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Besserer ÖPNV auf dem LandMit Rufbussen angebunden statt abgehängt

Auf dem Land geht nichts ohne Auto? Doch! Jede dritte Nahverkehrsgesellschaft in Deutschland bietet flexible Kleinbusse an, die nach Bedarf fahren.

Einfach mit der App „RufVLP“ zu odern: Rufbus in Mecklenburg-Vorpommern Foto: Jens Büttner/picture alliance

Berlin taz | „Busfahren“ ist nicht mehr das richtige Wort. Wie soll man sie nennen, diese Kombination aus Bus und Taxi? „Dalli“ heißt sie hier in Bad Saarow und Umgebung, 50 Kilometer südöstlich von Berlin. Die weiß-grün-blauen Kleinbusse, die sich per Smartphone rufen lassen, kommen zwar nicht ganz bis nach Hause, aber fast. Sie bringen Bürgerinnen und Bürger zum Arzt, zum Einkaufen oder holen sie abends vom Konzert ab – zum normalen Tarif des öffentlichen Nahverkehrs, plus ein Euro sogenannter Komfortzuschlag.

„Es stimmt nicht mehr, dass die Leute hier abgehängt sind“, sagt Tim Jurrmann, der beim Kreisentwicklungsamt des Landkreises Oder-Spree arbeitet. Dieser organisiert und bezahlt den modernen Beförderungsdienst. Ähnliche Angebote gibt es mittlerweile bundesweit bei einem Drittel der Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs. Die Klage, man sei auf dem Land abgeschnitten, spiegelt in vielen Fällen vielleicht eher ein Gefühl wider als die Realität.

Seit Jahresanfang sei der Dalli noch attraktiver, sagt Jurrmann. Donnerstags, freitags und samstags fahren die ­elektrischen Mini-Vans nun bis 0.30 Uhr in der Nacht. Wer am Wochenende die Oper in Berlin besucht oder einen ­Kneipenabend mit Freunden in der Großstadt verbringt, kann sich noch spät vom Bahnhof in der Kleinstadt Storkow abholen und in die Nähe der Wohnung bringen lassen. An den anderen Tagen fahren die Kleinbusse zwischen 6.00 oder 8.00 Uhr und 22.00 Uhr. Neben Storkow und Bad Saarow mit ­seiner Therme bedient der Service mehrere ­Gemeinden rund um den Scharmützelsee.

Die Dalli-Busse sind dafür gedacht, die Bürger von deren Wohnort bis zur nächsten Bus- oder Bahnlinie zu bringen. Sie fahren die „erste und letzte Meile“, wie die Fachleute sagen. Es handelt sich um einen „Linienbedarfsverkehr“: Die Fahrerinnen und Fahrer steuern hunderte Haltestellen an – wenn sie jemand anfordert. Im Unterschied zu Taxis werden bis zu fünf Personen gemeinsam transportiert, die auch unabhängig voneinander buchen können. Die Kleinbusse kommen nur, wenn sie gerufen werden. Reservieren kann man die Plätze per Telefon, Smartphone oder in der Dalli-Zentrale. In der Regel finden sich die Haltestellen maximal 200 Meter von bebauten Gebieten entfernt.

Ersetzt den Zweitwagen

Pro Woche werden durchschnittlich tausend Transporte abgewickelt. Ein Fünftel der Fahrten hätten sonst nicht stattgefunden, sagten die Nutzer in einer Auswertung, sie wären sonst zu Hause geblieben. Es handelt sich somit um einen Zugewinn an Bewegungsfreiheit, der beispielsweise Arztbesuche ermöglicht, die andernfalls unterblieben. „Ein Quantensprung der Mobilität“, sagt Jurrmann. Und jede zweite Dalli-Fahrt ersetzt eine Tour mit privaten Pkws. „Die Leute überlegen, ob sie ihren Zweitwagen noch brauchen.“

Im nordöstlichen Bayern ergänzt der Hofer Landbus ebenfalls die Linien des tradi­tionellen Nahverkehrs. 2024 wurde das Netz stark ausgedehnt, berichtet Andreas Weinrich, Geschäftsführer der Logistik Agentur Oberfranken. Mittlerweile werden 1.450 Haltestellen im Umkreis der Stadt Hof angesteuert. Eine Fahrt kostet dort pauschal drei Euro.

