piwik no script img

Illustration: Linda Wölfel

Späte Scheidungen„Hass-Ehen gibt es nicht mehr so häufig“

Immer mehr Paare lassen sich in höherem Alter scheiden. Anwältin Regine Maltry spricht über die Gründe dafür – und glücklich Geschiedene berichten.

F rau Maltry, was ist der Hauptgrund, warum sich Menschen mit 50, 60 oder in noch höherem Alter nach langer Ehe trennen?

Renate Maltry: Der Hauptgrund bei einer späten Scheidung ist, dass sich die Paare auseinandergelebt haben. Sie merken, dass sie sich nichts mehr zu sagen haben, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Früher hat man das ertragen, dann noch so nebeneinanderher zu leben. Da hat man gesagt: Naja, die fünf, die zehn Jahre halte ich noch durch. Aber heute ist das anders, auch wegen der hohen Lebenserwartung. Da fragen sich die Leute: Will ich so noch zwanzig Jahre oder dreißig Jahre leben? Nein! Jetzt bin ich mal dran.

taz: Wer profitiert eigentlich mehr von dieser Individualisierung? Sind es eher Männer, nach dem Motto: Ich such’ mir eine Jüngere und dann wird das Leben wieder aufregend?

Maltry: Ich glaube, dass die Frauen mehr profitieren. Die sind in den späteren Jahren abgesichert durch den Versorgungsausgleich, die Rentenanwartschaften werden bei einer Scheidung geteilt. Die meisten Frauen haben gearbeitet, reine Hausfrauenehen sind selten geworden. Manche der Frauen haben auch im Alter von 60 Jahren bereits geerbt, das schafft etwas mehr Unabhängigkeit. Die Situation ist anders bei jüngeren Ehepaaren, wenn noch Kinder im Haus sind. Dann sind die Eltern überfordert, vernachlässigen die Beziehung, dann kommt der Seitensprung und dann knallt es. Da herrscht mehr Verbitterung. In einer langjährigen Ehe ist die Entfremdung eher ein schleichender Prozess, und dann wollen die Frauen lieber noch einen eigenen Weg gehen und eine Zukunft haben.

Renate Maltry

Renate Maltry, 71, ist Fachanwältin für Familien- und Erbrecht in München. 2024 erschien ihr Buch „Doch noch scheiden oder weiter leiden?“ über späte Trennungen (Rowohlt Verlag).

taz: In einer Ihrer Fallgeschichten geht der Mann – Sie nennen ihn Xaver – in Rente, er will seine Ruhe und in eine Seniorenresidenz ziehen. Seine Frau Margot ist darüber entsetzt, sie will reisen. Sind unterschiedliche Interessen ein Problem?

Maltry: Man kann bei unterschiedlichen Interessen trotzdem auf die Bedürfnisse des andern eingehen und dann zum Beispiel mal mitreisen. In dem Fall aber hatte Xaver sich und seine Frau sogar schon in der Seniorenresidenz angemeldet. Er wollte auch deshalb in die Seniorenresidenz ziehen, weil er dann viele Damen um sich herum hatte und deren Aufmerksamkeit genoss. Margot aber sagte, nein, also in Konkurrenz mit diesen vielen Damen mit ihren Perlenketten will ich nicht treten. Sie trennte sich, kaufte sich ein Wohnmobil und zog los. Später rief sie mich auf Reisen an und sagte, es gehe ihr sehr gut.

taz: Verändern sich denn vor allem die Männer, wenn sie in Rente gehen und erschöpft vom langen Berufsleben sind?

Maltry: Einige kennen vielleicht noch die Komödie „Pappa ante Portas“ von Loriot, als der Mann in Rente ist und zuhause alte Zeitungen sammelt und chronologisch auf dem Fußboden auslegt. Aber manche Männer suchen sich nach der Berentung oder Pensionierung auch noch eine sinnvolle Tätigkeit, die vermissen die Anerkennung im Beruf. Wieder andere erhoffen sich diese Anerkennung dann aber von einer neuen Beziehung.

taz: In Ihrem Fallbeispiel von Ulrike und Jürgen trennt sie sich nach langer Ehe, als sie feststellt, dass ihr Mann schon länger eine Freundin hat. Das kommt einem wie ein Klassiker vor …

Maltry: In dem Fall begann Ulrike dann noch eine Karriere als Bildhauerin und war damit sogar sehr erfolgreich. Sie fand einen neuen gleichaltrigen Mann und sagte mir später, sie hätte mit über 60 den besten Sex ihres Lebens gehabt, die Trennung sei die richtige Entscheidung gewesen. Ihr neuer Freund wiederum pflegte seine alzheimerkranke langjährige Ehefrau und kümmerte sich auch weiter um sie, was Ulrike respektierte. Die Fälle sind sehr vielschichtig.

taz: Spielt Sex denn in späteren Jahren noch eine große Rolle? Oder erst recht? Im Fall von Heidi und Werner trennt er sich nach 46 Jahren Ehe und schwärmt ihr von seiner neuen sexuellen Beziehung mit der Campingnachbarin vor.

Maltry: Die Bedürfnisse sind unterschiedlich, auch bei den Frauen. Ich kenne Frauen, die sagen, Sex ist nicht mehr so wichtig, aber ich kenne auch Frauen, die sagen, ich finde es toll, ich will auch Sex im hohen Alter haben. Nähe und Vertrauen spielen eine große Rolle. Die Kommunikation, der Austausch, sind aber am Wichtigsten. Kann ich mit dem Partner oder der Partnerin über mich, meine Gedanken, meine Wünsche, meine Sicht auf die Welt reden? Wenn ich das mit meinem langjährigen Partner oder meiner Partnerin gar nicht mehr kann und das mit einem neuen Menschen erfahre, dann fühle ich mich wieder lebendig, dann kommt der Seitensprung.

taz: Aus Ihren Fallgeschichten geht hervor, dass eine gewisse Lieblosigkeit, die sich in Ehen einschleicht, eine große Gefahr darstellt.

Maltry: Das höre ich sehr oft, dass in langjährigen Ehen am Partner herumgekrittelt wird. Das kann sowohl von der Frau als auch vom Mann ausgehen. Wie etwa in einem Fall die Véronique zu dem wesentlich älteren Holger sagt, na, du hast jetzt einen Bauchansatz, du wirst alt. Dann treibt ihn das weg. Oder der Mann sagt zur Frau, was hast du denn für einen Hängebusen gekriegt? Diese Hassehen, wo sich alte Paare nur noch gegenseitig herunterputzen, gibt es heute aber nicht mehr so häufig, Gott sei Dank. Das sind auch oft die Frauen, die dann sagen, das will ich jetzt nicht noch 20 Jahre aushalten.

taz: Aber ist es nicht die Angst vor Alterseinsamkeit, die manche Frauen davon abhält, sich zu trennen? So nach dem Motto: Ach, ich finde in meinem Alter keinen neuen Mann mehr? In US-amerikanischen Facebookgruppen diskutieren ältere Frauen die Frage: Bleibe ich bei meinem Muffelkopf, weil das besser ist als alleine zu sein, oder trenne ich mich und reise noch ein bisschen durch die Welt oder fange an zu malen? Die Meinungen darüber gehen in den Gruppen auseinander.

Maltry: Es gibt heute viele Angebote, die sich auch an alleinstehende Frauen wenden: Reiseveranstalter, Singlereisen, Naturreisen, Malgruppen. Allein in München gibt es 70 Frauenverbände. Viele ältere Frauen üben Ehrenämter aus. Es ist zum Glück nicht mehr die Norm, dass man als Frau nur etwas wert ist, wenn man einen Mann an der Seite hat. Insofern hat sich über die vielen Jahrzehnte, in denen ich Anwältin bin, viel verändert.

taz: Sind denn Frauen, die sich in späten Jahren trennen, besonders von Altersarmut bedroht?

