Haushaltskrise der Ampel: „Das geht so nicht“
Das Geld für die Preisbremsen stehe nicht mehr zur Verfügung, sagt der Finanzminister. Der Co-Vorsitzende der SPD, Lars Klingbeil, hält dagegen.
Lindner hatte am Freitag in einem Interview gesagt, dass die staatlichen Preisbremsen für Strom und Gas schon mit dem Jahresende auslaufen und nicht erst Ende März, wie zuletzt geplant. Hintergrund ist das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November, durch das der Regierung Milliarden fehlen. Davon sind auch zahlreiche weitere Vorhaben betroffen.
„Wir sollten nicht über einzelne Verkündungen von einzelnen Ministern jetzt diese schwierige Debatte in den nächsten Wochen führen“, mahnte Klingbeil. „Es braucht jetzt ein Gesamtpaket. Daran muss gearbeitet werden, und wenn das fertig ist, kann es verkündet werden.“
Die Preisbremsen werden aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds finanziert. Der SPD-Politiker sagte, es sei völlig klar, dass dieser Fonds nach dem Urteil zum Jahresende auslaufen müsse; damit liefen automatisch auch die Preisbremsen aus. In der Koalition aus SPD, Grünen und FDP sei aber nicht besprochen worden, wie danach Unsicherheiten bei Energiekosten abgesichert werden. „Das muss in der Regierung besprochen worden“, sagte Klingbeil.
Das Bundesfinanzministerium reagierte inzwischen auf die Kritik vom Wochenende. „Lindner hat lediglich eine Notwendigkeit nach dem Urteil des Verfassungsgerichts ausgesprochen. Über alles besteht bereits seit Tagen mit Kanzler und Wirtschaftsminister Einigkeit“, hieß es aus Kreisen des Ministeriums. „Die interne Abstimmung bei SPD und Grünen kann möglicherweise verbessert werden.“
Unklarheit bei Förderungen
Auch bei Förderungen herrscht Verunsicherung. Vor Beratungen der Wirtschafts- und Energieminister von Bund und Ländern an diesem Montag warnt der Ökonom Marcel Fratzscher davor, bereits zugesagte Förderungen zurückzunehmen. „Ich erwarte, dass die Bundesregierung alle ihre eingegangenen Verpflichtungen ohne Ausnahme erfüllen wird. Denn wenn sie dies nicht tut, wird ein enormer wirtschaftlicher Schaden entstehen“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montag).
Die Wirtschafts- und Energieminister der Länder sprechen mit Bundesminister Robert Habeck (Grüne) in Berlin über die Auswirkungen des Karlsruher Haushaltsurteils. Im Anschluss treten Habeck, der Vorsitzende der Wirtschaftsministerkonferenz, Bayerns Ressortchef Hubert Aiwanger (Freie Wähler), und der Vorsitzende der Energieministerkonferenz, Sachsen-Anhalts Ressortchef Armin Willingmann (SPD), vor die Presse. Für Dienstag hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine Regierungserklärung angekündigt.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts klafft eine große Lücke in den Finanzen des Bundes. Das Gericht hatte eine Umwidmung von Corona-Krediten von 60 Milliarden Euro aus dem Haushalt 2021 für nichtig erklärt. Seit der Entscheidung der Richter herrscht Unsicherheit – auch über die Folgen für die Länder. Schleswig-Holstein etwa hatte nach dem Urteil eine Haushaltsnotlage für 2023 und 2024 festgestellt, denn das Bundesland arbeitet seit der Coronapandemie auch mit Notkrediten.
Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsministerin Mona Neubaur sagte, es müsse beraten werden, wie notwendige Zuschüsse finanziert werden können. Es gelte in Bündnissen auch über Parteigrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Das müssten sich auch CDU und FDP im Bund auf den Zettel schreiben.
Fratzscher sagte, ein erheblicher Teil der versprochenen Förderungen sei für Projekte in strukturschwachen Regionen, allen voran in Ostdeutschland. „Die Bundesregierung sollte umgehend eine Lösung präsentieren, die allen die Sicherheit gibt, dass ihre Versprechen erfüllt werden.“
Auch der Zweite Vorsitzende der Industriegewerkschaft IG Metall, Jürgen Kerner, warnte davor, Förderungen auszusetzen. „Bei den Unternehmen entsteht eine große Verunsicherung mit der Folge, dass Zukunftsinvestitionen ausbleiben“, sagte er ebenfalls den Funke-Zeitungen.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff sagte am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Anne Will“, dass sich Scholz nach dem Karlsruher Urteil sofort an ihn und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer gewandt habe, um über die Förderungen für Investitionen in der Region zu sprechen. „Und er hat uns klar gesagt, dass er zu diesen Projekten steht und alles dafür tun wird, dass diese kommen. Und wir nehmen den Kanzler da beim Wort.“
Debatte über Schuldenbremse
Vor den Beratungen geht die Debatte über ein weiteres Aussetzen der Schuldenbremse weiter. Fratzscher sagte, die Bundesregierung solle diese auch im nächsten Jahr aussetzen.
Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sieht Gründe, auch 2024 eine Haushaltsnotlage auszurufen. Auf Nachfrage, wie er die Notlage für 2024 inhaltlich begründen wolle, nannte Mützenich in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ den Krieg in der Ukraine und die Lage in Nahost, von der unklar sei, ob sie sich zu einem Regionalkrieg entwickeln werde.
Ähnlich äußerte sich der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil in der ARD-Sendung „Anne Will“. Er warb für eine Reform der Schuldenbremse. Auch Haseloff sieht Möglichkeiten, eine Notlage zu begründen. Das Bundesverfassungsgericht habe eine klare Ansage zur Haushaltstechnik gemacht. „Aber bezüglich der politischen Feststellung, was ist eine Notlage, gibt es Spielräume.“
Der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch nannte die Schuldenbremse im Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) eine Investitionsbremse, die die Zukunft des Landes gefährde und die soziale Spaltung verschärfe.
Der Koalitionspartner FDP steht nach Angaben ihres Fraktionschefs Christian Dürr dagegen zur Schuldenbremse. „Ich bin mir dessen bewusst, dass die FDP mit ihrer sehr klaren Haltung, die Schuldenbremse muss fest bleiben im Grundgesetz, eher alleine steht“, sagte er am Sonntagabend in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“. Es gebe im Bund und in den Ländern kein Einnahme-, sondern ein Ausgabenproblem. Die Bundesregierung werde nun darüber verhandeln, an welchen Stellen gespart werden könne.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten