Duales Modell an sächsischen Schulen: Ausbildung oder Abi? Beides!
Immer weniger Jugendliche machen eine Lehre. Der Trend geht zu Abi und Studium. Sachsen bietet Schüler:innen ein duales Modell an, das gut ankommt.
Das Dubas-Programm dauert vier Jahre und ist in den drei größten Städten Sachsens möglich. In Chemnitz können sich Dubas-Schüler:innen zu Industriekaufleuten ausbilden lassen, in Dresden zu Fachinformatiker:innen und IT-Systemelektroniker:innen, in Leipzig zu Industriemechaniker:innen, Zerspanungsmechaniker:innen und Metallbauer:innen. Die Phasen in der Schule und im Betrieb wechseln sich blockweise ab, am Ende der vier Jahre haben die Jugendlichen zwei Abschlüsse in der Tasche.
In den Ferien im Betrieb arbeiten
„Das Dubas-Programm ist das Beste, was mir hätte passieren können“, sagt Annabell Neumann, eine von knapp 220 Dubas-Schüler:innen in Sachsen. Die 19-Jährige, die gerade vom Sportunterricht kommt, sitzt an einem Freitagmorgen im Juni auf dem Schulhof der Leipziger Karl-Heine-Schule und isst ihr Pausenbrot. Sie trägt eine violett-pinke Sporthose, ihr braunes Haar hat sie zu einem Zopf zusammengebunden. Hätte sie beim Tag der offenen Tür der Berufsschule nicht vom Dubas-Programm erfahren, so erzählt es Annabell, dann hätte sie sich für das Abitur und gegen eine Ausbildung entschieden. Was bedeutet, dass sie ihren heutigen Beruf vielleicht nie kennengelernt hätte.
Seit 2020 macht Annabell eine Ausbildung zur Industriemechanikerin bei einem Automobilhersteller in Leipzig. „Die Ausbildung macht mir super viel Spaß“, sagt Annabell, die schon als Kind gerne mit Konstruktionsbaukästen gespielt hat. Eine ihrer Aufgaben ist es, Metall zu bearbeiten. „Ich drehe, fräse, säge und feile, es ist ein bisschen so wie Basteln für Erwachsene“, sagt die Leipzigerin. Seit Montag sind Schulferien in Sachsen. Annabell arbeitet nun wieder für acht Wochen in ihrem Betrieb. 2024 macht sie ihren Doppelabschluss.
Die Idee, Abitur und Ausbildung gleichzeitig zu absolvieren, ist nicht neu. Schon in der DDR gab es einen solchen Bildungsweg. 2011 wurde das Modell in Sachsen probehalber wieder eingeführt und 2018 als Regelausbildung im sächsischen Schulsystem verankert. Wie eine Umfrage der taz unter allen 16 Bildungsministerien der Länder zeigt, ist das Dubas-Programm in Deutschland nahezu einzigartig. Neben Sachsen bietet nur Berlin Schüler:innen die Möglichkeit, Abi und Ausbildung binnen vier Jahren parallel zu absolvieren – dort in den Berufen Hotelfachfrau/Hotelfachmann sowie Anlagenmechaniker:in für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. In einigen Bundesländern können Schüler:innen zwar Fachabi und Ausbildung gleichzeitig machen, nicht aber Abi.
Geld verdienen während der Schule
„Das Programm richtet sich an leistungsstarke Schüler:innen“, sagt Annabells Schulleiter Uwe Schubert. Der 59-Jährige weiß, wovon er spricht. Er selbst hat in der DDR eine Ausbildung zum Zerspanungsfacharbeiter und gleichzeitig das Abitur gemacht. „Um in das Dubas-Programm aufgenommen zu werden, braucht man einen Realschulabschluss, der Notenschnitt sollte besser als 2,5 sein“, sagt Schubert. „Weil die Dubas-Klassen recht klein sind, werden die Schüler:innen stark gefördert und müssen mehr leisten.“
In Annabells Klasse zum Beispiel sind nur zehn Personen – acht Männer und zwei Frauen. Hinzu komme, dass Dubas-Schüler:innen keine Schulferien hätten, sondern in dieser Zeit im Betrieb seien, sagt der Schulleiter. Während andere Schüler:innen also ins Freibad gehen, ausschlafen oder Netflix schauen, müssen sie arbeiten. „Die Dubas-Schüler:innen haben Urlaubstage wie alle anderen Auszubildenden auch“, erklärt Schubert. Die Vorteile des Programms seien, dass die Schüler:innen bereits Geld verdienen und den Alltag in einem Betrieb kennenlernen. „Ich habe damals viel von den Vorteilen der zwei Abschlüsse profitiert. Es war ein gutes Gefühl zu wissen, dass man einen Beruf erlernt und obendrein noch die Möglichkeit hat, zu studieren“, erinnert sich der Direktor. Am Ende bleibe die Dubas-Ausbildung aber eine Doppelbelastung.
„Es gibt super stressige, aber auch entspannte Wochen“, erzählt Annabell. Schule finde sie entspannter, weil sie morgens später aus dem Haus muss. „Für die Arbeit stehe ich um vier Uhr auf, für die Schule erst um halb sieben.“ Natürlich habe sie weniger Freizeit als andere Oberschüler:innen. Dafür verdiene sie aber auch 1.000 Euro brutto pro Monat. „Im Herbst fliege ich nach Island. So einen Urlaub hätte ich mir sonst nie leisten können“, sagt die Schülerin.
