piwik no script img

Ein Brandsatz zu viel

Außenministerin Annalena Baerbock will die iranischen Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste setzen. So entschieden war das Auswärtige Amt nicht immer. Ausschlaggebend für die Zeitenwende gegenüber der Islamischen Republik war ein geplanter Anschlag auf die Bochumer Synagoge – im Auftrag Teherans

Revolutionsgardisten marschieren im September 2023 durch Teheran Foto: Abedin Taherkenareh/epa

Von Jean-Philipp Baeck

Vermutlich ahnte Babak J. nicht, dass er mit seiner stümperhaften Tat die Weltpolitik verändern würde. Dass sein Brandsatz, der nur ein paar Rußflecken an einer Ruine hinterließ, letztlich für einen Kurswechsel in den Beziehungen der gesamten EU zu Iran sorgen und dies unfreiwillig ein weiterer Schritt hin zu einem Ende des Mullah-Regimes sein könnte.

Es ist Donnerstag, der 17. November 2022, eine kühle Herbstnacht, als Babak J. um 22.49 Uhr sein Auto in der Nähe der Bochumer Synagoge parkt. Im Kofferraum hat er eine Flasche mit einem halben Liter Benzin, ein Geschirrtuch als Lunte und Haushaltshandschuhe. Der Deutsch-Iraner war vorher schon ein paar Stunden lang herumgekurvt, um seine Spuren zu verwischen. Nun macht er Ernst.

Eigentlich sollte er den Molotowcocktail auf die Synagoge werfen, doch die ist gut gesichert, mit einem hohen Metallzaun, Lichtmasten und Überwachungskameras. J. traut sich nicht an das Gebäude heran, aber umdrehen will er auch nicht. Seinem Freund Ramin Yektaparast hat er versprochen, es durchzuziehen. Statt der Synagoge wählt er also ein angrenzendes Gebäude aus, eine alte Schule, die bald abgerissen werden soll. Gegen 23 Uhr wirft er die Flasche mit dem brennenden Geschirrtuch über den Bauzaun und verschwindet.

Babak J. wird noch in derselben Nacht festgenommen. Ein Freund, den er zuvor als Komplizen gewinnen wollte, ging zur Polizei. Monate später rekonstruieren die Richter des Oberlandesgerichts Düsseldorf den Ablauf der Tat.

Als sie Babak J. am 19. Dezember 2023 zu zwei Jahren und neun Monaten Haft bestrafen, enthält ihr Urteil einen Satz, der politisch für ein Nachbeben sorgen wird: „Der Angeklagte verabredete im November 2022 mit einem im Interesse staatlicher Stellen der Islamischen Republik Iran handelnden Auftraggeber einen Brandanschlag auf die Synagoge.“

Die Richter führen nicht aus, welche „staatliche Stelle“ in Iran genau gemeint ist. Aber allen Beteiligten ist klar, dass es sich um die islamischen Revolutionsgarden handelt. Genauer: Um die Quds-Einheiten der Revolutionsgarden, die für Auslandsoperationen berüchtigt sind.

Die taz hat mit dem Spiegel, dem ZDF sowie JournalistInnen von Teheran Bureau zu dem Fall und den Revolutionsgarden recherchiert. Dass die Revolutionsgarden hinter dem Anschlag stecken, sagen Zeugnisse des Bundesamts für Verfassungsschutz, die vertraulich sind.

Aber die Erkenntnisse wurden auch öffentlich aktenkundig: In zwei Beschlüssen zu Ermittlungsverfahren zur Gruppe um Ramin Yektaparast, den Freund und Auftraggeber von Babak J., erklären Richter des Bundesgerichtshofes, dass dieser mit den Quds-Einheiten zusammenarbeitete. Wortgleich heißt es in den BGH-Beschlüssen aus Mai und Juni 2023: „Innerhalb der Gruppierung („Operativteam“) nahm Y. in Zusammenarbeit mit einer staatlichen Stelle im Iran, den Quds-Kräften der Revolutionsgarde, eine koordinierende Funktion ein.“

Babak J. war demnach nicht allein und sein Brandsatz nicht die einzige Tat. In derselben Nacht gab es Schüsse auf das frühere Rabbinerhaus an der Alten Synagoge in Essen. Auch hierzu soll Ramin Yektaparast aus Iran den Auftrag erteilt haben. Der Anwalt von Babak J. wollte sich nicht zu den Vorgängen äußern.