Maltry: Wenn sich die Frauen in späten Jahren scheiden lassen, bekommen sie den Versorgungsausgleich, also die geteilte Rente, denn die Rentenanwartschaften werden zwischen den Eheleuten aufgeteilt. Wenn sie sich allerdings nur trennen und nicht scheiden lassen, wird die Rente nicht geteilt. Männer bevorzugen daher in späteren Jahren lieber erst mal nur die Trennung und behalten ihren Rentenanspruch für sich. Ich kläre die Frauen auf, aber auch die Männer. Bei einer Trennung in späten Jahren sollten die Eheleute zumindest über einen Ehevertrag die Unterhaltszahlungen und die Aufteilung des Vermögens regeln.

taz: Und welche Rolle spielt eine mögliche Pflegebedürftigkeit bei einer Scheidung oder neuen Partnersuche?

Maltry: Die Pflegebedürftigkeit ist ein heikles Thema. In einem meiner Fälle, dem von Gudrun und Ernst, war er mit einer neuen jüngeren Freundin davon gezogen, bekam dann Parkinson, die Freundin trennte sich und er kehrte wieder zu seiner Noch-Ehefrau Gudrun zurück und wollte nun von ihr gepflegt werden. Das hat sie nicht mitgemacht. Finden die Frauen mit über 70 eine neue Partnerschaft, dann sagen sie auch schon mal, ja, ich will eine gute Zeit mit ihm haben, wir ziehen aber nicht zusammen und ich möchte ihn später auch nicht pflegen. Wenn es eine langjährige, liebevolle Beziehung war, dann wird man den Partner oder die Partnerin aber pflegen oder mitpflegen, da kenne ich tolle Paare. Interview: Barbara Dribbusch

Illustration: Linda Wölfel

„Ich finde langsam zu der Person zurück, die ich vor meiner Ehe war“

Gisela Treutner*, Anfang 60, erzählt:

Niemals! – Das sagte ich lange Zeit, wenn mich jemand fragte, ob es nicht besser wäre, die Scheidung einzureichen. Mein Ex-Mann und ich waren über 30 Jahre lang verheiratet. Die Ehe hatte für mich als katholisch geprägten Menschen immer einen hohen Stellenwert. Wir ließen uns kirchlich trauen und ich dachte damals, als wir uns das Ja-Wort gaben, wir würden für immer zusammen bleiben und dass unsere Beziehung eine glückliche ist.

Dabei weiß ich heute, dass ich nur dann glücklich war, wenn es mal keinen Streit wegen irgendeiner Nichtigkeit gab. Mein Ex-Partner hat starke narzisstische Züge, die erst im Lauf der Beziehung ans Tageslicht kamen. Je dominanter und gewalttätiger er wurde, desto ängstlicher wurde ich – immer auf der Hut vor dem nächsten Konflikt. Ich passte mich ihm zunehmend an, auch dahingehend, dass ich nicht arbeiten ging, weil er das so wollte.

Das ging so lange gut, bis ich einen schweren Zusammenbruch erlitt. Erst dank einer Psychotherapie verstand ich, dass die Ursache für diese seelische Krise meine Ehe war. Es gelang mir anfangs kaum, mir das einzugestehen. Ich fühlte mich wie eine Verräterin, wenn ich meine Beziehung oder meinen Ex-Partner infrage stellte. Mehrere Jahre und viel private, psychotherapeutische und anwaltliche Unterstützung habe ich gebraucht, um nach den ersten Gedanken an eine Trennung den Mut aufzubringen, tatsächlich die Scheidung einzureichen.

Ich hatte große Angst vor diesem Schritt. Meine ganze Existenz war inzwischen so sehr an meinen Ex-Mann geknüpft, dass ich mir mich gar nicht mehr alleine vorstellen konnte. Auch finanziell war ich von ihm abhängig, was mir zusätzliche Sorgen bereitete. Theoretisch hätte mir nach der Scheidung die Hälfte dessen zugestanden, was wir während unserer Ehe erwirtschaftet hatten. Aber mein Ex-Partner signalisierte mir, dass er sich an dem Punkt querstellen würde und drohte mir mit einem jahrelangen Rechtsstreit. Dafür fehlte mir die Kraft, sodass ich mich schließlich in einer außergerichtlichen Einigung mit deutlich weniger Geld zufriedengab, als mir zugestanden hätte.

Wie schaffe ich es, wieder einen Fuß zurück ins Leben zu kriegen? Das war zum Zeitpunkt der Trennung die zentrale Frage für mich. Mir konkrete Gedanken über die Zeit danach zu machen, dazu war ich gar nicht in der Lage. Heute, fünf Jahre später, wähne ich mich auf einem guten Weg. Ich finde langsam wieder zu der Person zurück, die ich vor meiner Ehe war, reiselustig und kontaktfreudig. Ich finde langsam all die Eigenschaften wieder, die ich in meiner Partnerschaft verloren hatte.

Ich genieße das Alleinsein, auch wenn ich mich manchmal einsam fühle. Dafür bin ich heute selbstbestimmt, kann wieder alleine in den Urlaub fahren und im Restaurant das bestellen, worauf ich Lust habe – banale Dinge, die in meiner Beziehung nicht möglich waren und die mich heute umso glücklicher machen. In solchen Momenten merke ich, dass ich wieder frei bin.

Trotzdem gibt es noch eine Traurigkeit in mir über die lange Zeit, die ich in dieser Beziehung verbracht und gelitten habe. Mich diesem Gefühl zu stellen, liegt noch vor mir. Protokoll: Laura Catoni

*zum Schutz der Protagonistin, die sich vor ihrem Ex-Partner fürchtet, verwenden wir ein Pseudonym

„Als hätte man ein Blatt Papier zerrissen“

Thomas Groß, 52, aus Dresden erzählt:

Obwohl wir nicht verheiratet waren, hatte ich in meiner vorigen Partnerschaft die Hoffnung, dass sie bis zum Lebensende hält. Umso tiefer saß der Schock, als meine damalige Partnerin sich von mir trennte. Da war nach 18 Jahren Beziehung plötzlich diese riesige Veränderung, die gefühlt aus dem Nichts kam und bei der mir nichts anderes übrig blieb, als sie zu akzeptieren, und die Tatsache, dass alle Wünsche und Ideen, die man für die gemeinsame Zukunft hatte, erst einmal obsolet waren.

Dabei hatten wir einen guten Start, würde ich behaupten, und eine Beziehung, die auf Vertrauen, Akzeptanz und Liebe fußte. Wir wollten nie in die klassische Rollenverteilung rutschen, sind es durch das gemeinsame Kind aber dennoch. Ich war hauptverantwortlich für das Familieneinkommen, meine Ex-Partnerin war bei mir angestellt, aber trug die Last von Erziehung und Haushalt.

Irgendwann veränderten sich die Bedürfnisse, entstand der Wunsch nach Veränderung auf beiden Seiten. Doch anstatt darüber offen und ehrlich sprechen, haben wir am Status quo festgehalten, was wiederum zu Spannungen und Vorwürfen führte. Rückblickend hätte es Momente gegeben, um sich gemeinsam neu auszurichten. Doch es fehlte bei uns beiden an Bereitschaft, das zu tun. Sich und die Beziehung zu hinterfragen.

Ich würde mir wünschen, dass Menschen toleranter dafür werden, dass in einer Langzeitbeziehung Probleme entstehen können, ohne dass sie gleich die Trennung bedeuten. Dass man sich in gegenseitiger Absprache, eventuell auch mit Hilfe von Paar­therapie, neu aufstellt – auch wenn das vielleicht erst einmal heißt, auf Distanz zueinander zu gehen.

Uns ist das nicht gelungen. Was folgte, waren Unzufriedenheit, Resignation und irgendwann die erste Trennung, die sich auf emotionaler Ebene schon angebahnt hatte. Danach probierten wir es noch einmal, fielen jedoch wieder in die alten Muster zurück. Als wären die Fußabdrücke der vorherigen Jahre zu groß gewesen. Dann folgte das zweite Beziehungsende. Das bedeutete auch die wohnliche Trennung und die Teilung des gemeinsamen Freundeskreises. Als hätte man ein Blatt Papier zerrissen.

Das war alles sehr schmerzhaft und die Sehnsucht nach der Ex-Partnerin kommt immer wieder. Doch ich konzentriere mich darauf, meine neue Position im Leben zu finden.

In der Zwischenzeit konnte ich die Dinge mit Distanz analysieren und einige positive Seiten der Trennung erkennen: Ich habe wieder ein Gefühl der Eigenverantwortlichkeit entwickelt, das ich an dem Punkt verloren hatte, als unsere Beziehung eine Neuausrichtung gebraucht hätte. Ich würde auch sagen, dass ich durch die Trennung sensibler für die Beziehung zu meinem Kind geworden bin. Auch hat sich mir ein Raum eröffnet zum Reflektieren und um mich weiterzuentwickeln, den ich in der Partnerschaft wohl so nicht gehabt hätte.

Auf lange Sicht wünsche ich mir dennoch eine neue Beziehung. Bis dahin möchte ich mich ausprobieren, um zu schauen, was für mich passt. Auch das bringt eine Trennung mit sich: dass man sich noch einmal grundsätzlich fragen kann, was man will und was nicht. Protokoll: Laura Catoni

„Bis heute habe ich den Beschluss nie bereut“

Ute Hollinger, 60, aus Dresden erzählt:

An einem Punkt wusste ich: Es fehlt nur noch eine Sache, bis ich mich trenne. Dabei hatte ich meinen Ex-Mann aus Liebe geheiratet und mit der Vorstellung, dass wir den Rest unseres Lebens miteinander verbringen würden. Die ersten Jahre war ich auch glücklich und fühlte mich gleichberechtigt in unserer Beziehung. Doch dann begannen unsere Vorstellungen vom gemeinsamen Leben auseinanderzugehen.

Schließlich erfuhr ich durch meinen Ex-Mann eine große Enttäuschung, die mich im Mark erschütterte, die ich aber nicht im Detail schildern möchte. Danach war mir klar, dass unsere Beziehung am Ende war, dass die Gegenwart plötzlich eine andere war, die Zukunft weg und die Vergangenheit infrage gestellt. Alles, was ich mir mit diesem Mann vorgestellt hatte, war plötzlich hinfällig. Wie ein verletztes Reh fühlte ich mich.

So schmerzhaft das auch war: Der Entschluss, mich zu trennen, fiel mir leicht, und ich habe ihn bis heute kein einziges Mal bereut. Ich fühlte mich rückblickend in unserer Beziehung immer weniger gleichberechtigt und zunehmend durch meinen Ex-Mann kontrolliert. Eigentlich waren wir schon innerhalb der Beziehung getrennt.

Obwohl die Scheidung für mich außer Frage stand, hatte ich das Gefühl, gescheitert zu sein. Als hätte ich es nicht geschafft, diese Beziehung aufrechtzuerhalten. Dabei hatte ich so viel Energie in sie gegeben – in guten wie in schlechten Zeiten, wie wir es uns beim Ja-Wort geschworen hatten. Lange Zeit konnte ich meinem Ex-Mann nicht verzeihen, genauso wenig wie mir, dass ich so lange in der Ehe verharrt hatte. Ich habe die 25 gemeinsamen Jahre als Zeitverschwendung empfunden. Aber inzwischen habe ich meinen Frieden damit geschlossen.

Früher hatte ich einen negativen Blick auf das Thema Trennung. Ich habe Frauen, die nach ihrer Scheidung alleine geblieben sind, kritisch beäugt. Dann war ich selbst in dieser Position und nach über zwei Jahrzehnten das erste Mal wieder wirklich alleine. Das war anfangs ungewohnt: auf einmal alleine durchs Leben zu gehen, Entscheidungen zu treffen, alleine ein Auto zu kaufen, ohne einen Mann im Hintergrund. Gleichzeitig fühlte es sich gut an, als eigenständige Person gesehen zu werden. Es löste in mir eine Aufbruchstimmung aus. Ich richtete mir meine neue Wohnung ganz nach meinem Geschmack ein, kaufte mir Schmuck, machte mich schick. Man könnte sagen, durch die Trennung entdeckte ich meine Weiblichkeit und dadurch auch meine Sexualität wieder.

Ich fand auch einen neuen Partner, heiratete ein zweites Mal. Elf Jahre waren wir zusammen, dann ist er verstorben. Das war ein großer Verlust, doch ich bin froh über die Zeit, die wir hatten, in der ich mich wieder geliebt und begehrt fühlte.

