Antisemitismus in Berlin: Luft anhalten und untertauchen
In Berlin fühlt sich unsere Kolumnistin nicht mehr wohl. Bei antisemitischen Angriffen würde den Juden hier niemand beistehen. Nicht so in Frankfurt.
G anz sicher war ich mir nicht, ob ich mit diesem Thema eine ganze Kolumne füllen könnte. Ob das überhaupt ein Thema war oder nur meine eigene Paranoia. Aber da saß ich nun, mir gegenüber eine gute Freundin und vor mir, auf dem Tisch, ein viel zu großes Stück koschere Napoleon-Torte, das sie für uns gekauft hatte.
Ich stocherte in der Puddingfüllung herum und erzählte davon, wie schwer es mir mittlerweile fiel, Berlin zu ertragen, wie genervt, manchmal auch verängstigt ich war. Verängstigt, weil der Israel- und Judenhass die Häuserwände und Straßen überschwemmt, und genervt von den sich politisch inszenierten Deutschen, die sich ihre Kufijas stylisch als bauchfreies Top binden oder lässig über die Schulter werfen.
„In der Bahn hat sich eine Frau über den Krieg in der Ukraine ausgelassen“, erzählte meine Freundin. „Man könne ja gar nicht wissen, was dort passiere, Selenskyi sei ja auch Jude und habe deshalb ein zionistisches Denken.“ Niemand habe der Frau widersprochen, auch meine Freundin nicht, dabei hätte sie gern. „Aber“, erklärte sie, „ich habe Angst, dass mir etwas passiert, wenn ich den Mund aufmache.“
Ich weiß, dass wir beide an das jüdische Pärchen denken, das in Berlin aus einem israelfeindlichen Autokorso heraus angegriffen und bespuckt worden war. 10 bis 15 Menschen sollen die beiden angeschrien und gefilmt haben; der Mob soll dem Paar sexuelle Gewalt angedroht und Bezug auf die Taten der Hamas an israelischen Frauen genommen haben.
„Es ist, als ob ich mich langsam auflöse in dieser Stadt“, sagte meine Freundin noch. Weil sie sich wegducke, versuche, nicht aufzufallen.
In Frankfurt ist es anders
Neulich war ich in Frankfurt, und plötzlich überkam mich zum ersten Mal seit Monaten das Gefühl von innerer Ruhe. Fast so, als hätte ich die ganze Zeit über die Luft angehalten und in Frankfurt zum ersten Mal nach viel zu langer Zeit tief eingeatmet und wieder aus.
In Frankfurt kenne ich nur den Hauptbahnhof, ein paar Hotels im Bahnhofsviertel, die Wohnungen einiger Freundinnen und die jüdische Gemeinde. Auch in Frankfurt wird es Antisemiten geben, deutsche Kufija-Stylos, Uber-Fahrer mit „Free Palestine“-Aufklebern oder solche, auf deren Smartphones Terrorvideos laufen, ganz so wie in Berlin, während sie viel zu schnell durch die Straßen rasen.
Ich habe sie – zu meinem Glück – dort bislang nicht getroffen, stattdessen habe ich eine Offenheit erlebt, die ich aus Berlin nicht kenne, und Taxifahrer kennengelernt, die mich kommentarlos vor der jüdischen Gemeinde einsammelten, weil diese so viel selbstverständlicher zur Stadtgesellschaft dazu gehört, als ich es in Berlin wahrnehme.
„Leute, wo seid ihr?“, so war ein Text von Dana Vowinckel überschrieben, den sie nur wenige Wochen nach dem Terrorangriff der Hamas geschrieben hat. Eine schockierte, fast schon verzweifelte Anklage an ihr Umfeld, das nach dem 7. Oktober lieber schwieg, als sich nach ihr zu erkundigen. Ich weiß nicht, ob Dana diesen Satz heute noch in die Welt ruft. Für mich schwebt er seit Oktober immer noch über Berlin, über unseren Leben.
Leute, wo seid ihr, wenn Juden bespuckt und angegriffen werden? Leute, wo seid ihr, wenn antisemitische Verschwörungstheorien in der Bahn ausgebreitet werden? Hallo, ist da noch wer?
Jeden Tag wäge ich ab: ich selbst sein und Gefahr laufen, bespuckt oder ins Gesicht geschlagen bekommen, oder unauffällig bleiben. Meistens entscheide ich mich für Letzteres, lasse Davidsternkette und andere Symbole zu Hause, weil ich mit dieser Anspannung nicht umgehen kann.
Fast noch schlimmer als die Sorge vor Angriffen ist das Gefühl, dass da niemand wäre, der einschreiten, sich schützend vor dich stellen würde. Je mehr Zeit vergeht, wird dieses Gefühl zur traurigen Gewissheit, auf sie folgt die Einsamkeit.
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