Im Norden rollen im Gebiet des Hamburger Verkehrsverbundes über 75 unterschiedliche Bedarfsverkehre. Hinzu kommt Moia, eine private Tochter des VW-Konzerns, die Sammel-Ruftaxis anbietet. ­Südlich von Frankfurt am Main versorgen die Fahrzeuge der Kreisverkehrs­gesellschaft Offenbach einige hessische Gemeinden. Ähnliches funktioniert in zahlreichen weiteren Städten und Landkreisen.

93 Angebote bundesweit

In einer Übersicht kam die Beratungsfirma rms Anfang vergangenen Jahres auf 93 Angebote bundesweit. Setzt man diese Zahl ins Verhältnis zu den etwa 280 kommunalen Nahverkehrsgesellschaften, die Mitglieder im Verband Deutscher Verkehrsunternehmen sind, ergibt sich eine bundesweite Abdeckung von etwa einem Drittel.

Mit Rufbussen experimentieren Gemeinden seit 40 Jahren. In der vergangenen Dekade allerdings hat die Technik einen Sprung gemacht. Smartphone-Apps, die Nutzer und Busse lokalisieren, ermöglichen es, die Fahrzeuge zum genau richtigen Zeitpunkt an den gewünschten Ort zu bestellen. Das sei einer der Gründe für die bundesweite Verbreitung der Bedarfsverkehre, sagt Frank Hunsicker von der Beratungsfirma Nuts One in Berlin. Hinzu kam die Reform des Personenbeförderungsgesetzes unter der letzten Regierung Angela Merkels, die unter anderem neue digitalbasierte Mobilitätsdienste ermöglichte.

Risiko Finanzierung

Allerdings stellen sich auch Finanzierungsfragen. Die neuen Angebote erwirtschaften bislang nur etwa 15 bis 20 Prozent ihrer Einnahmen selbst mittels des Ticketverkaufs. Vier Fünftel der notwendigen Mittel stammen aus Zuschüssen unterschiedlicher staatlicher Kassen. Bei den traditionellen Liniendiensten liegt die Kostendeckung dagegen bei durchschnittlich 30 Prozent. Ein Grund dafür ist dort die hohe Auslastung vielbefahrener Strecken.

In dieser Situation machen sich nun die teilweise gestiegenen Energiepreise, die wirtschaftliche Stagnation und die auch dadurch verursachte Knappheit der Staatsfinanzen bemerkbar. Laut der rms-Übersicht ist bei 90 Prozent der Projekte unklar, ob und wie sie mittelfristig fortgeführt werden. Es hängt vom Geld ab. Bei manchen wirkt sich im Übrigen auch ein Mangel an Fahrern und Fahrerinnen aus. Autonomes Fahren könnte da künftig eine Lösung sein, aber in größerem Maßstab praxistauglich ist das noch nicht.

Der Dalli am Scharmützelsee hat glücklicherweise keine Probleme, Leute mit Führerschein zu finden, die die Busse steuern wollen. Und er sei bis Mitte 2026 gesichert, sagt Tim Jurrmann, bis dahin müsse man jedoch alles neu ausgeschrieben haben. Gut sieht es vorläufig auch beim Hofer Landbus aus, wie Andreas Weinrich erklärt – vor allem, weil das Bundesland Bayern den Betrieb für drei bis vier Jahre finanziell abgesichert hat.

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10 Kommentare

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  • In unserem Landkreis wurde Anfang letzten Jahres der Zuschlag abgeschafft und so viele "virtuelle Haltestellen" (Laternenpfähle mit nem QR-Code drauf) eingerichtet, dass selbst in meinem Winzkaff jeder nur ein paar Schritte zum Taxibus braucht. Die Taxibusfahrer lassen einen auch problemlos vor der Haustür raus, wenn man nett fragt. Selbstverständlich gilt das Deutschlandticket und man muss nur seine Fahrt per App, im Browser oder per Telefon bis zu einer halben Stunde vor geplanter Abfahrt buchen. Abgesehen davon, dass die Taxibusse "nur" alle halbe Stunde fahren, ist das Öffi-Angebot damit besser, als in der Kleinstadt, in der ich gewohnt habe bevor ich in die Pampa gezogen bin.

  • Ja, es wird Zeit, etwas gegen den Autowahn zu tun: In Schleswig-Holstein sind inzwischen mehr Fahrzeuge angemeldet als der Staat Einwohner hat. Überall steht das Blech im Weg und selbst in Kleinstädten müssen Menschen, die abends von der Arbeit kommen, lange suchen (oder prekär parken), wenn sie ihre Wohnung erreichen wollen. Und es sind oft die älteren Gewohnheitstäter, die nicht rechnen müssen -ein Auto kostet ja zwischen 300 und 500 € im Monat- und glauben, der öffentliche Raum dient nur zur Aufbewahrung des heiligen Blechs. Viele Jüngere haben die Zeichen der Zeit verstanden oder können sich kein Fahrzeug leisten. Daher ist es so viel wichtiger, die Fortbewegung per Smartphone und Rufbussen in Verbindung mit einem verlässlicheren ÖPNV für alle einfacher zu machen, insbesondere in ländlichen Gebiten. Zusätzlich -und nur da- sollten öffentlich Car-Sharing-Angebote -betrieben in Verbindung mit Strom aus Windkraftanlagen (unterstützt durch Whats-App-Gruppen) eingerichtet werden. Zusätzlich sollten wir viel mehr über die privaten und öffentlichen Kosten (z. B. Instandhaltung von Strassen und Brücken) debattieren, denn gemeinsam wird es günstiger !

  • In der Praxis ergibt sich noch das Anschlussproblem. Ich komme nach Plan mit dem Zug um 18 Uhr am Bahnhof an, der Bus kommt 20 Minuten später, ich rufe ihn rechtzeitig. Der Zug verspätet sich um eine Stunde, ich kann den Bus nicht erreichen und um den nächsten zu rufen ist es in den meisten Gegenden dann auch zu spät. Da würde ich mich als 100% Öffifahrer gar nicht drauf verlassen können. Dann stehe ich da und muss entweder ein Taxi nehmen oder laufen, was bei den meisten Strecken nicht funktionieren dürfte.



    Für Pendler insbesondere ist die Zuverlässigkeit und Planbarkeit wichtig. Lange Wartezeiten machen die Wege unattraktiv oder schlicht zeitlich unmöglich. Von den Haltestellen aus muss man auch noch mit langen Laufwegen rechnen, das geht bei schönem Wetter, aber dafür schafft noch niemand das Auto ab.



    In der Stadt meckern die Leute schon, wenn man ihnen sagt, dass sie 5 Minuten zu einem Parkplatz laufen müssen.

  • Das Problem an Rufbussen, gerade in urbanen Gegenden, ist dass sie zum Teil richtige Buslinien ersetzen. Im angesprochenen Kreis Offenbach werden gerade am Wochenende ganze Buslinien gestrichen. Und das in Gemeinden mit S-Bahn Anschluss und mehreren zehntausend Bewohnern, wie z.B. Dreieich, nur 2 S-Bahnstationen vor Frankfurt. Für Auswärtige ist das ein Problem, da man in der Regel die App des örtlichen Anbieters braucht um eine Fahrt zu buchen. Zudem macht es Angebote wie das Deutschlandticket weniger attraktiv, da Rufbusse nie vollständig im D-Ticket enthalten sind.

  • Das Prinzip Rufbus scheint sehr unterschiedlich umgesetzt zu werden. Bei uns besteht es lediglich darin, dass einige "normale" Busfahrten zu gängigen Zeiten vorab telefonisch angemeldet werden müssen. Der Bus fährt also z.B. um 16.00 Uhr, wenn man vorher angerufen und einen Platz gebucht hat. Hält der Zug aus Wittenberge also zum Beispiel um 14.10 Uhr in Seehausen, muss man trotzdem fast zwei Stunden bis 16.00 Uhr auf den Rufbus warten. Dalli scheint mir da flexibler und praktikabler. Ich bin bei uns vom Rufbus nicht überzeugt und finde es extrem schwer, Touren ohne Auto zu planen. Die Überschrift des Artikels ist daher so eine Sache ... Einige Regionen sind eben schon abgehängt. Dalli, so wie es beschrieben wird, gefällt mir sehr.

  • Mein Vorschlag wurde parteiübergreifend von Berlin bis NRW abgelehnt. Zuletzt von der NRW-Verkehrsministerin:



    Lieber diejenigen Autofahrer einbinden, die privat oder beruflich eh fahren. Dazu ne Freeride-TRAMPER-APP für Stadt und Land von einem großen Software-Haus oder in Zusammenarbeit mit Blabla-Car schreiben lassen und mit folgenden Features:



    + von der Bundesregierung mit CO2-Steuereinnahmen gefördert.



    + Tramper gibt per Handy das Ziel ein und stellt sich an die Straße. -Autofahrer erkennt Tramper auf dem Navi-Bordcomputer, nimmt den Tramper für Teil/strecke mit und bekommt beispielsweise 8/15/30 Ct. pro Lang-(ab 51km), Mittel-(8-50km) oder Kurzstrecken(1-7km) automatisch verrechnet.



    + der Fahrer bekommt pro Mitnahme-km am Monatsende zusätzlich die CO2-Steuer auf PKW und Benzin vom Finanzamt erstattet.



    + Sicherheitsfeatures im Hintergrund prüfen die Identität von Tramper, Fahrer und PKW und haben eine Notruf-Funktion zur Polizei inkl. Standort-Daten!

  • Der Rufbus krank öfter daran, dass die Bestellzeiten unpraktikabel z.B. 8-18 Uhr sind, auch wenn es noch Fahrtangebote um 22 Uhr gibt. Wochenendfahrten müssen oft genug auch schon bis Freitags 18 Uhr bestellt werden. Zusätzlich wird oft angegeben, dass bis zu 2 Stunden vor Abfahrt die Bestellung erfolgen muss, da sind die 30 Min vor Abfahrt rerelrecht luxeriös. So wird aus dem als flexibel ausgwiesenem Angebot eher ein unflexibles.



    Und ja, die Kleinstaaterei der Verkehrsverbünde muss endlich aufhören, wie in anderen Kommentaren hier bereits genannt.

  • Bei Dalli sieht man mal wieder, woran der ÖPNV in Deutschland auf dem Land scheitert: An sinnlosen Kreisgrenzen und der Kleinstaaterei der Verkehrsverbände. Weil ich würde gerne vom nur wenige Kilometer entfernten Prieros nach Storkow fahren. Ja schade, Pech gehabt, weil Prieros ist dann schon im Landkreis Dahme-Spree, deshalb fährt Dalli da nicht hin. Und der Bus, der Prieros anfährt, fährt auch nicht bis zur nächsten Kleinstadt Storkow weiter, sondern endet im Niemandsland in einem Dorf an der Kreisgrenzen. So wird aus dem 15-Minuten Trip mit dem Auto eine 2 Stunden Rundreise über Berlin, dass man nach Storkow kommt.

  • Ser Rufbus ist das Ende der Spontanität. Entgegen seinem Namen kann man den Rufbus nicht einfach schnell rufen. Von daher eher untauglich.

  • "Taxi-Bus" heißt das Angebot in Unna bei Dortmund, dabei unspektakulär auf dem Dach des Pkw auch angebracht wie das übliche Leuchtmittel in schwarz-gelb: eine leuchtende Kennzeichnung, die man gern sieht.



    Dazu bei vku-online.de



    "Der Taxi-Bus fährt nur, wenn jemand mitfahren will. Sie müssen ihn mindestens 30 Minuten vor der Abfahrt bestellen.



    Im Taxi-Bus gilt derselbe Fahr-Preis wie im Linien-Bus. Sie können dieselben Fahr-Karten benutzen. Monats-Karten gelten im Taxi-Bus auch. Und der Schwer-Behinderten-Ausweis."



    Verkehrswende im Kleinen.



    Einziger Wehmutstropfen:



    "Der Taxi-Bus hält an den Bus-Halte-Stellen.", nicht vor der Haustür.