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VorratsdatenspeicherungGeneralverdacht im Netz

Der EuGH verhandelt über die Verfolgung von Urheberrechtsdelikten mithilfe von zwangsgespeicherten IP-Adressen. Ein Dammbruch droht.

In Frankreich gibt es schon seit 2010 eine Art Urheberrechtspolizei namens Hadopi Foto: taz

Die Vorratsdatenspeicherung könnte bald auch zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen zugelassen werden. Darüber jedenfalls verhandelt ab diesem Montag der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Das Verfahren wird erstaunlicherweise in Deutschland noch kaum zur Kenntnis genommen. Das sollte sich dringend ändern. Es geht um eines der wichtigsten Verfahren zu den digitalen Bürgerrechten.

Nicht das Bundesverfassungsgericht, sondern der EuGH ist das Bollwerk gegen die Einführung der Vorratsdatenspeicherung in der EU. In den Jahren 2014 und 2016 erklärte er eine anlasslose Speicherung der Internet- und Telekom-Verkehrsdaten der gesamten Bevölkerung für unverhältnismäßig.

Unter dem Druck der EU-Staaten weichte er das generelle Verbot 2020 allerdings auf und ließ die anlasslose Speicherung von IP-Adressen zur Bekämpfung schwerer Kriminalität zu. Entscheidendes Beispiel für eine solche schwere Kriminalität war für den EuGH die Verbreitung von Kinderpornografie im Internet, die ohne allgemein gespeicherte IP-Adressen kaum aufgeklärt werden könne.

Die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung gaben sich damit aber nicht zufrieden. Sie wollen die Daten zur Verfolgung jeder Internet-Kriminalität verwenden. Im konkreten EuGH-Fall geht es um Urheberrechtsverletzung. Wenn der EuGH dem Drängen hier nachgibt, wird es bald aber auch um Beleidigung und Verleumdung im Internet gehen.

Beim dritten Mal gibt es eine Geldbuße

Der konkrete Fall kommt aus Frankreich. Dort wurde 2010 eine Art Urheberrechtspolizei namens Hadopi eingerichtet, die in Internet-Tauschbörsen nach illegalen Downloads von Musik und Filmen fahndet. Anhand der IP-Adressen identifiziert sie die illegalen Filesharer und greift dabei auch auf die Daten der französischen Vorratsdatenspeicherung zu. Wer zum ersten Mal erwischt wird, erhält eine Warnung per E-Mail. Beim zweiten Mal kommt die Warnung per Einschreiben, nach dem dritten Mal gibt es eine Geldbuße. Die Möglichkeit zur Internetsperre wurde 2013 abgeschafft.

Bis 2019 verschickte die Hadopi-Behörde 12,7 Millionen Warnschreiben, forderte aber nur insgesamt 87.000 Euro Bußgeld ein. Da die Behörde bis dahin 82 Millionen Euro Kosten verursachte, ging sie 2022 in der neuen Regulierungsbehörde Arcom auf. Der neue Name änderte aber nichts an der Rechtslage.

Im Jahr 2019 klagten vier französische Verbände, darunter die Cyber-Bürgerrechtler von La Quadrature du Net, gegen die Nutzung von IP-Adressen durch Hadopi. Die Auswertung der IP-Adressen zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen sei unverhältnismäßig und verstoße gegen die EuGH-Rechtsprechung. Der französische Conseil d’Etat, eine Art oberstes Verwaltungsgericht, hielt die Hadopi-Praxis dagegen für zulässig und legte den Fall dem EuGH vor. Bei einer ersten mündlichen Verhandlung im Juli 2022 sprachen sich alle beteiligten Regierungen (unter anderem aus Frankreich, Schweden und Dänemark) für die Zulässigkeit der Hadopi-Praxis aus.

Der unabhängige Generalanwalt Maciej Szpunar, dessen Gutachten das EuGH-Urteil vorbereiten soll, stellte im Oktober 2022 zwar fest, dass die Nutzung von IP-Adressen zur Verfolgung von Filesharern den EuGH-Urteilen widerspricht. Szpunar forderte den EuGH aber ausdrücklich auf, seine hohen Hürden weiter abzusenken.

