Kommentar von Daniel Bax zum Gedenken an die ermordeten Sinti und Roma
: Sensibilität abseits von Sonntagsreden

Die Deutschen sind stolz auf ihre Erinnerungskultur. Viele sind überzeugt, dass wir unsere Vergangenheit angemessen aufgearbeitet hätten. Dafür sprechen in der Tat die vielen Denkmäler, Gedenkstätten und Feiertage, deren Zahl in den vergangenen Jahrzehnten erkennbar zugenommen hat. Erinnern steht hoch im Kurs, und das ist gut so.

Aber Sonntagsreden und Gedenktage sind das eine. Der alltägliche Umgang mit einer diskriminierten Minderheit ist das andere. Da zeigt sich oft eine Kluft zwischen schönen Worten und echter Sensibilität. Der aktuelle Streit über das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas ist da symptomatisch.

Der Porajmos, der Völkermord an den Sinti und Roma Europas, stand lange im Schatten der Schoah, dem deutschen Völkermord an rund sechs Millionen Jüdinnen und Juden in Europa. Erst der unermüdliche Einsatz von Betroffenenverbänden und Roma-Aktivisten sorgte dafür, ihn in den vergangenen Jahrzehnten stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein zu rücken und den Blick auf Vorurteile und Ausgrenzungen von Sinti und Roma zu schärfen, die bis heute fortwirken.

Einige dieser Betroffenenverbände fürchten nun, dass ihr hart erkämpftes Mahnmal unter die Baggerräder kommt, wenn in Berlin eine neue, unterirdische Bahnverbindung gebaut wird, die unter dem Regierungsviertel und direkt unter dem Mahnmal verlaufen soll. Sie fürchten nicht nur, dass die Bauarbeiten den Zugang zu dem Mahnmal über Jahre hinweg versperren könnten. Sondern auch, dass es danach nicht mehr das Gleiche sein könnte. Werden die Bäume, die Teil des Gedenkorts sind, wieder nachwachsen? Werden die S-Bahn-Züge, die darunter fahren sollen, die Stille des Ortes stören und das Mahnmal erschüttern? Das kann keiner sagen. Aber eine Bahntrasse hat ohnehin einen besonderen Hautgout. Denn mit der Reichsbahn, deren Rechtsnachfolger die Deutsche Bahn ist, wurden einst sowohl Juden wie auch Roma in Vernichtungslager deportiert.

Unter dem nahe gelegenen Holocaust-Mahnmal hätte man wohl kaum einen solchen Tunnel gegraben – zu groß die Furcht, die Würde des Ortes dadurch zu verletzen und alte Wunden wieder aufzureißen. Dagegen wirkt der Umgang mit dem Roma-Mahnmal hemdsärmelig und wurschtig: Die Trasse wird geplant, ohne dass die Folgen für das Mahnmal absehbar sind.

Die Betroffenen fühlen sich überfahren und fordern zumindest Gutachten, die das Risiko bemessen, bevor es zu spät ist. Darauf Rücksicht zu nehmen ist das Mindeste, was der Berliner Senat und die Deutsche Bahn tun könnten.

Wir sind es ihnen schuldig.