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Deutschland in RezessionBitte keine Krisenbeschwörung

Anja Krüger
Kommentar von Anja Krüger

Trotz der Delle der deutschen Wirtschaft ist die Lage nicht so schlecht. Bedenklich, dass der Finanzminister von einer wirtschaftspolitischen Zeitenwende redet.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) sorgt für Krisenstimmung

D ie deutsche Wirtschaft befindet sich in einer Rezession, das Bruttosozialprodukt ist zwei Quartale in Folge gesunken. Über das Gesamtjahr sagt das nichts aus – möglicherweise schafft die deutsche Wirtschaft 2023 noch ein kleines Plus.

Angesichts der vielen gleichzeitigen Desaster – von Corona über den Krieg in der Ukraine bis zur Energieknappheit – ist die Lage insgesamt nicht so schlecht, wie viele Öko­no­m:in­nen noch vor wenigen Monaten vorausgesagt haben.

Aber: Ob eine schwierige Situation zu einer ausgewachsenen Wirtschaftskrise wird, hängt nicht nur von Zahlen ab. Ein wichtiger Faktor ist die Deutung: Wer eine Krise beschwört, trägt dazu bei, dass sie kommt.

Neue FDP-Geschenke für Reiche?

Deshalb ist es fatal, dass FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner die eher technische Rezession wieder einmal zum Anlass nimmt, eine „wirtschaftspolitische Zeitenwende“ wie in der Sicherheitspolitik nach dem Angriff auf die Ukraine zu fordern.

So sorgt der FDP-Mann für eine Krisenstimmung, die er offenbar nutzen will, um seine An­hän­ge­r:in­nen zu bedienen, etwa mit Steuersenkungen oder besseren Investitionsbedingungen. Doch statt Geschenke für Reiche sind wirksame Maßnahmen für diejenigen mit wenig Geld erforderlich.

Die Inflation und vor allem die hohen Energiepreise bringen viele in die Bredouille; Instrumente wie die Gas- und Strompreisbremse können das nur begrenzt abfedern. Die Folge ist eine massive Kaufzurückhaltung. Viele Ver­brau­che­r:in­nen müssen sparen, wo immer sie können. Das schlägt sich auch in den Bilanzen der Wirtschaft nieder.

Enttäuschender Kanzler

Hier rächt sich der immense Real­lohnverlust, den die Beschäftigten hinnehmen müssen. Die Löhne – und auch die Sozialleistungen – steigen im Verhältnis zur Inflation nicht genug.

Es zeichnet sich ab, dass die aktuellen Krisen wieder diejenigen mit geringen oder durchschnittlichen Einkommen tragen und nicht die Vermögenden oder die Aktionär:innen. Das ist enttäuschend für eine Regierung mit sozialdemokratischem Kanzler und grünem Vizekanzler.

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Anja Krüger
Wirtschaftsredakteurin
Buchveröffentlichungen: „Die verlogene Politik. Macht um jeden Preis“ (Knaur Taschenbuch Verlag, 2010), „Die Angstmacher. Wie uns die Versicherungswirtschaft abzockt“ (Lübbe Ehrenwirth, 2012).
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15 Kommentare

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  • @ZEBULON

    Das könnte helfen, ja.

    Dumm nur, dass Menschen sowas wählen. Das ist das eigentliche Problem.

  • Ob die jetzige Situation sich zu einer wirklichen Krise auswächst wird sich zeigen. Ich sehe in Deutschland durchaus eine Reihe von strukturellen Defiziten. Inflation, hohe Staatsschulden, hohe Energiekosten für Unternehmen wie auch Privatpersonen, Arbeitskräftemangel - das wären einige Punkte. Dazu kommen schon lange aufgeschobene, dringend notwendige Investitionen in die Infrastruktur, und zwar in allen Bereichen, die nicht getätigt werden können. Dazu vergleichsweise hohe Steuern und Abgaben. Das sind schon schwerwiegende Defizite für eine Volkswirtschaft.

  • Die Krise muss niemand herreden. Sie wohnt bei uns in D und hat sich häuslich eingerichtet.



    Ein Beispiel:



    Bin mit Nachbarin durch die Stadt gelaufen. Von einer Apothekee zur nächstenn. Ihr überlebenswichtiges Medikament ist nicht lieferbar.



    Nun sitzen wir seit Stunden beim Arzt im Wartezimmer und hoffen.....



    Keine schöne Zeiten! Das ist nur ein Beispiel für den täglichen Überlebenskampf.

  • "Bitte keine Krisenbeschwörung" jetzt bin ich verwirrt: gibt es auch keine Klimakrise oder nur keine Wirtschaftskrise?

  • Wieso fordert der FINANZminister eine WIRTSCHAFTs-Zeitenwende? Was würde Christian denn sagen, wenn ein anderes Ressort eine FINANZ-Zeitenwende fordert??? Schon mal was von Zuständigkeiten gehört???

  • Mission accomplished, Lindner.

    • @tomás zerolo:

      Also ich schmeiß den jetzt raus. Ich kann den nicht mehr sehen. Soll den Scholz (gell, unser Kanzler heißt derzeit so, das isser doch ?) gleich mitnehmen. Wegen Arbeitsverweigerung.

  • Die Autorin in her own Words:



    - "Die Inflation und vor allem die hohen Energiepreise bringen viele in die Bredouille"



    - "eine massive Kaufzurückhaltung"



    - "der immense Real­lohnverlust, den die Beschäftigten hinnehmen müssen"

    Und da soll Lindner für eine Krisenstimmung sorgen? Die gibt es doch schon längst - auch ohne Lindner.

    Und wenn die Deindustrialisierung voranschreitet, weil die Energiekosten anderswo niedriger sind und weil bislang profitable Wirtschaftszweige stillgelegt werden, um die Welt zu retten, werden auch die Arbeitslosenzahlen wieder hochgehen. Das gehört zu den Folgen von "Degrowth". Und die treffen natürlich nicht die Oberschicht, auch wenn die "Degrowth"-Forderer gern von "sozialem Ausgleich" phantasieren, für den in der Wirtschaftskrise dann aber leider, leider kein Geld mehr da ist.

    • @Budzylein:

      Tja, dass bei einem Degrowth der Sozialstaat mitschrumpft wird einigen leider erst klar, wenns zu spaet ist.

      Egal, weiter mit Lidner-Bashing.

    • @Budzylein:

      Budzylein, dein Kommentar geht an der Realität vorbei:



      Der Export ist gestiegen (0,9%) und Investitionen sind gestiegen (3,9%).

      Die Rezession kommt vom privaten Konsum (-1,9%), der zu weniger Importen führte (-0,9%) und vor allem von sinkenden staatlichen Ausgaben (-4,9%).

      • @Limonadengrundstoff:

        Der Staat wird seine Investitionen nicht wieder hoch fahren. Bauen kostet einfach zu viel. Der Konsum steigt auch nicht. Dazu haben sie Leute zu wenig Geld.

        Sie setzen ihre Hoffnung also auf die Exportwirtschaft? Hoffen wir dass die nicht von bezahlbarer Energie und Fachkräften abhängt.

  • Ich bin für die Höchststrafe!



    Bedeutungsverlust.



    Aber da arbeitet er selbst vehement dran, der Herr Lindner.

    • @LeKikerikrit:

      Das klingt aber sehr danach, als ob sie nicht die gesamte Wahrheit sehen würden. Das glaube ich ihnen aber nicht. Am Bedeutungsverlust arbeitet doch die gesamte Regierung. Ein Kanzler, der keine klare Linie vorgibt, vermutlich weil er es - wie so vieles andere - vergessen hat, ein Wirtschaftsminister, der eher Bastelminister heißen sollte, da er nicht professionell arbeitet, sondern dilettantisch an Gesetzentwürfen rumbastelt und sich mit viel Filz umgibt; da ist es doch schön, wenn wenigstens einer - bei den höchsten Steuereinnahmen aller Zeiten - ein klein wenig auf den Haushalt achtet, und dagegen ist, dass die Ministerien UNSER Geld ziel- und orientierungslos rauswerfen.

      • @Torben2018:

        Jawoll, sondern ... voll orientiert in den Autobahnbau steckt.



        Im Prinzip fände ich es auch gut, wenn der Lindner mal etwas auf den Haushalt achten tät. Am Anfang vielleicht erstmal den Abfall runterbringen ? Später dann Anspruchvolleres wie spülen, staubsaugen oder gar PUTZEN !

        • @Zebulon:

          ;)