Künftig sollten die anlasslos gespeicherten Internet-Verkehrsdaten für die Verfolgung aller Straftaten genutzt werden können, bei denen die aufgefundene IP-Adresse der „einzige Anhaltspunkt“ für Ermittungen darstellt. Es dürfe keine „systemische Straflosigkeit“ für Straftaten im Internet geben. Die Anordnung durch ein Gericht oder eine unabhängige Behörde hielt Szpunar für unpraktikabel – bei rund einer Million Fälle pro Jahr.

Anlasslose Speicherung der IP-Adressen

Der EuGH zeigte sich durch Szpunars Schlussanträge so beeindruckt, dass er die mündliche Verhandlung neu eröffnete. Sie wird an diesem Montag und Dienstag stattfinden. Die Sache gilt als so grundsätzlich, dass sogar das Plenum aller 27 EuGH-Richter verhandelt. Das Urteil wird dann erst in einigen Monaten verkündet.

Sollte der EuGH auf Szpunars Linie einschwenken, hätte das für Deutschland zwar keine direkten Folgen, würde aber auch in Deutschland die Begehrlichkeiten steigern. Seit Monaten schon versucht Innenministerin Nancy Faeser (SPD), eine anlasslose Speicherung der IP-Adressen zur Verfolgung von Kinderpornografie durchzusetzen. Justizminister Marco Buschmann (FDP) blockiert das Vorhaben nach wie vor unter Berufung auf den Koalitionsvertrag der Ampelregierung. In der nächsten großen Koalition würde es dann aber sicher einen neuen Anlauf für eine allgemeine Vorratsdatenspeicherung geben.

Hoffen wir deshalb, dass der EuGH eine weitere Aufweichung seiner Rechtsprechung verweigert. Ohne harte Linie aus Luxemburg werden bald alle unsere Lebensregungen zwangsweise und auf Vorrat festgehalten, weil es ja irgendwann für die Bekämpfung irgendwelcher Delikte nützlich sein könnte.

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15 Kommentare

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  • Es ist doch nur zu unserer Sicherheit, und wer hat schon was gegen den Kampf gegen Kinderpornographie und Urheberrechrsverletzung, ...



    Und der Hass und die Beleidigungen im Netz müssen endlich richtig verfolgt werden können.



    Ist doch alles für das Gute, oder?

    Nur dass man dann Tür und Tor für eine umfassende Überwachung öffnet und bald noch viel mehr überwacht werden wird.

    Schon bei Corona wunderte mich der Überwachungsdrang der Guten.

  • Du faßt es nicht •

    “Hoffen wir deshalb, dass der EuGH eine weitere Aufweichung seiner Rechtsprechung verweigert.“ …anschließe mich.

  • Automatisierung geht offenbar immer zu Lasten des kleinen Bürgers.

    Es begann mit dem Fotokopierer der Millionen von Schreibkräften den Job gekostet hat.



    Die Urheberindustrie hat sich durch eine Kopierabgabe ihr Tortenstück gesichert. Der Staat hat das versäumt und geht leer aus.

    Das Gleiche bei den Industrierobotern. Der zaghafte Versuch einer Robotersteuer wurde natürlich im Keim erstickt.

    Und jetzt beim Internet.

    Frührer mussten sie ja wenigstens noch Spitzel schicken oder Abhörwanzen einbauen.

    Heut sind sie allgegenwärtig dabei.

    "Online" sowieso und "Vor Ort" halt



    inkl. verdecktem Mikrofon in allerlei Smartphones und Haussteuerungen.

    Und dieses politische Rumgeeire gefährdet uns alle.



    Z.B. dadurch, dass jede Form von verschlüsselten Email kaputt gemacht wird.

    Mit der Folge dass wir nicht nur an Spam und Phising ersticken sondern auch mit der Folge dass niemand (Banken, Behörden, Ärzte, Online-Händler) verläßlich Emails schicken kann - denn es sind jam immer Fälschungen im Umlauf.

    Dank fehlender Verschlüsselung.

    Aber das passt ja nahtlos in den Kanon der EU ...

    • @Bolzkopf:

      👍👍

  • Damit wenige Rechteinhaber (Urheber) sich beim Abkassieren gegen die überwältigende Mehrheit der Menschheit durchsetzen können, müssen Freiheitsrechte weichen. Anlasslos muss die Speicherung der Internet- und Telekom-Verkehrsdaten der gesamten EU-Bevölkerung erfolgen, damit diese Wenige, diese 1%- Elite ihre Rechte durchsetzen und abkassieren können.

