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Der Vinyl-Schatz vom Museumsboden

Ein Scharnier zwischen Drinnen und Draußen, Museum und Menschen: Der „Zwischenraum“ im Hamburger ethnologischen Museum MARKK feiert sein sechsjähriges Bestehen

Nicht frei von provisorischem Charakter: So kann es aussehen im Hamburger „Zwischenraum“ Foto: Annette Schrader Fotografie/MARKK

Von Petra Schellen

Ganz niedrigschwellig ist er nicht, denn man muss Eintritt zahlen, wenn man den „Zwischenraum“ besuchen möchte – außer donnerstags ab 16 Uhr: Da ist seit 2018 das ganze Museum gratis zu besuchen, bis 21 Uhr sogar. Das mit dem Geld habe rein praktische Gründe, sagt Kurator Gabriel Schimmeroth. In der Tat liegt der Raum genau zwischen Eingangshalle und Durchgang zur regulären Ausstellung. Weil sich dieser nicht lückenlos kontrollieren lässt, so ein Museum andererseits stets klamm ist, muss man eben zahlen.

Das „Museum am Rothenbaum. Kulturen und Künste der Welt“ (MARKK) hieß bis 2017 „Völkerkundemuseum“. Hervorgegangen ist es 1867 aus der ethnografischen Sammlung der Hamburger Stadtbibliothek. In den Folgejahren bekam es etliche Objekte geschenkt, von Kaufleuten mitgebracht aus den Kolonien. Wie in allen ethnologischen Museen Europas wurden die Exponate hier als „exotisch“ und kulturell unterlegen präsentiert. Etliche waren schlicht geraubt worden, illegal oder deutlich zu günstig erworben – lange Zeit, ohne dass man es kenntlich machte.

Eben dieser Aufarbeitung und, wo möglich, Restitution, gilt die 2017 gestartete Neuausrichtung. Seither sucht man mit Ausstellungen etwa über das kulturelle Erbe der durch Atomtests versuchten, heute vom Klimawandel bedrohten Marshallinseln, über Salpeter-Kolonialismus in Chile oder die einst in „Völkerschauen“ gezeigten Sami Provenienzforschung und aktuelle Diskurse zu verbinden.

Im Zuge dessen wurde auch jener „Zwischenraum“ eingerichtet, der, leicht provisorisch, an ein Depot erinnert; provisorisch geriet vielleicht auch die Jubiläumsplanung: Hatte das MARKK erst verkündet, der Raum werde fünf Jahre alt, sind es tatsächlich schon sechs.

Was seinem Transit-Anspruch umso mehr gerecht wird: Als „dritter Raum“ – weder privat noch kommerziell – wurden da 300 Quadratmeter Museum wirklich bewohnbar gemacht. Zuvor hatte man dort eine Ausstellung zu Forschungsreisen des späteren Museumsdirektors Jürgen Zwernemann in den 1950er-Jahren gezeigt. Fenster wurden freigelegt, Tageslicht hereingelassen, Essen und Trinken erlaubt – Dinge, die im Museum sonst tabu sind.

Dabei versteht sich der „Zwischenraum“ nicht etwa als Gegenentwurf zum übrigen Museum, sagt Gabriel Schimmeroth, zugleich Veranstaltungsleiter und Projektkoordinator des MARKK. „Die Idee war anfangs auch, hier Menschen zusammenzubringen, die den Wandel zum MARKK verstehen wollten.“ In den vergangenen Jahren habe sich der Raum dann immer mehr zu einem Ort für experimentelle Ausstellungs- und Veranstaltungsformate entwickelt.

Man hat in diesem Fall also gar nicht, wie andere Museen und Konzerthäuser, explizit auf eine Verjüngung der Besucherschaft gezielt. Vielmehr sollten partizipative Angebote ein diskursfreudiges Publikum locken, das sich für die Provenienzforschung des MARKK interessiert oder für Restaurierung; eines, das gemeinsam museumsrelevante Texte durcharbeitet – aber auch einfach gern mal miteinander feiert.

Party „Sechster Zwischenraum-Geburtstag!“ mit DJ-Set von yung_womb & Nissa Carrington (SLIC Unit), einer Kohl-Installation „für Menschen mit Lust auf die Kunst des Essens“ vom transdisziplinären KOHLEKTIV sowie dem neuen Artist in Residence, Sujatro Ghosh:

Do, 6. 2., 19 Uhr, Hamburg, MARKK, Rothenbaumchaussee 64 (Eintritt frei)

So ist es dann auch gekommen: Der „Zwischenraum“ bietet kleine Ausstellungen, Gespräche, offene Proben, Performances und Workshops – auch zum Sütterlin-Lernen, für jene, die Omas Briefe entziffern wollen; da kamen laut Kurator 25 Leute. Man wolle einen „modernen, flexiblen Umgang mit dem Museumserbe“, sagt Schimmeroth. So ließ man etwa den britisch-jamaikanischen Künstler Satch Hoyt unter dem Motto „Sonic Restitutions“ auf historischen Instrumenten aus dem Museumsdepot spielen und dies mit heutiger elektronischer Musik verbinden.

Mit zufällig auf dem Museumsdachboden gefundenen Kisten mit Schallplatten wiederum begann das gut besuchte Vinyl-Projekt, für das man den Hamburger DJ Sebastian Reier alias Booty Carrell gewann. „Inzwischen sind die Platten im ‚Zwischenraum‘ neu präsentiert und können auf einem Plattenspieler angehört werden“, sagt Schimmeroth. Stattgefunden hat aber auch ein „Thementag“ für den kurz zuvor verstorbenen linken US-Anthropologen David Graeber (1961–2020) oder Performances der namibischen Künstlerin Tuli Mekondjo. Regelmäßige Gäste sind die ResidenzkünstlerInnen des MARKK: Bei der anstehenden Geburtstagsparty wird sich der Künstler und Aktivist Sujatro Ghosh vorstellen.

Derzeit reflektieren dort Menschen jeden Alters über die Bedeutung von Emojis und Memes

„Unser großer Vorteil ist, dass wir – anders als der mit langem Vorlauf arbeitende Ausstellungsbetrieb – schnell reagieren können“, sagt der Kurator. So folgte auf den Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini in iranischem Polizeigewahrsam im September 2022 bald ein Werkstattgespräch im „Zwischenraum“ und im Januar 2023 eine Ausstellung des „Woman* Life Freedom Collective Hamburg“. Kurz nach Bekanntwerden der frauenfeindlichen, gewalttätigen Tradition des Borkumer „Klaasohm“, Ende 2024, gab es Anfang Januar dann eine Debatte über die Wandlungsfähigkeit von Traditionen mit Filmemacher Gunnar Krupp und dem Ethnologen Thomas Hauschild sowie eine Präsentation von Krampus-Masken.

Entstanden ist der „Zwischenraum“ im Zuge des 2019 gestarteten vierjährigen Projekts „MARKK in Motion – Initiative für Ethnologische Sammlungen“, gefördert von der Kulturstiftung des Bundes. Von diesem Geld wurden unter anderem der Umbau sowie die Veranstaltungen der ersten Jahre finanziert. Ende 2023 liefen die Bundesmittel aus. Er sei „froh, dass wir den Raum, dessen Veranstaltungen bis zu 200 Leute besuchen, verstetigen konnten“, sagt Schimmeroth. „Unsere BesucherInnen sind zwischen 20 und 80 Jahre alt und interagieren sehr gut miteinander.“ Und sei auch das nun vom MARKK gestellte Budget weniger üppig, könne der Betrieb gut weiterlaufen.

Derzeit zum Beispiel reflektieren Menschen jeden Alters in der Reihe „Coding Culture – Emojis, Memes, Museum“ über Nutzung und Bedeutung solch heutiger Zeichen. „Es ist wichtig, diese Debatten, die wir in einem nicht produktiven, oft toxischen Sinne ins Digitale ausgelagert haben, in den analogen Raum zurückzuholen“, sagt Schimmeroth. „Das Bedürfnis danach ist groß.

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