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Kongress zu WohnungslosigkeitDie Zeit läuft ab

Bis 2030 soll niemand mehr ohne eigene Wohnung sein. Die Bauministerin setzt auf mehr Sozialwohnungen und Prävention. Doch: Wie realistisch ist das?

Die Zahl der Sozialwohnungen sinkt, die Zahl wohnungsloser Menschen steigt und der politische Diskurs ist Kürzungen bestimmt Foto: Jan Woitas/dpa

Berlin taz | Auf den ersten Blick sind es bescheidene Wünsche, die Jens Roggemann auf der Bühne ausspricht. Roggemann, von der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen, lebt in einer Wohnung mit eigenem Mietvertrag, aber das war nicht immer so. Er sei in der Vergangenheit gescheitert mit dem Versuch der Selbstständigkeit, wurde krank, hatte Mietschulden, verlor seine Wohnung. Wenn er auf diese Zeit zurückblicke, sagt er, habe er im Sozialhilfesystem „Empathie vermisst“, er sei behandelt worden wie ein „Verwaltungsvorgang“, nicht wie ein Mensch, der in einer Krise steckte. Für die Zukunft wünscht er sich, dass sich das ändert. Er fordert bessere Hilfen, menschliche Begegnungen.

Ilse Kramer, auch von der Selbstvertretung, kann ihm nur zustimmen. Ihre Erfahrung mit den Ämtern sei „unter aller Sau“ gewesen. Aber man müsse auch Menschen jenseits der Verwaltung sensibilisieren, wachsam zu sein, wenn Menschen aus ihrer Wohnung gedrängt werden.

Wie das konkret gelingen kann, war das zentrale Thema des 2. Jahreskongress des Nationalen Forums gegen Wohnungslosigkeit, das am Donnerstag in Berlin stattfand. Roggemann und Kramer wirken beide mit am Nationalen Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit, der im April vergangenen Jahres beschlossen wurde. Beteiligt daran sind Ver­tre­te­r*in­nen aus Bund, Ländern und Kommunen sowie Akteure aus der Zivilgesellschaft und Wirtschaft.

Mit einem Bündel von Maßnahmen soll das Ziel der Bundesregierung erreicht werden: Bis 2030 soll hier im Land kein Mensch mehr ohne Wohnung sein. Das sind nur noch fünf Jahre. Doch die Zahl der Sozialwohnungen sinkt, die Zahl wohnungsloser Menschen steigt und der politische Diskurs ist davon bestimmt, wo überall gekürzt werden soll. Unklar ist auch, wie sich die Neuwahlen im Februar auswirken.

Neubauziele wurden krachend verfehlt

Der zuständigen Bundeswohnungsministerin Klara Geywitz (SPD), die auch am Kongress teilnahm, ist wichtig: Unabhängig davon, wer künftig dieses Land regiere, die Bekämpfung von Wohnungslosigkeit müsse „ganz oben auf der Agenda stehen.“ Geywitz wünscht sich einen parteiübergreifenden Konsens, wie es ihn in Finnland gebe. Das Land gilt als vorbildlich in der Bekämpfung von Obdachlosigkeit. Der dort etablierte Ansatz Housing First wurde über verschiedene Regierungen und Koalitionen hinweg verfolgt.

Geywitz weiß aber auch, dass Deutschland vor großen Herausforderungen steht. Denn das Problem Obdach- und Wohnungslosigkeit lässt sich letztlich nur mit ausreichend günstigem Wohnraum lösen. Die Neubauziele, insbesondere von Sozialwohnungen, wurden jedoch krachend verfehlt. Da hilft es wenig, dass Geywitz erneut betont, dass die Regierung eine Rekordsumme in den sozialen Wohnungsbau steckt. Künftig müsse man zudem besser auf die Bedürfnisse von wohnungslosen Frauen und Kindern eingehen und stärker auf Prävention setzen.

Sabine Bösing, von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe befand, dass die Regierung da zu wenig unternehme. „Leider sind die ganzen mietrechtlichen Vorhaben auf der Strecke geblieben“, kritisierte sie. Bösing nannte als Beispiel bessere Schonfristen bei ordentlichen Kündigungen, wenn Mietschulden rechtzeitig zurückgezahlt werden. Die Ampelregierung hatte sich eigentlich Verbesserungen vorgenommen, doch das scheiterte am Widerstand der FDP. Gregor Jekel, Leiter des Fachbereichs Wohnen der Stadt Potsdam, sagte, dass beim Thema Geld „die größte Sprengkraft“ liege. Keine guten Aussichten.

Während am Donnerstag im Warmen noch weiter diskutiert wurde, ließen sich draußen ein paar Meter entfernt am Bahnhof Tiergarten die Folgen besichtigen. Dort hat sich ein Mensch ein graues Zelt aufgestellt, im Januar, bei gerade mal 4 Grad und Regen.

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