Deutschland in Rezession: Bitte keine Krisenbeschwörung
Trotz der Delle der deutschen Wirtschaft ist die Lage nicht so schlecht. Bedenklich, dass der Finanzminister von einer wirtschaftspolitischen Zeitenwende redet.
D ie deutsche Wirtschaft befindet sich in einer Rezession, das Bruttosozialprodukt ist zwei Quartale in Folge gesunken. Über das Gesamtjahr sagt das nichts aus – möglicherweise schafft die deutsche Wirtschaft 2023 noch ein kleines Plus.
Angesichts der vielen gleichzeitigen Desaster – von Corona über den Krieg in der Ukraine bis zur Energieknappheit – ist die Lage insgesamt nicht so schlecht, wie viele Ökonom:innen noch vor wenigen Monaten vorausgesagt haben.
Aber: Ob eine schwierige Situation zu einer ausgewachsenen Wirtschaftskrise wird, hängt nicht nur von Zahlen ab. Ein wichtiger Faktor ist die Deutung: Wer eine Krise beschwört, trägt dazu bei, dass sie kommt.
Neue FDP-Geschenke für Reiche?
Deshalb ist es fatal, dass FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner die eher technische Rezession wieder einmal zum Anlass nimmt, eine „wirtschaftspolitische Zeitenwende“ wie in der Sicherheitspolitik nach dem Angriff auf die Ukraine zu fordern.
So sorgt der FDP-Mann für eine Krisenstimmung, die er offenbar nutzen will, um seine Anhänger:innen zu bedienen, etwa mit Steuersenkungen oder besseren Investitionsbedingungen. Doch statt Geschenke für Reiche sind wirksame Maßnahmen für diejenigen mit wenig Geld erforderlich.
Die Inflation und vor allem die hohen Energiepreise bringen viele in die Bredouille; Instrumente wie die Gas- und Strompreisbremse können das nur begrenzt abfedern. Die Folge ist eine massive Kaufzurückhaltung. Viele Verbraucher:innen müssen sparen, wo immer sie können. Das schlägt sich auch in den Bilanzen der Wirtschaft nieder.
Enttäuschender Kanzler
Hier rächt sich der immense Reallohnverlust, den die Beschäftigten hinnehmen müssen. Die Löhne – und auch die Sozialleistungen – steigen im Verhältnis zur Inflation nicht genug.
Es zeichnet sich ab, dass die aktuellen Krisen wieder diejenigen mit geringen oder durchschnittlichen Einkommen tragen und nicht die Vermögenden oder die Aktionär:innen. Das ist enttäuschend für eine Regierung mit sozialdemokratischem Kanzler und grünem Vizekanzler.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung