Das Leid in der Stimme

Mit dem Song „Nothing Compares 2 U“ wurde Sinéad O’Connor weltberühmt. Doch ihr Leben war von Unglück geprägt. Nun ist die irische Sängerin mit 56 Jahren gestorben

Bevor sie mit einem Hidschab auftrat: Sinead O’Connor mit typisch kahl geschorenem Haupt bei einem Auftritt während des Wombad Festivals in Chile 2015 Foto: Sebastian Silva/EFE/epa/dpa

Aus Dublin Ralf Sotscheck

Ihre Stimme vergisst man nicht, wenn man sie einmal gehört hat. Sinéad O’Connor zog die Menschen mit ihrem Gesang in den Bann. Ich habe sie mehrmals live in ihrer Heimatstadt Dublin erlebt – einmal mit Glatze, einmal sehr bieder im Kostüm, einmal mit Hischab.

Sechs Jahre lang, bis 2021, war sie mehr oder weniger in einer „Klapsmühle“ untergetaucht, wie sie es in einem Interview mit Simon Hattenstone vom Guardian nannte, fügte aber hinzu, dass nur die Patienten das Wort benutzen dürfen. Sie war manisch-depressiv. Doch vor zwei Jahren erklärte man sie als stabil und sie konnte die psychiatrische Einrichtung verlassen.

Berühmt ist sie 1990 mit einer Cover-Version von Princes „Nothing Compares 2 U“ geworden. Das Lied stand lange auf dem ersten Platz in den weltweiten Charts. Eines Tages rief Prince an und sagte, er wolle sie treffen. Er ließ sie von einem Chauffeur abholen, sperrte sie in sein Haus, bestand auf eine Kissenschlacht und schlug sie dann mit einem harten Gegenstand nieder, den er im Kissen versteckt hatte. Schließlich gelang ihr die Flucht.

Nach „Nothing Compares 2 U“ hatte sie nie wieder einen Song unter den Top 10. Dafür war sie nicht kommerziell genug, sie legte sich zu oft mit den Produzenten an, brachte aber immer wieder wunderschöne Alben heraus, ob Reggae oder Pop oder im traditionellen gälischen Sean-Nós-Gesang. Und immer wieder wurde sie als Gastmusikerin eingeladen.

Sie trat der irisch-republikanischen Sinn-Féin bei

Höhepunkt ist der Titelsong „Release“ des zweiten Albums vom Afro-Celt Sound System. Dabei neigte sie immer dazu, sich kleinzumachen. „Ich bin Irin und ich bin in den siebziger Jahren aufgewachsen, als einem als gute Katholikin eingebläut wurde, dass man Scheiße sei und keineswegs stolz auf sich sein durfte.“

Musik war für sie Therapie, schrieb sie in ihrer Autobiografie „Erinnerungen“, die vor zwei Jahren erschienen ist. Aber sie war immer auch politisch: Auf dem Album „Universal Mother“ spricht sie davon, dass die irische Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts in Wahrheit ein von der englischen Regierung angeordneter Genozid war. O’Connor trat der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin bei und trat vehement für die irische Vereinigung ein.

Seit sie 2015 an ihrer Autobiografie schrieb, erlitt sie mehrere Zusammenbrüche. Die mündeten in einen Hilfeschrei, als sie aus einem Motel in den USA auf Facebook ein Video veröffentlichte. Es war nicht nur ihre psychische Erkrankung, sagte sie später, sondern sie hatte darüber hinaus Gallensteine.

O’Connor stellte das Buch erst in der Klinik fertig. Ihre Geschichte, die aus vielen kleinen Vignetten besteht, ist trotz allem in weiten Teilen lustig, aber es wird auch deutlich, wie verletzlich sie war, vor allem, wenn sie beschreibt, wie sie von ihrer Mutter physisch und sexuell misshandelt worden sei.

Sie wurde am 8. Dezember 1966 geboren und wuchs in Glena­geary auf, einem vornehmen Vorort der irischen Hauptstadt. Sie hatte vier Geschwister, darunter den Schriftsteller Joseph O’Connor, der die Mutter einmal als „zutiefst unglücklich und gestört“ beschrieb.