Die Taten von Babak J. und der Gruppe um Wortführer Yektaparast – es waren nicht die ersten vollendeten oder verhinderten Anschläge der iranischen Revolutionsgarden in Deutschland und Europa.

Schüsse auf ein früheres Rabbinerhaus in Essen und ein geplanter Anschlag auf eine Synagoge in Bochum, in Auftrag gegeben durch die Revolutionsgarden des Iran? Damit ist nun offenkundig eine rote Linie überschritten. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es dazu: „Wir dulden keine ausländisch gesteuerte Gewalt in Deutschland. Ein Anschlag auf jüdisches Leben in Deutschland ist völlig inakzeptabel und muss Konsequenzen haben.“

Eine Konsequenz: Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) setzt sich offenbar seit Wochen dafür ein, dass die Revolutionsgarden des Iran auf die EU-Terrorliste aufgenommen werden. Dafür bräuchte es ein einstimmiges Votum der EU-Außenminister. Noch sind Verhandlungen nötig, doch in Brüssel scheinen sich die Befürworter durchzusetzen. Insider erwarten, dass vor allem die Amtsübernahme der designierten EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas den Unterschied machen wird.

In der Folge des OLG-Urteils hatte die Bundesrepublik nicht nur den Geschäftsträger der iranischen Botschaft einbestellt, sondern laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung auch ein neuerliches Rechtsgutachten beim Juristischen Dienst des Europäischen Rates beauftragt. Demnach halten die Experten das Urteil gegen Babak J. juristisch für geeignet, um als Grundlage für eine Terrorlistung zu dienen.

Es ist bereits das zweite Rechtsgutachten, das das Außenministerium in Sachen Terrorlistung der Revolutionsgarden in Auftrag gegeben hat. Um das erste gab es politischen Streit: Vor allem der CDU-Abgeordnete Norbert Röttgen hatte sich für eine Listung ausgesprochen, immer wieder hatten sich dagegen das Auswärtige Amt und Baerbock persönlich auf das erste Gutachten berufen und erklärt, eine Listung sei demnach zu jenem Zeitpunkt rechtlich ausgeschlossen. taz-Recherchen hatten später offenbart, dass das aus dem Rechtsgutachten so nicht hervorgeht: Darin wurden die Grundlagen für eine Listung erklärt sowie ausschließlich zwei Fälle aus den USA bewertet. Diese kamen demnach als Grundlage für eine Listung nicht in Frage. Anderen Fälle wurden aber gar nicht bewertet.

„Das könnte das Ende des Regimes einleiten“

Ali Fathollah-Nejad, Politikwissenschaftler

Längst nicht alle Diplomaten in Deutschland und anderen EU-Staaten befürworten die Terrorlistung. Es könne die Verhandlungen um inhaftierte Deutsche in Iran erheblich erschweren, heißt es, und diplomatische Kanäle vollends kappen. Auch bestehe kein Mehrwert gegenüber bereits erlassenen Sanktionen: Seit März 2012 sind die Revolutionsgarden als Organisation und einzelne ihrer Mitglieder wegen Menschenrechtsverletzungen und wegen des iranischen Nuklearprogramms in der EU sanktioniert.

Eine Terrorlistung der Revolutionsgarden, eines staatlichen Akteurs, wäre vor allem politisch weitreichend. „Seit Jahren hat die iranische Machtspitze vor solch einem Schritt große Befürchtungen“, erklärt der Politikwissenschaftler Ali Fathollah-Nejad. Zwei Drittel der iranischen Wirtschaft sind mit den Revolutionsgarden verbunden. Ein mögliches Wiederaufkeimen der Wirtschaftsbeziehungen mit Europa würde damit versperrt.