Das ist das Gute an dieser Trennung, denke ich: Dass ich mich selbst wieder gefunden habe, nachdem ich mich in der Beziehung fast verloren hatte. Das zeigt sich auch in der Art und Weise, wie ich heute über meine Scheidung spreche. Am Anfang habe ich dabei immer aus der Perspektive meines Ex-Mannes erzählt und wie es ihm mit allem ging. Inzwischen habe ich den Blick auf mich gerichtet, wenn ich unsere Geschichte erzähle. Protokoll: Laura Catoni

Illustration: Linda Wölfel

„Wir brachten das Ehebett zum Sperrmüll“

Doris Appelt*, Mitte 50, erzählt:

An den Moment, als mein Ex-Mann und ich ein paar Jahre vor unserer Trennung unser Ehebett auf den Sperrmüll gebracht haben, erinnere ich mich gut. Er hatte kurz zuvor beschlossen, wegen eines neuen Jobs in einer anderen Stadt bei uns auszuziehen, also bot sich die Gelegenheit, ein neues Bett zu kaufen. Obwohl wir da noch ein Paar waren, war das für mich rückblickend der Moment, in dem ich wusste: Ich bin raus. Das entsorgte Bett stand symbolhaft dafür.

Wir hatten zu dem Zeitpunkt ein sehr schwieriges Jahr hinter uns. Mein Ex-Mann war in einer persönlichen Krise und ich hatte viel Stress. Während ich ihn motivierte und tröstete, bekam ich von ihm nur wenig zurück. Das hat mir unglaublich viel Energie geraubt. Gleichzeitig fühlte ich mich von ihm durch seine pessimistische Art häufig ausgebremst in Vorhaben, die ich mir für mich oder uns überlegt hatte. Dass ich mich dadurch innerlich schon getrennt hatte, merkte ich daran, dass ich plötzlich keine Nähe mehr ertragen konnte.

Dabei waren wir lange Zeit ein unschlagbares Team gewesen, als Eltern, aber auch als Paar. Bis die Kinder aus dem Gröbsten raus waren. Es war, als hätten sie bis dahin eine Leerstelle in der Beziehung gefüllt, die ich danach das erste Mal so richtig spürte. Als wäre die Verbindung zu meinem Ex-Partner verloren gegangen. Vielleicht hätte uns ein neues, gemeinsames Projekt geholfen, doch das fehlte uns.

Dass ich nicht mehr glücklich war, war mir lange nicht bewusst. Bis mir ein anderer Mann Avancen machte und ich plötzlich spürte, wie ich das genoss. Gleichzeitig verurteilte ich mich dafür. Das darf nicht sein, dachte ich, wenn ich doch meinen Mann liebe. 25 Jahre lang waren wir verheiratet. Natürlich ging ich mit dem Gedanken in die Ehe, dass wir zusammen alt werden würden.

Auch an den Tag vor Gericht, als wir uns scheiden ließen, erinnere ich mich noch gut. Da gab es einen kurzen Moment, in dem sich alles wieder ganz vertraut anfühlte, in dem ich wusste, ich kenne diesen Mann in- und auswendig. Doch als die Papiere unterschrieben waren, war es in Ordnung. Ich hatte mich ja mental schon lange auf diesen Moment vorbereitet, indem ich mich mit mir und meinen Bedürfnissen auseinandergesetzt hatte.

Die Trennung ging von mir aus. Ich wollte damit vor allem meine Unabhängigkeit zurückerlangen, nachdem ich lange für Haushalt und Familie zuständig gewesen war. Heute arbeite ich in einem Beruf, der mich erfüllt, lebe in meiner eigenen Wohnung, die ich mir nach meinem Geschmack eingerichtet habe, bin finanziell unabhängig. All das genieße ich.

Was ich nicht habe kommen sehen, ist, wie es sich anfühlt, wirklich wieder alleine zu sein. Zwar kann ich auch das inzwischen genießen. Doch ich habe große Angst, keinen neuen Partner zu finden. Deshalb habe ich mich auf Onlinedating-Portalen umgeschaut. Aber wenn man als Frau heute älter als 45 Jahre alt ist und nicht komplett dem Schönheitsideal entspricht, hat man verloren. Dieser Markt der Eitelkeiten ist nichts für mich. Und doch glaube ich daran, irgendwann wieder Schmetterlinge im Bauch zu fühlen.

