Am lebenden Objekt

Das Deutsche Historische Museum zeigt eine große Schau über Wolf Biermann und seine beiden Deutschlands

Wolf Biermann hier bei seiner Westtour in Köln am 13. November 1976. Die DDR-Grenzer ließen ihn danach nicht wieder einreisen Foto: Barbara Klemm/DHM

Von Klaus Hillenbrand

Da steht das Monster, nicht mitten im Raum, sondern eher unauffällig an einer Wand: grau, groß, kalt und still. Das „Umlauf-Karteigerät Typ KG II“ wurde in Gotha hergestellt und hat Platz für viele, für sehr viele Karteikarten. Dieses hier, wie könnte es beim Thema Biermann anders sein, kommt von der Staatssicherheit, wo es gewiss treue Dienste im Kampf gegen kapitalistische Wühlarbeit geleistet hat.

Daneben finden sich ein paar faksimilierte Blätter aus Biermanns Stasi-Akte, die insgesamt 50.000 Seiten umfasst. „Menschlich fühl’ich mich verbunden mit den armen Stasi-Hunden“, sang Biermann einst in der Chausseestraße, doch die Staatssicherheit war blöde genug, aus der Zeile „die Stasi ist mein Eckermann“ einen „Henkersmann“ zu machen. Lag es am Rauschen der Abhörgeräte, an zu viel Ohrenschmalz oder fehlenden Kenntnissen über Goethes Sekretär in der Normannenstraße?

Das Berliner Deutsche Historische Museum hat eine Biermann-Ausstellung auf die Beine gestellt. Solch Unterfangen ist aus den verschiedensten Gründen ein Wagnis. Das Schwierigste: Der Mann lebt noch, und er ist nicht unbedingt für bescheidene Zurückhaltung bekannt. Wir wollen es Museumschef Raphael Gross dennoch gerne glauben, dass sich Wolf Biermann in die Konzeption seiner Schau nicht eingemischt hat. Dafür fehlen auch jegliche Indizien: Der Ausstellung gelingt es, ihren Protagonisten nicht zu beweihräuchern, aber ihn dennoch als den darzustellen, der er nun einmal ist: eine deutsch-deutsche Liebes- und Hassfigur, ein Kommunist und Merkel-Wähler, Fan der Grünen und Mitarbeiter der Tageszeitung Die Welt. Tja. „Wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt drin um.“

Natürlich sind da die Bilder aus Köln ausgestellt, gemacht am 13. November 1976 bei dem legendären Konzert, nach elf Jahren Auftrittsverbot in der DDR. Drei Tage später folgte als Reaktion die Ausbürgerung aus dem „ersten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staat“ (Eigenwerbung), die schon vorher beschlossen worden war. Wer sich die volle Dröhnung geben will, kann auf einem Bänkchen in einem kleinen Nebenraum Platz nehmen und sich das ganze vielstündige Kölner Konzert reinziehen und dabei feststellen, dass er auch nicht jünger geworden ist. Zu sehen ist in der Ausstellung aber auch das Harmonium, auf dem Biermann an diesem Abend spielte, und ein Foto seines Vaters Dagobert, der an diesem Tag seinen 72. Geburtstag hätte feiern können, wenn er nicht elendig von den Nazis 1943 in Auschwitz ermordet worden wäre, als Jude und als Kommunist.

Dass die deutsche Geschichte für so einige Tiefpunkte gut ist, erkennt man ein paar Meter weiter beim Durchblättern des Neuen Deutschland vom 22. November 1976. Seitenlang erklären da Kulturschaffende wie Angehörige der Arbeiterklasse, wie weise doch der Beschluss der Staatsführung gewesen sei, diesen Biermann aus der DDR zu werfen – die Leserbriefflut ist eine Reaktion auf die vehementen Proteste von DDR-Intellektuellen gegen diesen Schritt. Dabei haben sich die Propaganda-Macher dummerweise in ihrer eigenen Argumentation verheddert. Wieso eigentlich wissen all diese Biermann-Kritiker so gut über den Sänger und Dichter Bescheid, wenn von dem doch über mehr als ein Jahrzehnt kein Sterbenswörtchen zu hören gewesen ist? Haben die etwa West-Fernsehen geguckt?