Fathollah-Nejad sieht in einer möglichen Terrorlistung eine Kurswende des Westens gegenüber der Islamischen Republik. Einerseits wäre es ein Signal in Richtung der demokratischen Opposition, die die EU-Politik bislang als „Quasi-Appeasement-Politik“ wahrnehme. Andererseits sei es ein Signal an den Macht- und Sicherheitsapparat. „Das könnte den Weg zum Ende des Regimes einleiten.“

Experten wie Matthew Levitt halten es seit Jahren für wichtig, die Revolutionsgarden auf die EU-Terrorlistung aufzunehmen. Levitt war Anti-Terror-Analyst beim FBI und leitet heute das Programm für Terrorismusbekämpfung am Washington Institute for Near East Policy. „Im Moment schauen die Iraner auf Europa, auf Deutschland, und denken: ‚Die stufen uns nicht einmal ein.‘ Es gibt ihnen das Gefühl, dass es ein einladender Ort ist, um zu operieren“, sagt er.

Doch wie passt bei all den möglichen Folgen ein stümperhafter Brandsatz von Babak J. ins Bild? Auch Matthew Levitt hat darauf keine abschließende Antwort. „Der Iran ist nicht Al-Qaida oder ISIS. Er wird nicht jedes Mal zuschlagen, wenn er kann, nur weil er kann. Es gibt immer ein strategisches Kalkül“, sagt er. Im Fall der Synagoge in Bochum sei auch der Tatzeitpunkt zu beachten: mitten in der Nacht wäre die Zahl der Opfer gering gewesen. Womöglich ging es um eine Botschaft ohne größeres Risiko.

Im November 2022 sollte auf die Synagoge in Bochum ein Anschlag verübt werden – eine missglückte Tat mit weltpolitischen Folgen Foto: Bernd Thissen/dpa/picture alliance

Vielleicht sei die Aktion auch ein Test für Babak J., aber wohl noch mehr für Ramin Yektaparast gewesen. Um zu sehen, ob dessen Truppe liefern könne. Yektaparast war früher Chef der Hells Angels in Mönchengladbach und wurde später wegen Mordes gesucht. Um der Verhaftung zu entgehen, floh der Deutsch-Iraner nach Teheran. Dort wurde er mit seinen kriminellen Kontakten in Deutschland wohl für die Revolutionsgarden interessant.

Anti-Terror-Experten beobachten, dass der Iran, ebenso wie China und Russland, für Aufträge zunehmend auf Handlanger aus dem kriminellen Milieu setzt. Sie würden bei Reisen in den Iran abgefangen, dort unter Druck gesetzt und rekrutiert. So war es auch bei Babak J. Als er in den Iran reiste, traf er seinen Freund Yektaparast, der ihn dort mit seinem Luxusleben beeindruckte. Bei deren letztem Treffen im Sommer 2022 erklärte ihm Yektaparast, dass er von ihm bei seiner Rückkehr nach Deutschland einen Gefallen einfordern würde.

Dass auch Yektaparast unter Druck stand und ihm Auftraggeber im Nacken saßen, ergibt sich aus Textnachrichten, die im Prozess in Düsseldorf ausgewertet wurden. Am Tag der Tat versuchte er mehrfach, Babak J. zu erreichen. „Bruder alles ok?“, schrieb er ihm, „Bruder, bitte ruf mich an“. Wenige Minuten vor Babak J.s Tat schrieb Yektaparast: „Bruder, falls du es nicht willst, sag mir Bescheid, damit ich hier nicht blamiert werde.“

Für die Terrorabwehr bleiben Täter aus dem kriminellen Milieu eine Herausforderung. Von Yektaparast indes geht keine Gefahr mehr aus. Er wurde im April von Unbekannten in Teheran erschossen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen