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Fabio de Masi über BSW-Ergebnis„Wir sind mehr als nur Protest“

Als Spitzenkandidat der Wagenknecht-Partei zieht Fabio de Masi nun in das Europaparlament ein. Dort wolle man eine neue Fraktion bilden – ohne Rechte.

„Wir langweilen nicht und sprechen Missstände scharf an“ Foto: dts/imago
Stefan Reinecke
Daniel Bax
Interview von Stefan Reinecke und Daniel Bax

taz: Herr de Masi, BSW hat mehr als sechs Prozent bekommen. Überrascht?

Fabio de Masi: Nein, es gibt einen großen Veränderungswunsch. Das haben wir auf den Marktplätzen gespürt. Unser Ergebnis ist herausragend, zumal laut Umfragen unsere Wähler relativ geringes Interesse an Europa haben.

Das BSW hat mehr als 400.000 Stimmen von der Linkspartei, mehr als 500.000 von der SPD und nur 140.000 von der AfD gewonnen. Verwundert Sie das?

Nein. Im Wahlkampf hat die Friedensfrage die Leute am meisten bewegt. Viele waren enttäuscht von dem Kurs der SPD und der Linkspartei.

Karin Desmarowitz
Im Interview: Fabio De Masi

geboren 1980, war Europawahl-Spitzenkandidat für das neu gegründete Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW). Bis 2021 saß der Volkswirt für die Linken im Bundestag, war deren Fraktionsvize sowie finanz­politischer Sprecher.

Und Migration?

Das war auch ein Thema. Wir arbeiten nicht mit Ressentiments und respektieren das Recht auf Asyl, wollen aber Ordnung in der Migrationspolitik, damit Integration gelingen kann.

Verstehen Sie das BSW als Protestpartei?

Natürlich. Es wäre bei der Anti-Ampel-Stimmung dumm, keine Protestpartei zu sein.

Reicht das aus?

Wir sind mehr als nur Protest. Wir haben klare Forderungen. Aber wir langweilen nicht und sprechen Missstände scharf an. Das habe ich schon immer getan und dies mit konkreten Vorschlägen verbunden. Zu sagen, dass Deutschland ein Problem mit Finanzkriminalität hat oder die Kürzungs-Politik der Ampel die Wirtschaft in den Keller treibt, ist nicht nur ein Protest. Das ist Realität.

Sie waren als Finanzexperte in der Linkspartei und dort auf dem linken Flügel. Das BSW steht viel weiter in der Mitte. Mussten Sie sich da anpassen?

Nein, gar nicht. Das BSW fordert eine Reform der Schuldenbremse und eine Vermögensbesteuerung, die nicht Oma mit ihrem kleinen Häuschen trifft, sondern die Multimillionäre und Milliardäre. Das habe ich schon immer vertreten. Bei diesen Themen sind die Unterschiede zur Linken nicht so groß.

Die gibt es bei anderen Themen: Das Verbot von Verbrennermotoren lehnen Sie ab.

Wir sehen die Ausrichtung nur auf E-Mobilität kritisch. Deutschland ist stark in der Verbrenner-Technologie. Wir sollten das nutzen und die Branche dazu bringen, kleinere, emissionsarme Autos zu bauen. Wo es auf dem Globus weiter Verbrenner gibt, müssen die CO2-arm sei. Wenn Besserverdiener sich in Deutschland jetzt ein E-SUV als Zweitwagen leisten, ist für das Klima noch gar nichts gewonnen.

Damit bedienen Sie das Hass-Bild von den reichen Ökos in den Städten, die den Normalverdienern auf dem Land sagen, wie die leben sollen …

Diese Leute müssen wir auch abholen. Es reicht nicht, in Berlin-Mitte in der Hafermilch-Blase recht zu haben.

Das ist jetzt echt ein Klischee …

Nein, ist es nicht. Der Klimawandel ist eine Tatsache, der Kampf dagegen dringlich. Aber das erreicht man nicht mit höheren CO2- Abgaben, die Leute mit schmalen Geldbeutel treffen, die auf dem Land kaum Alternativen zum PKW haben. Gleichzeitig hat man tausende Bahnkilometer abgebaut. Da können Preise nicht lenken. Und gerade Besserverdiener mit höherem ökologischem Bewusstsein haben einen höheren ökologischen Fußabdruck. Um Helmut Kohl zu zitieren: Entscheidend ist, was hinten herauskommt.

Aha, nach Ludwig Erhard ist jetzt auch Kohl ein Vorbild. Ist BSW ein Retroangebot für Veränderungsmüde?

Wir sprechen auch Veränderungsmüde an. Viele Leute empfinden Veränderung als Bedrohung. Deshalb müssen wir ihnen mehr Sicherheit geben. Wir hatten in den 70er und 80er Jahren ein auskömmlicheres Rentensystem. Auch damals gab es schon einen heftigen demografischen Wandel. Aber der Sozialstaat wurde verbessert. Wenn das retro ist, dann sind wir retro.

Früher war alles besser?

Nein, aber so schlimm waren die 80er Jahre nicht. Wir stehen auch für Wandel. Wir wollen mehr öffentliche Investitionen in Zukunftstechnologien und angemessene Erbschafts- und Vermögensteuern. Das wäre Veränderung und eine gute Voraussetzung für den Umbau der Wirtschaft.

Welcher Fraktion im Europa-Parlament schließt sich das BSW an?

Gar keiner. Wir machen eine neue auf.

Aha. Mit wem?

Das sage ich Ihnen nicht.

Warum?

Das ist wie im Fußball. Wenn ein Club sagt, wir haben Interesse an Toni Kroos, dann steigt der Preis für Toni Kroos. Das funktioniert bei den Fraktionsbildungen im EP so ähnlich. Deshalb schweigen wir.

Aber Rechte werden nicht in der Fraktion sein?

Nein, natürlich nicht. Das ist wie die rhetorische Frage, ob ich meinen Goldfisch quäle. Ich habe aber gar keinen Goldfisch. Fragen Sie doch Frau von der Leyen.

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21 Kommentare

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  • Sorry Fabio de Masi, vielleicht trübt die romantische Erinnerung, aber politisch waren in der BRD die 80er Jahre, bis auf wenige Ausnahmen, der blanke Horror!

  • Ganz schön viel Begeisterung für eine Populismustruppe, die perfekt in Putins Pläne passt. Der Boykott der Selenskyj-Rede zeigt, wes Geistes Kind die Wagenknechttruppe ist. Antiamerikanismus, EU- und NATO-Bashing, viel Verständnis für das imperiale Russland und die Migrationsängste der ampelgenervten Deutschen - wär ja blöd, wenn man da keine Partei draus macht. De Masi wird mit dem BSW seine Reputation beschädigen.

  • Danke!



    Klare Worte, kein Verstecken und ein ansprechen von wunden Punkten.



    Ich hoffe die BSW kann die anderen Parteien dazu bringen, sich zu positionieren



    Und JA, die Welt lässt sich nicht aus der Hafermilchblase allein heraus retten, sage ich und trinke meinen Hafermilchkaffee, Rechtt hat er!

  • Dankeschön. Gutes Interview. :-)

    Und Herr Di Masi bringt gerade den Punkt Sozialstaat besser auf den Punkt als sehr viele, hochbezahlte Grüne oder SPD Berufspolitiker.

  • De Masi ist ein sachkundiger Politiker wie auch die anderen Kandidaten des BSW für die Wahlen zum EU Parlament. Schade, dass Michael Lüders nur auf Platz 9 beim BSW stand und so nicht nach Brüssel gehen kann.



    Ich wünsche dem BSW viel Erfolg.

    • @Rolf B.:

      Kommentar entfernt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

      Die Moderation

  • Besonders freut es mich für Fabio de Masi. Ein kluger Kopf in einer guten Partei. Warum Die Linke solche Köpfe rausekelte bleibt deren Rätsel.

  • Herr De Masi, vielen Dank für Ihre Antworten!



    So klar und so mit Humor den Punkt getroffen.



    Viel Erfolg!

  • " Damit bedienen Sie das Hass-Bild von den reichen Ökos in den Städten, die den Normalverdienern auf dem Land sagen, wie die leben sollen …

    Diese Leute müssen wir auch abholen. Es reicht nicht, in Berlin-Mitte in der Hafermilch-Blase recht zu haben."

    Und zumindest da hat er einen Punkt. Das entspricht genau der Auffassung sehr vieler Menschern im Land. Diese "Hafermilchblase", die den Leuten ziemlich entfremdet vermittelt, eure Sorgen sind nur Peanuts im Vergleich zu den großen globalen Problemen dieser Welt, "checkt mal eure Privilegiertheit", bestimmt mittlerweile das Bild links/grüner Politik. Das hat man sich über Jahre erarbeitet.



    Da ist es relativ einfach, mit populistischen Themen Stimmen abzugreifen. Noch müssen BSW und Co. ja nirgendwo liefern.

  • Deutschland und Europa an den russischen Imperialismus zu verkaufen, ist das Gegenteil von Frieden. Da kann ich auch gleich die Nazis wählen.

    • @Kurt Kraus:

      Danke Herr Kraus! Gut auf den Punkt gebracht!

  • Die Partei"" Putins Wagenknecht"" hat komplett versagt den Afd - Nazis die Stimmen abzujagen die notwendig gewesen wären um eine weitere Ausbreitung des Populismus, Nazismus und Rechtsradikalismus zu stoppen.

    Die Wagenknechtjünger tragen zu einer weiteren Zersplitterung der Parteienlandschaft zu einem Zeitpunkt bei während die AFD im Osten in einzelnen Kommunen bis zu 40% der Stimmen gewinnt.

    Das Hauptthema der Wagenknechtpartei ist deren verbrämte und verklausolierte versteckte Zustimmung zum brutalen völkischen Imperialismus Putins. Bei diesem Thema bildet Wagenknecht eine absolute Randgruppe in der Bundesrepublik. Die Mehrheit der Bundesrepublikaner streitet um eine stärkere Unterstützung der Ukrainer versus den zurückhaltenden Kurs den Olaf Scholz fährt.

    In die Parteienlandschaft übersetzt bedeutet das: CDU & FDP & Grüne = Verstärkung der militärischen Anstrengungen für die Ukraine versus SPD = Unterstützung der Ukraine - aber mit Augenmass.

    Der Treppenwitz dieser Wahl: BSW gewinnt mit einer absoluten Randgruppenhaltung



    einer Minderheit die es eigentlich nur im Osten gibt - was anderes hat die BSW nicht



    zu bieten.

    • @zartbitter:

      sehen Sie sich einmal die Ergebnisse im Einzelnen an! Die BSW ist in etlichen Kommunen die einzige Kraft, die der afd die Stirn bieten kann.



      In MV ist die afd fast durchgängig bei 30%, BSW als einzige linke (ja linke) um die 16%, und das aus dem Stand!



      Ich bin froh dass es die BSW gibt! und das es dort vernünftige Menschen wie de Masio gibt. Die Ukrainepolitik wird BSW noch lange nicht beeinflussen können.

      • @nutzer:

        Sie schreiben es ja selbst so schön: In manchen Bundesländern erreichen die Parteien der beiden putinhörigen Damen zusammen rund 45%. Das fand ich persönlich gestern schon erschreckend. Und nach dem, was sich bsw und afdheute im Bundestag geleistet haben, finde ich es um so erschreckender.

        • @Josef 123:

          nur ist der Kreistag etwas anderes als der Bundestag.

          • @nutzer:

            Diese hohen Ergebnisse wurden nicht bei Kreistagswahlen in einzelnen Landkreisen erzielt, sondern letzten Sonntag bei der EU-Wahl in mehreren Bundesländern. Diese Leute werden nach Brüssel geschickt.

  • Er ist und bleibt ein linker Spitzenpolitiker.



    Sehr gut das er sein Talent nicht mehr in Bücher und Kommentare schreiben steckt, sondern wieder ganz vorne in der Politik mitmischt.

    Ich wünsche Ihn und dem BSW viel Kraft



    bei den anstehenden Aufgaben, gutes Personal hat die Partei ja bisher.



    Bin allerdings immer noch gespannt wie sich das bisher völlig blinde ökologische Auge des BSW entwickelt hier scheint es noch an Fachkompetenz zu fehlen.

  • Bitte nicht noch eine weitere Fraktion...



    Das ist ja schonwieder dieselbe Denkweise wie vorher bei den Linken. Es gibt schon Left, S&P und Green.



    Das Programm des BSW passt da locker rein, aber man will ja unbedingt alle anderen linken Parteien blöd finden und macht Fraktion Nummer 4 auf.

    • @SPD-Versteher:

      Die Fraktion Einiges Europa muss schließlich noch gegründet werden.

    • @SPD-Versteher:

      Hm.. ich finde, das ist wirklich eine diffizile Entscheidung: mehr Wirkung in der Gruppe, in der man aber gleich wieder das Profil verliert, mit dem so großen Erfolg hatte

    • @SPD-Versteher:

      ...also das Parteiprogramm der BSW ist so verkehrt nicht....Ausbaufähig halt noch - ist aber ja auch nich im " Welpenalter " 😉



      Schade finde ich, die Grünen haben 19 Sitze im EU Parlament eingebüßt !



      Sehr bedauerlich 🤔