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Polen will Asylrecht aussetzenSymptomatisch und nicht überraschend

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Polens Regierungschef Tusk plant, das Asylrecht zeitweilig auszusetzen. Damit reiht er sich ein in die Riege derer, die das schon lange wollen.

Für viele überraschend: Polens Regierungschef Tusk plant, das Asylrecht zeitweilig auszusetzen Foto: Marcin Obara/dpa

A usgerechnet der? Der liberale, proeuropäische Donald Tusk? Ungläubig reagierten viele auf die jüngste Ankündigung der polnischen Regierung, das Asylrecht „vorübergehend“ auszusetzen. Dabei hatten Aktivist:innen, die die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze beobachten, schon länger Ernüchterndes berichtet: Auch nach der Abwahl der PiS änderte sich im Umgang mit den Menschenrechten in Polen für Ankommende nichts. Und es war Regierungschef Tusk, der direkt nach der Beschlussfassung zum neuen EU-Asylsystem Geas Ende 2023 ankündigte, sich an die Geas-Passagen, die ihm nicht passten, nicht zu halten.

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Bekanntermaßen ist Polen hinsichtlich der ankommenden Geflüchteten – Ukrai­ne­r:in­nen ausgenommen – in einer vergleichsweise passablen Lage. Die Zahlen sind seit jeher im EU-Vergleich äußerst niedrig. Daran hat auch die Schleusungs-Offensive von Putin und Lukaschenko über Belarus ab Herbst 2021 nichts geändert.

Tusks Schritt ist ein symptomatisches Verhalten für die Parteien der Mitte in diesen Tagen: Der Wunsch nach Asyl-Verschärfungen findet kein Ende, auch wenn die Zahlen stark sinken – wie hierzulande – oder schon sehr niedrig sind, wie in Polen. Nur folgerichtig war da, dass auch die Union sogleich größtes Verständnis für Tusks Pläne äußerte. Besonders absurd ist dabei, dass Polens Maßnahme sich gegen „instrumentalisierte“ Flüchtende richtet, die über Belarus ankommen. Für solche Fälle sieht das 2023 beschlossene Asylsystem Geas eigene Sonderklauseln vor. Doch die reichen heute auch den Scharfmachern nicht mehr, die sie einst selbst reinverhandelt haben, sie setzen das Asylrecht lieber gleich komplett aus.

Auf die EU-Kommission, die solche offenkundigen Verstöße gegen EU-Normen eigentlich unterbinden müsste, braucht niemand zu hoffen. Wenn es um Migration und Asyl geht, hat sie in der Vergangenheit – von wenigen Ausnahmen abgesehen – de facto alles toleriert, was den Mitgliedstaaten eingefallen ist, um sich Flüchtlinge rechtswidrig vom Hals zu halten.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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1 Kommentar

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  • Das sind die Auswirkungen einer restriktiven Asylpolitik der einzelnen Nationalstaaten. Seit den deutschen Grenzkontrollen ist die Zahl der Asylanträge in Polen erheblich gestiegen. Dieses war abzusehen, ebenso wie die Reaktion der Polen jetzt.

    Auf zwei wichtige Punkte geht der Autor leider nicht ein. Zum einen will Polen keine internationalen Abkommen wie die Flüchtlingskonvention aufkündigen, sondern das Asylrecht temporär und stationär aufheben, sofern die Sicherheit bzw Ordnung des Staates bedroht ist. Diese Regelung gibt es auch im deutschen Recht und deren Anwendung wurde erst jüngst von Friedrich Merz gefordert.

    Zum anderen blendet der Artikel aus, dass Polens Konzept hinsichtlich der Integration erheblich progressiver ausgestaltet ist als das unsere.

    Landesweit wurden in kürzester Zeit fast 50 Integrationszenter errichtet, die Integrationskurse für Migranten, ohne Wartelisten, durchführen. Zusätzlich gab es eine Anhebung der monatlichen Sätze etc. Das polnische Konzept ist auf schnelle Eingliederung in den Arbeitsmarkt ausgerichtet und dafür bedarf es einer Steuerung der Anzahl. Ansonsten.. siehe Deutschland.