Isolde Charim Knapp überm Boulevard: Der Wahnwitz richtet sich nicht an den Verstand
Kürzlich erschien eine wunderbare Karikatur in der taz. Die Tochter sagt: Nein, Dad, das sind Fake News. Und der Vater ruft entgeistert: Wie kann es Fake sein, wenn es genau das sagt, was ich denke? Das bringt den Trumpismus auf den Punkt.
Erinnern wir uns an den jüngsten US-Wahlkampf. Dabei galt offensichtlich: Man kann mittlerweile einfach alles sagen. Alles nicht im Sinne von ohne Tabus, sondern im Sinn von einfach irgendetwas. Wie absurd auch immer. So konnten die Republikaner etwa behaupten, der Sturm über Florida sei Folge einer „Hurrikan-Maschine“ der Demokraten gewesen. Letztere hätten den Hurrikan damit absichtlich in republikanische Staaten geschickt. Seit Trumps erstem Wahlkampf 2016 wird solches als „alternative Fakten“ bezeichnet. Nicht nur Trumpisten, sondern auch deren Gegner zitieren das Wort als sei es eine Erklärung. Aber als Erklärung reicht es nicht aus.
Denn es ist zu wenig, um zu verstehen, was da passiert. Welche Pervertierung da stattfindet: von Vernunft, von Wahrheit, von Öffentlichkeit, von rationalem Diskurs. Eine Pervertierung von allem, worauf Demokratie basiert. Oder zumindest basieren sollte. (Und wieder findet man sich in der Zwickmühle, den Status quo, der doch alles andere als rosig ist, verteidigen zu müssen.)
Die entscheidende Frage bei solchen „alternativen Fakten“ ist aber: Warum glauben Menschen das, offensichtlich viele, offenbar eine beängstigende Menge an Menschen – zumindest in den USA? Warum kann man ihnen einfach irgendetwas, irgendeinen völligen Nonsens erzählen und kommt damit durch?
Eines scheint klar: Die wahnwitzigen Behauptungen richten sich nicht an den Verstand und schon gar nicht an die Vernunft. Die „alternativen Fakten“ sollen gar nicht begriffen werden – an sie soll nur geglaubt werden. Unter Opferung des Intellekts, unter dem bewussten Verzicht auf das eigene Denken. Sacrificium intellectus hieß das in Bezug auf die Religion, wo dieses Opfer Voraussetzung der Hingabe, des Glaubens war. Die Vorstellung „alternativer Fakten“ muss also ins Register des Religiösen eingereiht werden. Allerdings handelt es sich dabei um eine Schwundstufe des Religiösen, um einen Restbestand christlicher Theologie. Von dieser gilt dabei nur noch ein Topos: Man glaubt, weil es der Vernunft zuwiderläuft. Credo, quia absurdum est. Ich glaube, eben weil es absurd, weil es ungereimt, ohne Sinn, weil es Unfug ist. Es gilt geradezu: Je absurder, desto mehr glaube ich es. In der Trump’schen Version haben solche wahnwitzigen Behauptungen nur eine Funktion: Sie sollen die eigenen Vorurteile bekräftigen. Eben deshalb sind sie nicht aufklärbar. Wie in der besagten Karikatur: Wie kann es Fake sein, wenn es genau das sagt, was ich denke? Darum geht es: Man glaubt es, weil man sich darin spiegelt.
Dazu braucht es aber auch einen entsprechenden Spiegel – sprich eine Person, die als solcher dient. Wie stark das an der Person hängt, zeigt sich am zweiten ebenso erstaunlichen Phänomen, das gerade Donald Trump zur Perfektion gebracht hat: die Behauptung, alle Probleme lösen zu können. Damit hat er seinen ganzen Wahlkampf erfolgreich bestritten. Wenn er Präsident sei, werde er den Nahostkonflikt in drei Tagen lösen. Wenn er an der Macht sei, werde er den Ukrainekrieg sofort beenden. Ja mehr noch: Wenn er an der Macht gewesen wäre, dann wäre es zu dem fatalen Überfall der Hamas am 7. Oktober gar nicht erst gekommen.
Völlig haltlose Behauptungen, die ihre Überzeugungskraft sicherlich nicht ihrem Inhalt verdanken. Wenn Trump solches behaupten kann und die Leute ihm dabei einfach folgen, dann muss das an seiner Person, an seiner Position liegen. Trump konnte seine haarsträubenden Wahlkampf-Behauptungen natürlich nicht untermauern. Spätestens jetzt, wo er tatsächlich Präsident ist, wird sich deren Haltlosigkeit erweisen. Denn es reicht nicht, einfach nur zu behaupten, man sei der Drachentöter. Aber eines hat er schon geschafft: Für seine Fans hat er den Status eines wahnwitzigen „Priesters“ erobert. Noch vor jedem Faktencheck.
Die Autorin ist Publizistin in Wien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen