Regierungskrise in Österreich: Auf der anderen Seite der Brandmauer
Österreichs Parteien kennen weder eine Brandmauer, noch haben sie aus dem Erfolg der rechtsradikalen FPÖ gelernt. Sie sind unfähig zur Selbstkritik.
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D ie rechtsradikale Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) blickt auf ihr erfolgreichstes Jahr überhaupt zurück: gewonnene EU-Wahl, der erste FPÖ-Landeshauptmann seit Jahrzehnten, vor allem aber der Sieg bei der Nationalratswahl. 28,9 Prozent wählten die „Freiheitlichen“, die Österreich zum illiberalen Staat nach ungarischem Vorbild umbauen wollen.
Wie mit der extremen Rechten umgehen? Diese Frage stellt sich in Österreich nicht zum ersten Mal. Anders als in Deutschland gibt es keine Brandmauer nach rechts außen. Es gab sie auch nie, jedenfalls nicht explizit. Lange spielte die 1956 gegründete FPÖ keine Rolle, denn ÖVP und SPÖ teilten sich die Republik untereinander auf.
Mitte der 1980er Jahre begann der FPÖ-Erfolgslauf unter Jörg Haider, der vor allem auf Ausländerfeindlichkeit setzte. Seitdem hat die Partei zweimal auf Bundesebene mitregiert. Sie schafft es immer wieder, fast alle Proteststimmen auf sich zu ziehen. Trotz ihrer vielen Skandale.
Auch diesmal. Die anderen Parteien haben unterschätzt, wie groß der Unmut über die übersteuerte und populistische Coronapolitik war. Vor allem die beschlossene, am Ende nie umgesetzte Impfpflicht trieb die Wähler in Scharen zur FPÖ. Ihre erratische Politik hat die schwarz-grüne Regierung nie vollständig aufgearbeitet.
Ernte für die FPÖ
Ebenso wenig hat die ÖVP einen klaren Schnitt gemacht, als etwa die Skandale rund um von der Regierung bezahlte Inserate unter Sebastian Kurz aufkamen. Viel Vertrauen in Medien und Politik wurde verspielt. Die FPÖ holt die Enttäuschten ab, setzt auf Alternativmedien, wettert gegen das „System“.
Auch haben fast alle anderen Parteien unterschätzt, wie wichtig die Sozialpolitik ist. In Zeiten von Rekordinflation, steigender Arbeitslosigkeit und Armutsgefährdung ein grobes Versäumnis. Da halfen weder der Populismus eines Andreas Babler noch die ÖVP, die Unternehmen in der Coronazeit bewusst überförderte, sich aber gegen eine Anhebung des Arbeitslosengelds stellte.
Die geplante Dreierkoalition zusammen mit den Neos ist nun fulminant gescheitert, weil ÖVP und SPÖ nicht über ihren Schatten springen konnten. Schon rechnerisch gibt es dazu keine Alternative ohne FPÖ. Sollten sich die Parteien nicht in Neuwahlen flüchten – und selbst dann –, ist eine FPÖ-geführte Regierung wohl unvermeidlich. In der ÖVP gibt es längst laute Fürsprecher dieser Variante.
Nun rächt sich, dass SPÖ und ÖVP nicht die Zeichen der Zeit erkannten. Österreichs Politik bräuchte Selbstkritik, Transparenz, überfällige Reformen. Stattdessen ging es viel zu lang um Machtpolitik und die Absicherung eigener Pfründen. Die Ernte fährt die FPÖ ein.
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