Doch kehren wir noch einmal zurück zu Vater Dagobert. Wolf Biermann hat selbst erklärt, seine Ausreise aus der Bundesrepublik in die DDR im Jahr 1953 sei auch von dem Willen beseelt gewesen, das Vermächtnis des ermordeten Vaters der Erfüllung näher zu bringen – den Kommunismus voranzubringen. Der junge Biermann ist begabt und er hat Glück. Er darf als Regieassistent unter Helene Weigel am Berliner Ensemble arbeiten. Seine Lyrik wird veröffentlicht. Doch dann geht Biermann in den Augen der DDR-Bonzen zu weit. Er wagt es, den Mauerbau am Theater zu thematisieren. Seine Antrag auf SED-Mitgliedschaft wird abgelehnt. Man kann in der Ausstellung das Schriftstück bewundern. Ab 1965 erhält Biermann Auftritts- und Publikationsverbot.

Erst viele Jahrzehnte später, nun in die Bundesrepublik zwangsweise zurückgekehrt, hat Wolf Biermann an die jüdische Herkunft seines Vaters angeknüpft – mit der Übersetzung von Jizchak Katzenelsons Poem über den Aufstand im Warschauer Ghetto, mit Besuchen in Jerusalem und auch mit seinem Bekenntnis zum Staat Israel während des US-Kriegs gegen den Irak, den er für legitim hielt. Und mit seinem eigenen Holocaust-Mahnmal im Hamburger Garten. Auch dieser Teil von Biermann kommt in der Ausstellung zur Sprache.

Das Vermächtnis des Vaters, der Kommunismus, ist bei Biermann früher abhanden gekommen, wenn auch erst nach seiner Ausbürgerung. Wenn man sich seine Werke in der Zeit unmittelbar nach 1976 anschaut, seine krummen Versuche, über Grüne, Nazis, den Umweltschutz und Gorleben zu dichten, kann man sich die Trennungsschmerzen vorstellen, die zunächst eine gewisse politische Verwirrung zur Folge hatten.

281 Objekte auf 560 Quadratmeter Fläche gibt es in Berlin zu Biermann zu sehen. 99 dieser Exponate stammen aus Wolf Biermanns Vorlass, den der heute 86-Jährige vor zwei Jahren der Berliner Staatsbibliothek vermacht hat. Und doch fehlt da etwas. Die Projektleiterin des Deutschen Historischen Museums Doris Blume drückt es so aus: Die Ausstellung „fokussiert auf die Zeiten aus Biermanns Leben, die historische Patina haben“, sagte sie vor der Eröffnung der Schau. Das ist einem historischen Museum einerseits kaum zu verdenken, andererseits wird so der Erzählfaden immer dünner, je weiter Biermanns Geschichte voranschreitet.

Ja, es ist schon sehenswert, wie Biermann bei seinem Auftritt im Bundestag anlässlich des 25. Jahrestags des Mauerfalls 2014 sich der Linkspartei annimmt und dabei so richtig glücklich ausschaut (was man über die Linke weniger behaupten kann). Dass Biermann diese Partei für einen reaktionäre Haufen hält, ist nicht ganz unbekannt wie nicht ganz unbegründet.

Doch dann geht Wolf Biermann in den Augen der DDR-Bonzen zu weit

Dann folgt noch Wolf Biermann auf dem Kiewer Maidan 2014 und die Frage, wie wohl Leipzig im Revolutionsjahr 1989 ausgesehen hätte, wäre damals Wladimir Putin am Ruder gewesen. Das ist aber auch schon wieder neun Jahre her. Und dann ist da nicht mehr viel.

Man hätte schon gerne gewusst, wie Wolf Biermann den russischen Krieg in der Ukrai­ne einordnet und was er über die chinesische Diktatur denkt, auch wenn das vielleicht in Objekten nur schwer darstellbar ist – es gibt ja auch Hörstationen. Und was ist eigentlich mit der Biermann-Rezeption zu seinen DDR-Zeiten in der Bevölkerung – also jenseits der intellektuellen Elite? Da muss man schon Stefan Wolles großartigen Essay im Katalog lesen, um schlauer zu werden, die Ausstellung bietet dazu nur wenig.

Und doch fährt es sich nach einem Besuch dieser Ausstellung ganz besonders beschwingt von den Linden südwärts durch die Berliner Heinrich-Heine-Straße, wo früher einmal ein deutsch-deutscher Grenzübergang bestand. Und Fahrräder keinesfalls zugelassen waren. Und Wolf Biermann schon gar nicht.

„Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland“. Deutsches Historisches Museum, Berlin, Unter den Linden. Bis 14. 1. 24. Der Katalog (Chr. Links-Verlag, 223 Seiten) kostet 25 Euro.