debatte: Wer soll das bezahlen?
Deutschland muss sich fit machen, um Trump und die geopolitischen Veränderungen verkraften zu können. Das kostet Geld. Viel Geld
Donald Trump erringt einen Erdrutschsieg. Am selben Tag zerbricht in Berlin die Ampel. Hinter beidem steht ein Zusammenprall von Weltbildern.
Es ist kein Zufall, dass die Ampel am Streit über Bundesfinanzminister Christian Lindners wirtschaftsliberale Positionen zerbrach. Im Kern geht es um die Frage, wie Deutschland in einem veränderten geopolitischen Umfeld bestehen kann. Die Lösungsansätze könnten kaum unterschiedlicher sein: Lindner setzt auf neoliberale Klassiker wie Steuererleichterungen, Entbürokratisierung und Schuldenbremse. Scholz hingegen verfolgt, was der Wirtschaftswissenschaftler Tom Krebs als „ökonomischen Realismus“ bezeichnet – das Eingeständnis, dass marktliberale Rezepte in einer Welt, die vom geoökonomischen Wettbewerb erschüttert wird, nicht mehr funktionieren können.
Nach der russischen Invasion in die Ukraine haben sich Europa und Russland wirtschaftlich voneinander entkoppelt. Eine vollständige Entkopplung der westlichen Welt von China ist wegen der hohen Verflechtung nicht möglich. Dennoch setzt die Regierung unter Joe Biden auf Exportkontrollen, Investitionsbeschränkungen und subventionsgetriebene Industriepolitik, während China mit eigenen Subventionen und staatlicher Kontrolle technologische Dominanz anstrebt. Die Überkapazitäten, die China zu Dumpingpreisen exportiert, zwingen weltweit Industrien in die Knie. Dieser scharfe geopolitische Wettbewerb erhöht den Druck auf Verbündete und Partner, Investitionsentscheidungen aus geopolitischer Perspektive zu treffen. Am Ende könnten konkurrierende Wirtschaftsblöcke entstehen. Die Globalisierung hat ihren Höhepunkt überschritten.
In diesem Umfeld übernimmt Donald Trump das Ruder im Weißen Haus. Er wird den wirtschaftlichen Wettbewerb mit harten Bandagen führen – mit China ebenso wie mit vermeintlichen „Trittbrettfahrern“ wie Deutschland oder Japan. Die Europäer erhielten bereits mit dem Inflation Reduction Act einen Vorgeschmack darauf. Teile der deutschen Industrie werden ums Überleben kämpfen müssen.
Sicherheitspolitisch bedeutet „America First“, dass Trump die USA aus kostspieligen Konflikten zurückzieht. Europa wird folglich die Hauptlast für die Unterstützung der Ukraine, die Sicherheit des Kontinents und die Stabilität der Nachbarschaft alleine tragen müssen. Für Europa und insbesondere für Deutschland gilt es, die konventionelle Abschreckungsfähigkeit wiederherzustellen und die Verteidigungsausgaben deutlich zu erhöhen – möglicherweise über die Nato-Zielmarke von 2 Prozent des BIP hinaus. Gleichzeitig erfordert die Stärkung des Industriestandorts Deutschland umfangreiche Investitionen in Infrastruktur, Energieversorgung und Klimaschutz. Innerhalb der Schuldenbremse ist das kaum umsetzbar – sie wird fallen müssen. Wer sich aus parteitaktischen Gründen dagegenstellt, wird übergangen.
Marc Saxer ist der Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung für Regionale Zusammenarbeit in Asien. Zuvor leitete er das Asien-und-Pazifik-Referat der Stiftung sowie die FES-Büros in Indien und Thailand. 2021 erschien sein Buch „Transformativer Realismus. Zur Überwindung der Systemkrise“.
Der Streit über die Schuldenbremse zeigt bereits die kommenden Verteilungskämpfe: Wer soll die Kosten tragen? Das untere Drittel der Transferempfänger – das wäre das Ende des Sozialstaats. Das mittlere Drittel der Arbeitnehmer durch Steuererhöhungen? Das wäre unvereinbar mit dem geltenden Gesellschaftsvertrag. Oder das obere Drittel der Kapitalbesitzer durch Vermögens- und Erbschaftssteuern? Das wäre das Ende des Neoliberalismus in Deutschland.
Die Ampel wurde vor der „Zeitenwende“ ins Amt gewählt. Seitdem sind die Illusionen in Energie-, Fiskal-, Wirtschafts-, Verteidigungs- und Migrationspolitik zerplatzt. Das Land muss sich fit machen für eine bedrohliche Welt, in der das amerikanische Sicherheitsversprechen nicht mehr unbegrenzt gilt, in der die globalen Erfolgsbedingungen für das Wirtschaftsmodell wegbrechen, in der die Gesellschaft von heftigen Verteilungs- und Kulturkämpfen zerrissen wird. Schon beginnen die Verteilungskämpfe darum, welche Klientel die Kosten des Umbaus zu tragen hat. Die zerstrittene Ampel hat nicht mehr die Kraft, die erforderlichen Weichenstellungen umzusetzen. Neuwahlen sind der richtige Weg.
Zur Debatte stehen komplett unterschiedliche Wirtschaftsmodelle, die sich nicht nur aus unvereinbaren ideologischen Quellen speisen, sondern auch aus einer grundsätzlich anderen Lesart des geopolitischen Umfeldes begründen. Neben dem „ökonomischen Realismus“ von Scholz und Habeck und den neoliberalen Konzepten der FDP sowie der „Blackrock-Merz“-CDU formiert sich unter dem Banner des Trumpismus eine neue Rechte. Diese betrachtet die Welt als Nullsummenspiel, in dem bedrängte Völker ums Überleben kämpfen. Gegen diese Mischung aus Nativismus, Populismus und Isolationismus findet die demokratische Mitte seit Jahren kein wirksames Mittel.
Um der populistischen Herausforderung entgegenzutreten, ist es wichtig, dass den Wählern klar gesagt wird, welche Herausforderungen nun anstehen und was das für sie bedeuten wird. Denn die große Mehrheit der Bevölkerung hat längst verstanden, dass die Dinge nicht mehr so weitergehen können wie bisher – und sich ihre Lage wahrscheinlich verschlechtern wird. Sie misstrauen Politik und Medien, weil sie das Gefühl haben, dass ihnen kein reiner Wein über das Ausmaß der Probleme eingeschenkt wird. Und sie haben die Befürchtung, dass sie am Ende wieder einmal die Dummen sein werden, die die Kosten zu tragen haben. Das ist die Grundstimmung, auf der die Populisten mobilisieren.
Was es braucht, ist eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede. Die ohne jede Beschönigung benennt, wie groß die Herausforderungen wirklich sind, und tragfähige Lösungen benennt, auch wenn sie schmerzen. Aber die Deutschen auch daran erinnert, dass sie auch größere Herausforderungen gemeistert haben und die Kraft haben, ihr Land wetterfest zu machen für die Stürme, die da kommen.
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