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Nach dem Putsch in NigerZerrbilder und Zerreißprobe

Ist Nigers Putsch eine „Vollendung der Souveränität“, die bejubelt, oder „ein Putsch zu viel“, der beendet gehört? Westafrika streitet.

Kundgebung für die Putschisten in Nigers Hauptstadt am 27. Juli Foto: Sam Mednick/ap

Berlin taz | Es ist ein dramatischer Ruf zu den Waffen, den Nigers gestürzter Präsident Mohamed Bazoum nach acht Tagen in der Gewalt der Militärputschisten in der Nacht zum 4. August an die Welt gerichtet hat. „Ich schreibe dies als Geisel: Niger ist Opfer eines Angriffs durch eine Militärjunta“, beginnt sein Aufruf, den die Washington Post veröffentlichte, und endet wie folgt: „In unserer Schicksalsstunde rufe ich die US-Regierung und die gesamte internationale Gemeinschaft dazu auf, uns zu helfen, unsere verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen. In diesem Schlüsselmoment unserer Geschichte wird das nigrische Volk eure Unterstützung nie vergessen.“

Mohamed Bazoum ist kein Wolodimir Selenski, und der Putsch seiner Garde am 27. Juli 2023 ist nicht vergleichbar mit Russlands Überfall auf die Ukrai­ne am 24. Februar 2022, aber der Umgang mit Nigers Putsch stellt für Afrika eine ähnliche Herausforderung dar wie der Ukrainekrieg für Europa.

Am Sonntag läuft ein Ultimatum der Regionalorganisation Ecowas (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) an ­Nigers Putschisten ab, die Macht abzugeben oder mit Gewalt rechnen zu müssen. Das Zeitfenster schließt sich rapide.

Eine hochrangige Vermittlerdelegation aus Nigeria reiste am Freitag früh nur wenige Stunden nach ihrer Ankunft in Nigers Hauptstadt Niamey wieder ab, ohne den Flughafen verlassen zu haben. Sie wurde im VIP-Salon von einem Juntamitglied abgespeist.

Krieg mit den Nachbarländern?

Das mächtige Nigeria setzt bereits Truppen Richtung Niger in Bewegung. Es hat den Strom für Niger abgestellt – Nigeria liefert 70 Prozent des nigrischen Strombedarfs – und die lange gemeinsame Grenze, über die viel Kleinhandel läuft, geschlossen. Die Generalstabs­chefs der Ecowas-Länder tagen seit Donnerstag in Nigerias Hauptstadt Abuja und sollen ein Einsatzkonzept beschließen, über das die Ecowas befinden kann.

Nigers zweiter südlicher Nachbar Benin sowie Senegal, das in Gambia 2017 die letzte Ecowas-Intervention in einem Mitgliedsland anführte, haben Truppen zugesagt. Benins Außenminister Olushegun Adjadi Bakari sagte im französischen RFI-Rundfunk, es gehe nicht darum, „gegen“ ein Land zu intervenieren, sondern man wolle „eine demokratisch gewählte Autorität befreien“. Senegals Außenministerin ­Aïssata Tall Sall sagte vor Journalisten in Dakar, der Putsch in Niger sei „ein Putsch zu viel“ – nach ­denen in Mali, Guinea und ­Burkina Faso.

In Niger macht die Junta ihrerseits mobil. Die Botschafter in Frankreich, den USA, Nigeria und Togo wurden am Donnerstagabend abberufen. Die Ausstrahlung des französischen Senders RFI in Niger wurde gestoppt, die geltenden Koopera­tionsabkommen mit Frankreich – die unter anderem Frankreichs Militärpräsenz in Niger erlauben – ausgesetzt. Jede „Aggression“ bedeute einen „sofortigen Gegenschlag“, warnte Juntachef Tchiani.

Bei Kundgebungen zu ­Nigers Unabhängigkeitstag am Donnerstag prangte auf einem Fahrzeug ein professionell anmutendes Großplakat, das Nigerias Präsidenten Bola Tinubu „Ebola Tinubu“ nannte, ihn als „Kindheitsfreund von Brigitte Macron und illegitimen Sohn von Joe Biden“ bezeichnete und ihn in Affengestalt zeigte.

