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Bürgerbeteiligung beim Tempelhofer FeldAlles Schlechte kommt von oben

Die schwarz-rote Koalition will das Tempelhofer Feld bebauen. Sie versucht, dem Vorgehen mit Geld einen demokratischen Anstrich zu geben.

Muss hier wirklich gebaut werden? Viel Licht, viel Luft an einem lauen Sommerabend auf dem Tempelhofer Feld Foto: Jürgen Held/imago

Berlin taz | Bürger*innenwerkstatt, Ideenwettbewerb, Volksbefragung: Das sind die drei Zauberwörter, mit denen die schwarz-rote Koalition ihr Herzensprojekt, die Teilbebauung des Tempelhofer Felds, möglichst demokratisch aussehen lassen will. Unklar ist weiterhin, wie genau die Verfahren ausgestaltet werden – und ob eine vom Parlament verordnete Volksbefragung überhaupt rechtlich umsetzbar ist.

Die erste Stufe des direktdemokratischen Hokuspokus will der Senat bereits im April zünden: Ab dann sollen rund 500 repräsentativ ausgewählte Bür­ge­r*in­nen in der „Werkstatt“ Ideen sammeln für die Bebauung des Felds. Parallel soll ein internationaler „Ideenwettbewerb“ veranschaulichen, was auf dem Feld entstehen könnte.

Das kostet Geld – viel mehr, als im Haushaltsplan für 2024 und 2025 veranschlagt war. Das geht aus einer Antwort der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Katalin Gennburg hervor, die der taz vorliegt.

Demnach sollen die „Bürger*innen-Werkstatt“ und der „Ideenwettbewerb“ sowie ein dazugehöriger „Online-Dialog“ insgesamt 3 Millionen Euro kosten. Eingeplant waren eigentlich nur 1,2 Millionen Euro. Hinzu kommen noch Personalkosten für die drei Vollzeitstellen, die geschaffen werden sollen. Das wären zusätzlich rund 200.000 bis 275.000 Euro pro Jahr.

„Sündenfall der direkten Demokratie“

Woher das fehlende Geld kommen soll, ist ungewiss. Katalin Gennburg zeigte sich angesichts der Haushaltslage empört: „Auf der einen Seite wird ein teurer Hochglanzwettbewerb ausgelobt, um Fantasiebilder zu malen, auf der anderen Seite sollen soziale Träger und Kinder- und Jugendeinrichtungen das Licht ausmachen“, sagt die Linken-Abgeordnete der taz.

Doch nur die Kosten des Verfahrens zu kritisieren, greift laut Gennburg zu kurz. Insgesamt sei der Umgang der schwarz-roten Koalition mit dem Tempelhofer Feld ein „Sündenfall der direkten Demokratie“: „CDU und SPD erfinden sich die Standards für direktdemokratische Verfahren, wie es ihnen passt“, so Gennburg.

SPD will von oben verordnete Volksbefragung

Erfinderisch hatte sich etwa jüngst die SPD-Fraktion bei ihrer Klausurtagung in Leipzig gezeigt: Die Abgeordneten sprachen sich dafür aus, dass das Abgeordnetenhaus von sich aus Volksbefragungen ansetzen kann, um Änderungen von Gesetzen zur Abstimmung zu stellen, die selbst durch einen Volksentscheid beschlossen wurden. Es gibt nur ein Gesetz in Berlin, auf das dieses Kriterium zutrifft: das Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes von 2014, das die Bebauung des ehemaligen Flughafens untersagt.

Strittig ist die Frage, ob für die Pläne der SPD-Fraktion eine Verfassungsänderung notwendig wäre – für die die schwarz-rote Koalition keine Mehrheit hätte. Die Fraktion meint, um eine sogenannte konsultative Volksbefragung einzuführen, genüge ein mit einfacher Mehrheit beschließbares Gesetz.

Abstimmung parallel zur Bundestagswahl 2025?

Der Verein „Mehr Demokratie“ sieht das anders: „Direkte Demokratie als Instrument der Staatswillensbildung muss in der Landesverfassung geregelt werden“, erklärte der Verein am Montag. Darüber hinaus schreibe Artikel 100 der Berliner Landesverfassung vor, dass jede Einführung neuer direktdemokratischer Instrumente einer Volksabstimmung bedarf.

Die Linken-Abgeordnete Gennburg warnt, durch die Volksbefragung von oben werde die Demokratie „massiv ausgehöhlt“. Insgesamt werde nun deutlich, mit welcher Dramaturgie der Senat die Bebauung des Tempelhofer Feldes durchsetzen will: „Die Bür­ge­r*in­nen­werk­statt wird das Wie der Bebauung thematisieren, aber auch der Form halber einige kritische Stimmen zur Frage des Ob einbinden. Der Ideenwettbewerb produziert derweil schöne, suggestive Bilder.“ Die könnten dann laut Gennburg der Berliner Bevölkerung bei einer Abstimmung vorgelegt werden, die parallel zur Bundestagswahl im Herbst 2025 stattfinden könnte.

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14 Kommentare

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  • Damals war die Situation noch anders. Noch keine "Zeitenwende" und weitere Herausforderungen.



    Eine Randbebauung ist sinnvoll.



    Sie kann sozial und ökologisch erfolgen.

    • @Toni Zweig:

      P.S.: Die Bebilderung des Artikels mit einem Sonnenuntergangsfoto ist wirklich Framing pur!



      Die Sonne wird auch auf- und untergehen, wenn es dort eine Randbebauung gibt.

  • „Direkte Demokratie als Instrument der Staatswillensbildung muss in der Landesverfassung geregelt werden“, erklärte der Verein am Montag. Darüber hinaus schreibe Artikel 100 der Berliner Landesverfassung vor, dass jede Einführung neuer direktdemokratischer Instrumente einer Volksabstimmung bedarf."

    Ja dann aber ganz fix ein Datum für Plenum finden, auf dem über die Erstellung eines Antragsfomulars für eine Volksbefragung zur Ermöglichung von Volksbefragungen diskutiert wird, damit ein Ideenwettwettbewerb ins Leben gerufen werden kann, um Möglichkeiten für die Bebauung von Brachflächen zu erörtern.

    • @Deep South:

      Was der Verein übersieht ist, dass es überhaupt keine Änderungen benötigt, wenn der Senat eine rechtlich nicht bildende Bürgerbefragung durchführt und dann ein normales Gesetzgebungsverfahren anschließt.

      • @DiMa:

        Mir hat mal der Vereinsvorsitzende des örtlichen AJZs gesagt, jedes zweite Plenum wird abgehalten, um Sachen aufzuschieben, auf die niemand Bock hat.

  • Werden dann auch die grossen Wohnkonzerne enteignet, oder muss ich erst mit meinem Trecker kommen?

    • @A.S.:

      Wer bezahlt deren rechtlich zustehende Entschädigung von ca. 10-15 Milliarden €?



      Nach einer Enteignung wäre Berlin pleite. Alle anderen Behauptungen halten keiner Praxis stand und sind Schönrechnerei.

      • @Rudi Hamm:

        Also die Entschädigungssumme ist DEFINITIV nicht so hoch, wie irgendwelchen verwunderwuzzten Bilanzen behaupten.

        Wenn nach dem letzten halben Jahr mal eins sicher ist, dann das.

        Aber wenn Sie das nicht glauben, dann hab ich was für Sie: ein Loft in Top-Lage, 64. Stock, ein echtes Schnäppchen mit Blick auf den Hamburger Hafen.

  • Eine Regierung befragt die Bürger. Das sollte dann doch eigentlich als demokratisch gelten. Und die taz begehrt dagegen auf. Was ist da los? Angst vor zu viel Bürgerbeteiligung?

    Übrigens, auch in Wege von Volksentscheiden erlassenen Gesetze können wie jedes andere Gesetz auch im Wege des parlamentarischen Verfahrens geändert werden. Gelebte Demokratie.

    • @DiMa:

      Kennen Sie den Stuttgarter Hauptbahnhof?

      • @Ajuga:

        Ja. Ebenso wie die Historie zur damaligen Volksabstimmung. Beides ist nicht mit der jetzigen Situation vergleichbar.

  • Gibt es noch Investoren, die jetzt große Bauprojekte anschieben?



    Auf dem Papier bestmmt, in der Realität mit den aktuellen Gegebenheiten, wird so manches Projekt nie über die Planungsphase (da wo Investoren und Politiker noch träumen)hinauskommen.



    Evtl. hat sich das Ganze schon erledigt? Ich vermute die Zeit spielt für das unbebaute Tempelhofer Feld.

  • Der Senat könnte ja auch einfach über Strohmänner von unten ein Volksbegehren initiieren.



    Mal sehen, ob das dann Erfolg hat...

  • 1. Warum soll ein Volksentscheid, anders als alle anderen Gesetze, Ewigkeitscharakter haben?

    2. Wenn es einen neuen Volksentscheid gibt und der pro Bebauung ausfällt, was ist daran dann schlecht bzw. undemokratisch?

    3. Die Kosten für das Ganze sind auch nicht höher als für den von "Mehr Demokratie" initiierten Bürgerrat beim Bundestag, der aber weitaus weniger demokratisch legitimiert ist und noch dazu wenig konkretes ergeben hat. Bürgerräte werden massiv von den Grünen unterstützt, Kosten-Nutzen-Verhältnis ist da völlig egal. Aber hier wird dann das Kosten-Argument gezogen und die ganze Bürgerbeteiligung als "Hokuspokus" abqualifiziert?