Heute geht es mir gut mit der Trennung. Ich bin überzeugt, dass dieser Schritt auch für andere eine Befreiung sein kann. Es kostet unglaublich viel Mut und Kraft, ihn zu gehen. Vor allen, die das schaffen, ziehe ich den Hut. Protokoll: Laura Catoni

*auf Wunsch der Interviewten verwenden wir ein Pseudonym

„Ein Mediator half uns auf unserem Weg“

Guido Hoppe, 62, aus Meiningen in Thüringen erzählt:

Dass meine Ex-Frau irgendwann die Scheidung wollte, war eigentlich keine Überraschung für mich. Ich hatte das bereits kommen sehen und denke, sie sprach in dem Moment nur aus, was wir beide schon wussten. Es liegt in meiner Natur, dass ich Dinge eher abwarte, vielleicht war ich auch ein bisschen zu feige, selbst die Initiative zu ergreifen – und doch war es ein kleiner Schock für mich, als meine Ex-Frau dann so weit war. Über 30 Jahre waren wir zusammen, sogar die Silberhochzeit hatten wir geschafft.

Sicher ging ich zu Beginn der Ehe davon aus, dass wir gemeinsam alt werden würden, und wir hatten auch viele schöne Momente zusammen. Doch irgendwann arbeiteten wir beide so viel, dass unsere Beziehung auf der Strecke blieb. Wir verloren uns aus den Augen, verloren das Gespür dafür, was der andere für Bedürfnisse hat. Diese Entfremdung passierte schleichend, und irgendwann ahnte ich, dass wir falsch abgebogen waren. Dass wir den Moment verpasst hatten, uns hinzusetzen und über unsere Probleme zu sprechen.

Nach der Trennung wollten wir die Scheidung so friedlich wie möglich über die Bühne bringen, ohne Rosenkrieg und ewigen Briefwechsel zwischen Anwälten. Ein Mediator half uns auf diesem Weg. Hilfreich war auch, dass unsere beiden Kinder zum damaligen Zeitpunkt schon erwachsen waren. Meine Ex-Frau und ich stehen heute noch in einem guten Verhältnis zueinander, sodass wir dieses Jahr sogar Weihnachten zusammen feierten. Ihr neuer Lebensgefährte war auch dabei und das ist völlig okay für mich.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Ich gehe gelassen mit unserer Scheidung um, und so tat es auch unser Umfeld. Ich habe das Gefühl, in meinem Alter blicken die meisten Leute sehr realistisch auf das Thema und machen sich keine Illusionen mehr, dass jede Ehe für immer hält. Man könnte sagen, wir waren einfach die nächsten im Bekanntenkreis, die sich getrennt haben.

Die Trennung bedeutete einen Neustart für mich. Ich bin in ein anderes Bundesland gezogen, habe einen neuen Job angefangen, mir eine Wohnung für mich allein gesucht und sie eingerichtet. Ich habe bisher keine neue Partnerin, auch, weil eine neue Beziehung aktuell keine Priorität für mich hat. Angst davor, alleine zu enden, habe ich nicht. Ich genieße es, für mich zu sein, meinen Alltag selbstbestimmt zu gestalten. Wenngleich es auch natürlich Momente gibt, in denen ich alleine durch den Wald laufe und denke, es wäre schön, das mit einer Frau zu teilen. Aber ich habe mich mit meiner neuen Lebenssituation gut arrangiert.

Sicher war ich auch traurig darüber, dass unsere Beziehung an ein Ende gekommen war. Aber im Nachhinein hat dieser Schritt für uns beide eine positive Entwicklung in Gang gesetzt. Ich würde mir wünschen, dass mehr ins Bewusstsein der Menschen rückt, dass eine Scheidung nach langer Ehe auch etwas Gutes haben kann. Man sollte sich nie leichtfertig trennen, doch wenn es triftige Gründe gibt, wenn es nicht mehr funktioniert, dann sollte man den Schritt wagen. Protokoll: Laura Catoni

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!