Nigers Junta mobilisiert „gegen die Aggression“

Solche Aktionen in Afrika sind gemeinhin das Werk von Influencern aus dem Firmenreich der russischen Wagner-Truppe, die den Putsch in Niger begrüßt hat; es tauchen auch immer mehr russische Fahnen auf Kundgebungen in Niamey auf, und die hatten die Leute sicherlich nicht schon zu Hause herumliegen. Für Wagner und Russland wäre Niger mit seinen Uranminen, von denen Frankreichs AKWs abhängen, eine strategisch ungleich bedeutsamere Beute als Mali.

Gegen die drohende „Aggression“ mobilisiert Nigers Junta auch ihre Freunde in der Region. Emissäre aus Niamey haben in Mali und Burkina Faso Gespräche mit den dortigen Militärmachthabern geführt. Die Putschregierungen in Bamako und Ouagadougou, beide von der Ecowas suspendiert sind, hatten bereits Anfang der Woche in einer gemeinsamen Erklärung bekundet, sie würden jeden Ecowas-Einsatz in Niger als „Kriegserklärung“ behandeln.

Die Gespräche führt die Nummer zwei der nigrischen Junta, General Salifou Mody. Diese Personalie ist aufschlussreich. Mody vertritt keine junge Generation, die gegen eine verkrustete alte Garde aufbegehrt. Er ist selbst die alte Garde, ebenso Juntachef Tchiani. Dieser kommandierte bislang die Präsidentengarde. Mody war Nigers Generalstabschef, bis Bazoum ihn im April entließ; bereits in den 1990er Jahren war er an mehreren Militärputschen in Niger beteiligt. Mit seiner Entlassung wollte der gewählte zivile Präsident Bazoum jetzt eine Militärreform einleiten, die auch Tchiani und andere Generäle betroffen hätte. Die Generäle haben das nun gestoppt, per Putsch.

Aber um sich zu behaupten, stellen Nigers Putschisten ihren Umsturz nun in eine Reihe mit dem antiwestlichen Populismus in Mali, Burkina Faso und Guinea. Der entspricht einer tiefsitzenden Gesamtstimmung in der Region nach einem Jahrzehnt massiven westlichen Eingreifens im Namen der Terrorbekämpfung, der alles andere untergeordnet wurde.

Der Kampf um den richtigen Diskurs

„Wir können nicht weitermachen wie bisher, ohne das allmähliche und unvermeidliche Verschwinden unseres Landes zu riskieren“, sagt Putschistenführer Tchiani. Mali und Burkina Faso loben in ihrer Solidaritätsbotschaft Nigers Putsch als „Vollendung der Souveränität“ und vergleichen die drohende Ecowas-Intervention in Niger mit der Nato-Intervention in Libyen 2011. Es sei „abenteuerlich“, dass „gewisse politische Verantwortliche in Westafrika Gewalt anwenden wollen, um in einem souveränen Land die Verfassungsordnung wiederherzustellen, und sie andererseits Nichtstun, Gleichgültigkeit und passive Komplizenschaft an den Tag legen, wenn es darum geht, den Staaten und den Völkern zu helfen, die seit einem Jahrzehnt als Opfer des Terrors ihrem Schicksal überlassen werden“.

Guineas Junta meint in ihrer Erklärung: „Im Moment, wo die junge Bevölkerung des Ecowas-Raumes ein menschliches Drama in Tunesien und im Mittelmeer erlebt, sollten sich die Führer der Region eher um strategische und sozioökonomische Belange kümmern als um das Schicksal gestürzter Präsidenten.“

Der Appell des gestürzten Präsi­den­ten Bazoum liest sich in Teilen wie eine Antwort. „Nigers­ Sicherheitslage ist erheblich besser als die in Mali und Burkina Faso“, schimpft er: „Statt sich um die Sicherheit zu kümmern, indem sie ihre eigenen Kapazitäten stärken, stellen sie kriminelle russische Söldner ein.“ Er warnt vor einem Wiederaufleben der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram und ihrer „hasserfüllten antiwestlichen Indoktrination unserer Jugend“.

Welcher dieser beiden Diskurse sich durchsetzt, ist jetzt die entscheidende Frage für Westafrikas Zukunft.

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1 Kommentar

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  • Vor allem wird der Kreml gleich noch weitere Länder mit sozialer Unzufriedenheit im Handstreich einsammeln: da wäre Senegal, dann Elfenbeinküste und alle jene Regionen, in denen Menschen finden, es gäbe zu viel Korruption, zu wenig Bekämpfung islamistischen Terrors und den Westeuropäern müsste man es mal zeigen, mit einem starken Gegner.