Migration in die EU: Von der Leyen will Abschiebezentren außerhalb der EU
Vor dem EU-Gipfel scheint in der Migrationspolitik alles möglich. Meloni und ihre Lager sind eine Vorlage für eine härtere Abschiebepolitik.
Aufnahmelager außerhalb der EU, mehr und schnellere Rückführungen, neue Deals mit autokratisch regierten Herkunftsländern und sogar Abschiebungen nach Syrien: Plötzlich scheint alles möglich. Europas Spitzenpolitiker machen sich Ideen und Forderungen zu eigen, die bisher nur bei Rechtspopulisten und EU-Gegnern en vogue waren.
Dabei ist die Migration nur eines von vielen Gipfelthemen. Obenan steht erneut der Krieg in der Ukraine. Gipfelchef Charles Michel hat Präsident Wolodymyr Selenskyj nach Brüssel geladen, der seinen „Siegesplan“ vorstellen soll. Die 27 Staats- und Regierungschefs der EU wollen auch über die Eskalation im Nahen Osten und über die europäische Wettbewerbsfähigkeit sprechen.
Doch nichts wird derzeit so heiß diskutiert wie die Flüchtlingspolitik. Das liegt nicht nur an Deutschland, das Kontrollen an allen Landesgrenzen eingeführt hat und damit kräftig am Schengen-System der Reisefreiheit rüttelt. Es liegt auch an Ungarn, den Niederlanden und Polen, die das Asylrecht aussetzen wollen – und an Italien, das gerade ein Lager in Albanien eröffnet hat.
Deal mit Albanien
Die rechtslastige Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hatte bereits 2023 einen Deal mit Albanien ausgehandelt. Demnach soll die Bearbeitung von Asylanträgen künftig in Albanien erledigt werden. Die Zentren werden nach italienischem Recht und mit italienischem Personal betrieben.
Das erste Lager liegt auf einem ehemaligen Militärstützpunkt im rund 20 Kilometer vom Hafen Shengjin entfernten Ort Gjader. Am Mittwoch kamen die ersten Migranten – 16 Männer aus Bangladesch und Ägypten – in Shengjin an. Ein fragwürdiges Experiment.
Menschenrechtler sprechen von einem „italienischen Guantánamo“. Juristen verweisen auf Urteile des Europäischen Gerichtshofs, die Asylverfahren außerhalb der EU eigentlich nicht zulassen. Doch nun könnte das umstrittene „Modell“ Schule machen. Italien und Ungarn haben vorgeschlagen, es auf die gesamte EU auszuweiten und weitere „Return-Hubs“ zu bauen, zum Beispiel in Afrika.
Beim letzten Treffen der EU-Innenminister nahm die Debatte Fahrt auf. Bundesinnenminister Nancy Faeser (SPD) hatte zwar Vorbehalte, doch sie sagte nicht Nein. Für solche Pläne werde ein Partnerstaat benötigt, sagt Faeser. Das halte sie für den „schwierigsten Punkt“. Man solle sich daher auf strengere Abschieberegeln konzentrieren.
Schnellere Abschiebungen
Nun hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) geliefert. Sie kündigte einen Gesetzentwurf zur schnelleren Abschiebung von Migranten an. Von der Leyen sprach sich außerdem für Abschiebezentren außerhalb der EU „als möglichen Weg vorwärts“ aus. Als Beispiel nannte sie ausdrücklich das neue Lager in Albanien.
Es gehe darum, „mögliche Wege für die Entwicklung von Rückführungszentren außerhalb der EU zu erkunden“, schrieb von der Leyen in einem Brief an die EU-Staaten. Faeser begrüßte den heiklen Vorstoß aus Brüssel. Doch sie will sich damit offenbar nicht zufriedengeben: Die Bundesregierung macht weiter Druck.
Neben der „externen Dimension“ müsse auch die interne Umsetzung der EU-Regeln verbessert werden, heißt es in Berlin. Beim EU-Gipfel will Bundeskanzler Olaf Scholz deshalb auf die Umsetzung der Dublin-Verordnung pochen. Das Ziel: Die nach „Dublin“ zuständigen Ankunftsländer sollen künftig mehr Asylverfahren durchführen und auch verstärkt Asylbewerber aus Deutschland zurücknehmen.
Gemeint sind vor allem Griechenland und Italien – doch diese Länder sträuben sich. Auf dem Gipfeltreffen könnte es deshalb Ärger geben. Streit droht auch über die Frage, ob abgelehnte Asylbewerber künftig wieder nach Syrien deportiert werden dürfen. Bisher galt dies wegen des Bürgerkriegs als undenkbar. Doch seit Deutschland begonnen hat, unerwünschte Migranten nach Afghanistan abzuschieben, ist auch Syrien wieder ein Thema.
Abkommen mit Tunesien
Diktator Baschar al-Assad wirkt plötzlich irgendwie sympathisch – genau wie Tunesiens autokratischer Präsident Kais Saied. Mit ihm hatten von der Leyen und Meloni schon 2023 ein Migrationsabkommen abgeschlossen. Dass in Tunesien Menschenrechte verletzt und Flüchtlinge in die Wüste geschickt werden, konnte den Deal nicht verhindern – im Gegenteil: Ihm sollen noch weitere Drittstaatenabkommen folgen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“