Auch Paul Hoffmann, ebenfalls Dubas-Schüler an der Karl-Heine-Schule, findet das Programm „nicht total stressig“. Abi und Ausbildung mache er eher abwechselnd als gleichzeitig, sagt der 18-Jährige. „Es ist nicht so, dass ich mich abends nach der Arbeit ständig hinsetzen und für die Schule lernen muss.“ Manchmal, gibt Paul zu, ärgere es ihn aber schon, wenn er höre, dass seine alten Klassenkameraden vom Gymnasium wieder zwei Wochen Ferien haben. Vor zwei Jahren ist Paul für das Dubas-Programm vom Gymnasium auf die Berufsschule gewechselt. „Nur Schule war mir zu theoretisch, mir fehlte die Praxis“, sagt Paul. Seine Ausbildung zum Industriemechaniker macht er im selben Betrieb wie Annabell, die eine Stufe über ihm ist.
Während es Anfang der Nullerjahre noch einen gravierenden Mangel an Lehrstellen in Deutschland gab, wird es für Betriebe heute zunehmend schwerer, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen. Fachleute gehen inzwischen von einer Nichtbesetzungsquote von 28 Prozent bei den Lehrstellen in Deutschland aus. Ein Grund dafür ist, dass es aufgrund der demografischen Entwicklung weniger Schulabgänger:innen gibt. Laut dem Bundesinstitut für Berufsbildung waren es 2013 bundesweit noch rund 555.000 Absolvent:innen. 2022 waren es nur noch etwa 451.000 und für 2025 wird ein Rückgang um weitere 6.000 erwartet.
Nur wenige Unternehmen unterstützen das Dubas-Programm
Zudem wollen viele Schulabgänger:innen lieber studieren als eine Ausbildung absolvieren. Im Wintersemester 2022/23 gab es mehr als doppelt so viele Studierende wie Auszubildende. Die Zahl der Auszubildenden hat sich in den vergangenen zehn Jahren um 15 Prozent verringert, seit 1985 sogar um 33 Prozent, wie Daten des Statistischen Bundesamts zeigen.
Das sächsische Dubas-Programm ist ein Versuch, trotz des Trends zu Abitur und Studium Schüler:innen für die Berufsausbildung zu gewinnen und damit dem drohenden Fachkräftemangel in Deutschland langfristig entgegenzuwirken. Das große Problem des Bildungswegs allerdings sei derzeit, dass nur wenige Unternehmen das Dubas-Programm unterstützen, sagt Uwe Schubert von der Karl-Heine-Schule. In Leipzig seien es gerade einmal vier. „Für die Betriebe stellt die Dubas-Ausbildung einen Mehraufwand dar“, erklärt der Schulleiter.
Dubas-Auszubildende hätten pro Jahr 26 Wochen Schule, „normale“ Auszubildende hingegen nur 13 Wochen. „Die Dubas-Schüler:innen verbringen also deutlich weniger Zeit im Betrieb, müssen am Ende aber die gleichen Inhalte vermittelt bekommen. Das heißt, die Unternehmen müssen für sie einen extra Ausbildungsplan erstellen.“ Aus diesem Grund beteiligten sich zum Beispiel weder die Leipziger Stadt- und Wasserwerke noch die Deutsche Bahn am Programm, sagt Schubert.
Hinzu komme, dass viele Dubas-Absolvent:innen zum Studieren weggingen und nach dem Abschluss nicht in ihren Ausbildungsbetrieb zurückkehrten. Die Unternehmen profitieren am Ende also nicht unbedingt selbst von den Dubas-Absolvent:innen, die sie vier Jahre ausgebildet haben. Trotzdem hofft Schubert, dass künftig mehr Betriebe mitmachen – und das Programm als „langfristige Investition sehen, die dazu führt, dass es auch in der Region eine Auswahl an möglichen Fach- und Führungskräften gibt“.
Das Chemnitzer Unternehmen Eska, das Produkte aus Metall herstellt, bildet seit 2018 Dubas-Schüler:innen aus. „Wir möchten unsere Ausbildungsplätze für Industriekaufleute nur noch mit Duabas-Schüler:innen besetzen“, sagt Anna-Lena Windisch aus der Personalabteilung. „Unser Ziel ist es, sie danach zu übernehmen.“ Das Unternehmen biete Dubas-Auszubildenden zum Beispiel an, nach ihrem Abschluss dual zu studieren. Windisch hat selbst das Dubas-Programm bei Eska absolviert. Vor zwei Jahren hat sie ihre Ausbildung zur Industriekauffrau abgeschlossen. Seither arbeitet sie bei Eska. „Ich habe mich so wohl im Unternehmen gefühlt, dass ich nicht zum Studieren weggehen wollte“, sagt die 22-Jährige. Seit diesem Jahr studiert sie Personalmanagement an einer Fernuni.
Annabell, die angehende Industriemechanikerin aus Leipzig, möchte unbedingt studieren, sobald sie mit ihrer Ausbildung und dem Abitur fertig ist. Welches Fach, wisse sie noch nicht, „vielleicht Umwelttechnik oder Sicherheitsingenieurwesen“, sagt sie. Ihren Ausbildungsbetrieb möchte sie für das Studium nicht verlassen. „Entweder ich arbeite halbtags und absolviere ein Fernstudium oder ich mache ein duales Studium.“ Annabell ist es wichtig, während des Studiums weiter Geld zu verdienen. Ihr Kollege Paul hingegen wird den Betrieb nach seinem Abschluss 2025 vermutlich verlassen. „Ich möchte ein Auslandsjahr machen, vielleicht auf einer Farm arbeiten“, sagt er. Ob er danach studieren will, wisse er noch nicht. „Wenn, dann keinen ausschließlich technischen Studiengang.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“