­de:r Zehnte vorzeitig auf. Wenn die Politik hier nicht bald umsteuert und für spürbare Entlastung sorgt, wird aus der Bildungskrise bald eine Bildungskatastrophe.

Doch dafür müssten die Parteien die Bildungskrise erst mal als solche anerkennen. Leider finden Nachrichten wie die obige in dem ganzen Wahlkampfgeblubber keine große Beachtung. Wer jetzt einwendet, dass Bildung nun mal Ländersache sei und deshalb im Bundestagswahlkampf nichts zu suchen habe, verschließt die Augen vor der Realität. Längst ist der Bund ein wichtiger Finanzier bildungspolitischer Programme: Er zahlt das Bafög, investiert in den Ausbau von Kitas und Ganztagsbetreuung, sorgt für IT-Infrastruktur an Schulen, unterstützt Schü­le­r:in­nen in sozial benachteiligten Lagen.

Die Frage ist also nicht: Darf sich die künftige Bundesregierung in die Bildungshoheit der Länder einmischen? Sondern: Könnte, sollte, müsste sie nicht noch viel mehr tun, um das Bildungssystem gerechter, gesünder und zeitgemäßer zu gestalten? Es ist ein beschämendes Zeugnis, doch mit Ausnahme von Robert Habeck, der immerhin die maroden Schulen im Land sanieren möchte, interessiert sich kei­n Kanz­ler­kan­di­da­t für die drängenden Bildungsfragen.

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Wie kann es sein, dass sich eine der reichsten Wirtschaftsnationen immer noch eines der ungerechtesten Bildungssysteme leistet? Wieso lässt man Schü­le­r:in­nen (und Lehrkräfte), die seit Jahren über einen völlig aus der Zeit gefallenen Lern- und Leistungsdruck klagen, einfach so abblitzen? Wieso sind dem Land Wis­sen­schaft­le­r:in­nen mit Kettenverträgen und Studierende unterhalb der Armutsgrenze so egal?

Jedes dieser Themen wäre einen bundesweiten Bildungsgipfel wert. Doch darüber reden nur die Fach­po­li­ti­ke­r:in­nen und hie und da mal die Länderchefs. Ansonsten: Schweigen. Den Parteispitzen aber ist Bildung ganz offensichtlich so unwichtig, dass sie seit des Ampelbruchs noch nicht ein mal darüber gestritten haben, wer hier die besseren Lösungen parat hat.

Die meisten Wahl­kämp­fe­r:in­nen halten uns lieber in der Migrations­debatten­dauerschleife

Selbst Appelle wie der von den drei Bildungsministerinnen aus Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein, Bildung im Wahlkampf zu thematisieren, verhallen. Einziger Lichtblick ist noch die linke Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek, die diese Woche im Bundestag diese Leerstelle benannt und unter anderem einen Kita-Gipfel gefordert hat. Auch ein Thema, das eigentlich keinen Aufschub duldet.

Doch die meisten Wahl­kämp­fe­r:in­nen halten die Bür­ge­r:in­nen lieber in der Migrationsdebattendauerschleife. Und wir Medien machen schön mit. Mit dramatischen Folgen. Nach einer aktuellen Studie erleben nur 22 Prozent der Schü­le­r:in­nen die Demokratie als fähig, aktuelle Probleme zu lösen.

Wie unzufrieden besonders junge Menschen mit der Politik sind, kann kaum verwundern. Erst hat die Ampel zentrale Versprechen an junge Menschen – Wählen mit 16, Klimaschutz, elternunabhängiges Bafög – nicht eingelöst. Und nun kommen ihre Sorgen und Wünsche gar nicht mehr im Wahlkampf vor (sieht man vielleicht von der Krieg-und-Frieden-Thematik ab). Das ist beschämend und genauso kurzsichtig, wie die Bildungsbaustellen gänzlich den Ländern zu überlassen.

Selbst wenn man die Themen Migration und Wirtschaft als die vorrangigen „Probleme“ im Land sieht. Ohne die entsprechenden Ressourcen in der Bildung wird man die erhofften Ziele nicht erreichen. Darauf weisen Ex­per­t:in­nen schon lange hin. Diese Einsicht muss sich endlich auch im Wahlkampf bemerkbar machen.

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Ralf Pauli
Redakteur Bildung/taz1
Seit 2013 für die taz tätig, derzeit als Bildungsredakteur sowie Redakteur im Ressort taz.eins. Andere Themen: Lateinamerika, Integration, Populismus.
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8 Kommentare

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  • Bildung ist ein Feind der Lüge. Da wir jetzt eine Zeit der Lügen haben, ist Bildung kontraproduktiv.

  • Das Problem ist doch eher systembedingt. Die Verantwortung und Gesetzgebungskompetenz für die Bildung liegt bei den Bundesländern. Da kann auf Bundesebene kaum einen vernünftigen Wahlkampf führen.

  • Ich denke, die Hoffnung, dass aus einer politischen Diskussion über Bildung etwas Konstruktives entstehen kann, ist eher unwahrscheinlich. Da geht es dann doch eher um Weltansichten, die auf die Schule übertragen werden.



    Es bräuchte eher eine Diskussion von Bildungsforschern, die dann auch etwas durchsetzen können.



    Wäre das ein Wahlkampfthema, ging es wieder nur um 12 oder 13 Jahre etc. ...

  • Der Bildungsstandard in Deutschland sinkt seit 2012, wie die PISA-Studien deutlich zeigen.

    Ein ähnlicher Trend war auch im Vereinigten Königreich zu beobachten. Dort orientierte man sich aber an erfolgreichen Bildungssystemen wie Finnland oder Singapur und integrierte deren bewährte Konzepte. So wurde beispielsweise der Lehrplan stärker auf Fachwissen ausgerichtet, um die Schülerleistungen zu verbessern. Diese Reformen führten zu einer signifikanten Steigerung der PISA-Ergebnisse in Mathematik und Lesen zwischen 2009 und 2018. Gleichzeitig konnte die Abhängigkeit des Lernerfolgs von der sozialen Herkunft reduziert werden.

    Es fehlt nicht Geld allein - sondern auch der Wille zu echten Reformen.

    • @Benzo:

      Was die PISA-Studien messen, ist nur ein Ausschnitt dessen, was die Schulen vermitteln sollen.

  • Herr Pauli, Bildungskrise hin oder her... ist das nicht allein ein demograhisches Problem welches seit 40 Jahren klar war, dass das kommt?



    Hinweis: Wir haben auch zu wenig Richter, Handwerker, Ingenieure, ....

  • Danke für diesen berechtigten Artikel!



    Ald Lehrerin an einer berliner Sekundarschule finde ich es auch unfassbar, dass der Zustand er Bildung in Deutschland im Wahlkampf praktisch keine Rolle spielt. Offenbar lässt sich mit der Thematisierung der massiven Missstände kein Blumentopf gewinnen.



    Leider ist das komplexe Thema Bildung es aber auch den meisten Medien vor der Wahl (und oft auch sonst) nicht wert, in seiner Gänze und gesellschaftlichen Bedeutung gewürdigt zu werden. Da ist eine nicht nachvollziehbare Leerstelle entstanden.

  • Ein absolut wichtiger Punkt! Bildung ist die Grundlage für eine funktionierende Gesellschaft und eine zukunftsfähige Wirtschaft – und trotzdem wird sie im Wahlkampf sträflich vernachlässigt. Die dramatische Lehrkräfteflucht zeigt, dass dringend gehandelt werden muss. Wir brauchen eine echte Bildungsreform, mehr Unterstützung für Lehrkräfte und bessere Bedingungen für Schüler:innen. Warum wird darüber nicht genauso intensiv debattiert wie über andere Themen? Bildung geht uns alle an!