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Stichwahl im IranRelativ egal

Gilda Sahebi
Kommentar von Gilda Sahebi

Deutschland wird auch mit dem neuen iranischen Präsidenten zusammenarbeiten. Die Verbrechen des iranischen Regimes lohnen sich. Warum also aufhören?

Feministische Außenpolitik? Irans Frauen spüren von diesem westlichen Anspruch nichts Foto: Majid Asgaripour/WANA (West Asia News Agency) via REUTERS

Z wei Tage vor der iranischen Präsidentschaftswahl veröffentlichten Angehörige von Opfern des iranischen Regimes ein Statement, in dem sie zum Boykott der Wahl aufriefen. Das iranische Regime ließ ihre Kinder, Brüder, Schwestern, Eltern ermorden – bei Protesten, im Gefängnis, beim Abschuss des ukrainischen Flugzeugs im Jahr 2020. Es zieht sich eine lange Blutspur durch die Geschichte der Islamischen Republik.

Die Wahl sei „gestellt“, so die Angehörigen. Wer wählen gehe, „riskiert es, die Regierung zu legitimieren“. Die Unterdrückung von Andersdenkenden werde so nur schlimmer, heißt es in dem Statement. Politische Gefangene wie Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi baten die Menschen aus dem Gefängnis heraus, ihre Stimmen nicht abzugeben. Auch außerhalb Irans gab es Proteste: Vor der iranischen Botschaft in London riefen Exil-Iraner:innen am Wahltag den inzwischen weltweit bekannten Ruf „Frau, Leben, Freiheit“ und protestierten gegen die Scheinwahl.

Man würde meinen, dass eine iranische Zivilgesellschaft, die seit vielen Jahrzehnten auf die Menschenrechtsverbrechen und die fehlende Legitimität der Islamischen Republik aufmerksam macht – mit großen Opfern: Tod, Gefangenschaft, Verfolgung, Exil – von der internationalen Gemeinschaft gehört würde. Aber gerade westliche Staaten wie Deutschland, die EU oder die USA ignorieren auf geradezu grausame Art und Weise die Stimmen der Betroffenen. Wo Werte wie Demokratie, Freiheit und Gleichberechtigung rhetorisch fast schon ritualhaft hochgehalten werden – von feministischer Außenpolitik ganz zu schweigen – werden nicht die Menschen unterstützt, die für genau diese Werte kämpfen, sondern es wird dem iranischen Regime hofiert, das diese Werte systematisch ausmerzt.

Westliche Politiker haben Vertrauen verspielt

Das zeigt sich, wenn der deutsche Bundeskanzler der Islamischen Republik zum Tod des Präsidenten Ebrahim Raisi kondoliert, aber keiner und keinem der Angehörigen jener Tausender Menschen, die Raisi ermorden ließ. Deutschland wird auch mit einem neuen iranischen Präsidenten zusammenarbeiten, egal, wie er heißt. Die Verbrechen des iranischen Regimes: Sie lohnen sich. Warum sollten sie also damit aufhören?

Man sollte den hochtrabenden Reden westlicher Po­li­ti­ke­r:in­nen keinen Glauben schenken. Werte, die relativ sind, sind keine Werte.

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Gilda Sahebi
Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.
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7 Kommentare

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  • Da ist mir wohl etwas entgangen. Inwiefer hofiert die deutsche Bundesregierung den Iran? Es gibt so gut wie keine diplomatischen Beziehungen mehr zu dem Regime.

    Auch die deutsche Wirtschaft exportiert aufgrund der Sanktionsbestimmungen lediglich humanitäre Güter in den Iran. Die Handelsbeziehungen sind längst gekappt. Da greift mir der Artikel zu kurz. Im übrigen, nicht der Bundeskanzler hat kondoliert sondern im Namen der Bundesregierung.

    • @Sam Spade:

      Da war Stand beginn 2023 www.tagesschau.de/...orte-iran-101.html :

      „Deutschland ist laut Industrie- und Handelskammer weiter "Irans wichtigster Handelspartner in Europa". 2022 stiegen die deutschen Exporte sogar an. Angesichts der Niederschlagung von Protesten durch die Regierung, wird das kritisch gesehen.“

      Das Exportvolumen ging dann 2023 laut TRT www.trtdeutsch.com...lspartner-17799130 um knapp 25% zurück. Deutschland blieb aber wichtigster europäischer Handelspartner.

      Und aktueller laut NTV www.n-tv.de/wirtsc...ticle24882620.html stiegen die Exporte „Von Januar bis Februar wuchsen die Ausfuhren um gut ein Fünftel“ man wird am Ende sehen wie das für dieses Jahr ausfiel. Ebenso stand da „Zu Jahresbeginn wurden hauptsächlich Maschinen sowie Chemie- und Pharma-Erzeugnisse aus Deutschland in den Iran exportiert“

      Wertet Deutschland m.E. nach nicht grade auf, wichtigster europäischer Handelspartner des Irans zu sein und wohl zu bleiben.

      • @serious?:

        Zur Ergänzung:

        Laut dem Auswärtigen Amt www.auswaertiges-a...beziehungen/202402, exportierte Deutschland neben den Maschinen auch optische, elektrotechnische und chemische Erzeugnisse. Da wäre auch mal Interessant inwiefern dies Dinge enthält die z.b. zur Produktion von Drohnen und Überwachungstechnik verwendet wurden bzw. verwendet werden können.

        Hier auch einmal danke an David Palme für die Quelle.

      • @serious?:

        Doch es wertet Deutschland auf, da es sich um humanitäre Güter handelt, die zur Versorgung der Bevölkerung dienen, wie z. B. Medikamente und Dünger für die Landwirtschaft.

    • @Sam Spade:

      5 Sekunden googeln reichen um zu widerlegen, was Sie behaupten. Von wegen humanitären Gütern.

      Deutschland exportiert zB Maschinen nach Iran:

      www.auswaertiges-a...beziehungen/202402

      Iran exporiert z.B. landwirtschaftliche und pharmazeutische Erzeugnisse

      Deutschland lässt auch Firmen, die mit den Revolutionsgarden in Verbindung stehen, frei hier agieren. Z.B. IT-Firmen die an der Isolation und Überwachung des iranischen Internets beteiligt sind, und Petrochemie.

      www.tagesschau.de/...anktionen-100.html

      netzpolitik.org/20...m-iran-verstrickt/

      • @David Palme:

        Landwirtschaftliche und pharmazeutische Produkte gehören zu den humanitären Gütern, dazu zählen auch Maschinen. Selbst "dual use" Güter dürfen nicht mehr exportiert werden.