    Das Übel liegt deswegen nicht in der anstehenden Freiheitsberaubung der Bürger, sondern von der Mensch gemachten Fantasie- dem Urheberrecht. Deshalb plädiere ich: Weg mit dem Urheberrecht! Zwar total weg!

    • @Nico Frank:

      Dacht ich schon immer:



      “Das Kind mit dem Bade ausschütten!“



      Seine Hauptbeschäftgung! Woll.

      Na Mahlzeit

      • @Lowandorder:

        Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - merkt an:

        ““Das Kind mit dem Bade ausschütten!“



        Der versucht das sogar beim Waldbaden... Gut Holz!“

        kurz - Vorm Kopf meist aus Teak! Woll.

    • @Nico Frank:

      Richtig. Man könnte an Künstler dann pauschal ein erweitertes Bürgergeld zahlen.

  • Ganz so abhängig vom EuGH sind wir in Deutschland glücklicherweise gar nicht.

    Die FDP ist ein Deutschland nicht das einzige liberale Bollwerk gegen diese Begehrlichkeiten. Auch die Grünen sind grundsätzlich gegen die anlasslose Speicherung. Dass es auf absehbare Zeit jemals wieder eine "GroKo" geben könnte, ist - zum Glück - mehr als fraglich. Entweder FDP oder Grüne (oder beide) werden wohl auch an künftigen Regierungen beteiligt sein.

    Und: Auch die SPD wird sich kaum dafür hergeben, dass mit Vorratsdaten wie in Frankreich nach Filesharern gefahndet wird. Der SPD geht es um die Verfolgung schwerer Straftaten. Auch der derzeitige Bundesdatenschutzbeauftragte (ebenfalls SPD) ist strikt gegen Vorratsdatenspeicherung.

    • @Winnetaz:

      Vor einigen Jahren wurden 12jährige und deren ahnungslose Mütter von dubiosen Anwälten auf Fantasiesummen verklagt - nur auf Grundlage von Vorratsdaten, die laut Gesetz nur für schwere Verbrechen genutzt werden sollten.

      Wenn (Bundes)Datenschützer irgend einen relevanten Einfluss hätten, wären WhatsApp, Facebook, MS, Google u.a. bereits verboten oder zumindest mit Milliardenstrafen belegt.

  • In der realen Welt gar nicht denkbar.



    Ich gehe in ein Geschäft und klaue eine Musik-CD. Wenn ich bis zum Ausgang (bzw. zur Kasse) nicht aufgehalten werde, war mein Klau "erfolgreich".



    Nun stelle man sich vor, da gibt es eine Videoaufzeichnung vom dem Diebstahl und durch Recherchen erhält der Markt meine Adresse. Wochen nach dem Klau der Musik-CD würde ich plötzlich eine "Einladung" der Staatsanwaltschaft bekommen. Mir werden dabei auch nicht nur die 15 Euro für die CD in Rechnung gestellt sondern eine erdachte Summe entgangener Einnahmen.

    • @Mopsfidel:

      Das ist ja garnicht fikitiv.

      Die Tür merkt, dass was nicht bezahlt wurde und macht ein Foto. Die Bilderkennung "KI" findet dich heraus. Die Handschellen klicken.

    • @Mopsfidel:

      Die alte Leier wieder mit dem klauen. Nein, Rechte wie sie auch immer benannt sein mögen kann man per se nicht klauen. Ich weiß, dass mögen viele (Pseudo) Künstler usw. nicht immer gern hören, aber es gibt auch sehr viele Menschen die nicht warten bis am Monatsende für nichts tun der Gema-Scheck kommt.

  • > Wenn der EuGH dem Drängen hier nachgibt, wird es bald aber auch um Beleidigung und Verleumdung im Internet gehen.

    Nicht dass ich das in irgendeiner Weise gutheiße, aber ich denke, dass man als Unterstützer von solchen Methoden derzeit am besten fahren würde, wenn man das Ganze einfach als Methode zur Bekämpfung von "Hass im Internet" oder etwas derartigem verkaufen würde. Wäre ich Lobbyist, dann würde ich hier rein gar nichts von Urheberrechtsverlettzungen sagen. Einfach als Initiative gegen Hass und Diskriminierung im Internet bezeichnen.

  • Und wenn man diese Daten erst einmal hat braucht man sie nur noch in die passenden Big Data-Algorithmen zu füttern um Realität werden zu lassen wovon die Stasi nur träumen konnte.