Die Eltern trennten sich, als Sinéad O’Connor acht Jahre alt war. An dem Tag, als der Vater auszog, sperrte die Mutter ihre Kinder ins Gartenhaus. Als es dunkel wurde, bettelte O’Connor, ins Haus gelassen zu werden, aber die Mutter blieb hart. „Das war der Augenblick, in dem ich offiziell den Verstand verloren habe und seitdem unter Agoraphobie leide“, schreibt O’Connor.

Mit 13 begann sie zu klauen. „Ich wurde Kleptomanin, wie meine Mutter.“ Sie stahl auf Bestellung ihrer Schulfreunde. Mit 14 wurde sie geschnappt und in eine Besserungsanstalt gesteckt. Eine der Nonnen vom Aufsichtspersonal kaufte ihr eine Gitarre, um Ruhe vor dem rebellischen Teenager zu haben.

Als sie 18 war, starb ihre Mutter bei einem Autounfall. Sie sei erleichtert gewesen, sagte O’Connor: „Meine Mutter war eine böse Person. Sie war vom Teufel besessen.“ Weil sie sehr viel physische Ähnlichkeit mit ihrer Mutter hatte, rasierte sie sich den Kopf, was später zu ihrem Markenzeichen wurde.

Im Jahr 1999 ließ sie sich in einem Hotelzimmer des französischen Wallfahrtsorts Lourdes von Bischof Cox zur Priesterin ordinieren. Cox war früher Hafenpolizist in Dun Laoghaire bei Dublin gewesen, wurde dann Tridentiner-Bischof – und umgehend exkommuniziert. Die Tridentiner sind eine Abspaltung von der katholischen Kirche, sie lesen ihre Messe in Latein mit dem Rücken zur Gemeinde, so wie es auch bei Katholiken üblich war, bis Papst Johannes XXIII. die Pfaffen wenden ließ.

Dabei sei sie nicht gerade eine Vorzeigekatholikin, meinte O’Connor: „Vier Kinder von vier verschiedenen Männern, und nur mit einem davon war ich verheiratet, und ich habe drei andere geheiratet, von denen keiner der Vater eines meiner Kinder ist.“ Acht Monate lang war sie mit dem australischen Bassisten Steve Cooney verheiratet, dann ließ sie sich scheiden: „Steve ist großartig, es ist nicht seine Schuld, sondern meine“, sagte sie. „Es war eine extrem glückliche Ehe.“ Ihre vierte und letzte Ehe mit einem Mann, den sie in den sozialen Medien mit einer Annonce gesucht hatte, dauerte nur sieben Tage.

Den Papst vor laufender Kamera zerrissen

Sieben Jahre vor ihrer Ordination zur Priesterin hatte sie aus Protest gegen die klerikale sexuelle Gewalt gegen Kinder ein Foto von Papst Johannes II. vor laufender Kamera im US-Fernsehen zerrissen, was ihr ein lebenslanges Auftrittsverbot bei NBC einbrachte. Erboste Katholiken zerstörten ihre Platten daraufhin mit einer Dampfwalze. Als sich die Kirche viele Jahre später bei den Opfern der pädokriminellen Priester entschuldigte, bezeichnete O’Connor das als inadäquat: Der Vatikan sei ein „Nest von Teufeln und eine Zufluchtsstätte für Kriminelle“.

Später konvertierte sie zum Islam und nannte sich Shuhada Sadaqat: „Was ich am Islam mag, ist die Tatsache, dass er antireligiös ist, ebenso wie Jesus eine militant antireligiöse Figur war. Die Religion ist das Schlimmste, was Gott passieren konnte.“ Der Islam sorge dafür, dass man weder Geld verehrt noch stiehlt, sondern sanft mit seinen Brüdern und Schwestern umgehe.

Voriges Jahr nahm sich ihr 17-jähriger Sohn Shane das Leben, worauf O’Connor mit dem Gedanken spielte, es ihm gleichzutun. Sie hatte bereits mehrere Suizidversuche hinter sich. Einmal schluckte sie eine Menge Tabletten und wandte sich an Gott: „Okay, entscheide du.“ Drei Tage später wachte sie aus dem Koma auf und meinte: „Gott denkt offenbar, dass ich solch eine Nervensäge bin, dass er mich auch nicht will.“ Am Mittwoch hat er es sich anders überlegt, Sinéad O’Connor wurde nur 56 Jahre alt.